Teenage Shangdown Forever!
Confession time: Rein musikalisch betrachet habe ich meinem Teenager-Selbst einiges vorzuwerfen. Anders als manch andere, glücklichere Person in meinem gegenwärtigen, unzweifelhaft coolen Jungerwachsenenumfeld (DJs! Musikjournaille! Bands!) habe ich kaum durchgängige Leidenschaften für Bands oder Genres vorzuweisen, die sich auch in einer fortgeschritteneren Biografie repräsentabel ausnehmen würden. So habe ich zB nicht die gesammelten Werke eines Wild Billy Childish mit der Muttermilch aufgesogen. Die Raincoats waren mir als Dreizehnjährige viel zu blöd (‚artsy‘ als Schimpfwort kannte ich damals noch nicht). Und von Tav Falco schwärmten zwar die alten Leute aus dem Stadtwerkstatt-Büro, aber wenn die so begeistert von ihm waren, dann war das wohl sicher nichts für mich jungen heißen Hüpfer. Dementsprechend mau auch der Großteil meiner frühen Plattensammlung: das musikalische Äquivalent zu einer Schüssel Instantnudeln. Billig, scharf und tangy, aber bloss nicht länger stehen lassen!
Rehabilitiert werde ich allerdings durch eine ewige Leidenschaft für zwei Genres der US-amerikanischen 1960er, die sich von frühester Jugend bis gut in die Gegenwart zieht: für jugendliche Garagen(protopunk)bands einerseits und Teenager-Girlgroups andererseits. In meinen Teenietagen waren erstgenannte vor allem durch die Rerelease-Compilation-Serie Teenage Shutdown vertreten, zweitere beinahe ikonisch personifiziert durch die bekannte New Yorker Kombo The Shangri-Las.
Allerdings. Falls man sich nun große Sorgen um die negativen Effekte unpassender Medieninhalte auf junge Menschen macht, dann ist die große Liebe zu genau diesen Bands pädagogisch eher problematisch. Denn in der Thematisierung von Liebesbeziehungen – immer hete, btw – greifen Interpret_innen beider Genres zu mehr als zweifelhaften Mitteln. Zu einfach die Einteilung der Welt in zwei und nur genau zwei Geschlechter, die sich nicht und nicht verstehen wollen, weil sie doch so wahnwitzig unterschiedlich sind – und die dennoch in einer Art tödlicher Zwangswiederholung pausenlos kollidieren. Dementsprechend groß die Verbitterung auf der einen (Why Did God Make Girls? heulen die minderjährigen Rotzer von J.D. Rogues auf Volume 2 der Serie), und überwältigend needy der Pathos auf der anderen Seite (Maybe, If I Cry Every Day, He‘ll Come Back To Me, beschwören die Shangri-Las). Alles überholt, alles schlechte Vorbilder, alles entsetzlich gemodelt auf bürgerliche Totschlag-Ideale, wie die exklusive Zweierbeziehung und das miefige Glück im gemeinsamen Haushalt (wobei man sich zumindest als Garagenhaberer immer vorbehält, einen mit den anderen Heinzis auf wild zu machen, während die Oide gefälligst irgendwo drinnen brav zu sein hat). Im Falle der Bubenbands besonders hinterhältig: Hier marschiert die Reaktion im Mäntelchen des Aufbegehrens! Immerhin sind dies die Sixties, eine Ära des Revoltierens auch der Gartenzwerge im mittleren Westen, und auf transgressiven Gestus wird unter Jungrockern viel gehalten. Für den Großteil der Teenage Shutdown Acts, die zumindest laut Linernotes zu 100% aus jungen Männern bestehen, bedeutet jugendliches Rebellentum oft, einmal kräftig auf die Mutti zu scheissen – diese verkörpert meist in Person der lying, cheating She, die einem das Herz gebrochen hat. Ähnlich düster die Welt der Shangri-Las. Leiden, jubeln, schmollen, betteln, alles für The Boy. Endstation: gelandet in seinen Armen, nichts anderes ist von Wert. Da kann es schon einmal vorkommen, dass man sich im Kinderzimmer heimdrehen will, weil die Eltern ob der unerwünschten Assoziation mit dem jugendlichen Delinquenten du jour Hausarrest verhängt haben (siehe Dressed In Black). Wie soll man unter solchen Einflüssen zu einem guten riot grrrl werden?
Allerdings, reprise. Anders als erwartet hat mich meine beinahe religiöse Hingabe an die betreffenden Tonträger (ich kann mich erinnern, während einer zehnstündigen Zugfahrt nach Polen ununterbrochen die selbe Kassette im Walkman gehört zu haben, Seite A Shangri-Las, Seite B Teenage Shutdown Volume 10) nicht in einen vollhirngewaschenen Sexist_innenzombie verwandelt. Mit einem klassischen Culutral-Studies-Werkzeugkasten ist dies schwer zu erklären. Denn ich habe die in der geliebten Musik transportierten Inhalte weder als rückschrittlich entlarvt und aktiv, bewusst und rechtschaffen abgelehnt, noch habe ich sie ‚ironisch‘ gegen den berühmten Strich gelesen. Mir war und ist es noch immer tatsächlich ernst in meiner Verehrung – dies allerdings nicht, weil ich die in den Texten vertretene Ideologie teilen würde. Leichter zu verstehen ist dies, wenn man sich auf ein anderes Modell im Nachdenken über die Beziehung zwischen Medieninhalten und Rezipient_innen einlässt: und nicht nach Effekten oder Reflexen fragt, sondern nach Resonanzen.
Im Sinne von Susanna Paasonen, die das Konzept in ihrem rezenten Buch über Online-Pornografien beschreibt, ist Resonanz eine Dynamik, die zwischen Medien und Audiences oszilliert. Obwohl inhaltliche Aspekte - zum Beispiel der Text eines Musikstücks - bei der Bildung von Resonanzen eine wesentliche Rolle spielen, sind sie nicht die einzig wichtigen Anteile. Resonanzen, so Paasonen, geraten maßgeblich durch Affekte in Schwingung. Und Affekte generieren sich nicht immer aus dem, was durch Sprache beschrieben und zu Bedeutung gebracht werden kann. Affekte vollziehen sich auch auf einer viszeralen, körperlichen Ebene, welche sich dem Rahmen durch Sprache oft entzieht. Gilles Deleuze fasst Affekte als Intentsitäten: als etwas, das uns bewegt, jenseits von Bedeutung oder Sinn.
Fragt man also nach Resonanzen, müssen Aspekte berücksichtigt werden, die in einer rein inhaltlich orientierten Analyse eines musikalischen Genres üblicherweise außen vor bleiben. Im Fall von Teenage Shutdown und den Shangs wäre dies die Intensität, mit der die Dramen von Geschlecht, Differenz, Begehren und Scheitern inszeniert werden. Deleuze war natürlich keine parate Referenz für mich als Fünfzehnjährige. Aber spüren konnte ich schon, für was ich mir Jahre später ein theoretisches Gscheitloch-Vokabular anlesen sollte: Es ist ihre nackte Urgenz, die mich bis heute affektiv an die beiden Genres kettet. Diese Intensität äussert sich für mich zum Beispiel in der sonischen Materialität der Aufnahmen – für mich vermitteln die Spector-mäßigen Wall-Of-Sound-Produktionen der Shangri-Las eine ähnliche Dringlichkeit wie die verhallten, verkrachten Lo-Fi Mitschnitte der Teenage Shutdown Bands. Verwandschaft! Sirenenmäßig anziehend auch der Vokalstil, mit dem sowohl in der Bubengarage als auch im Mädchenstudio absolut irre Inhalte vollkommen übertrieben moduliert werden, und das in vollkommen unironischer Absicht. Ganz zu schweigen von den in beiden Genres programmatischen Background-Chören mit ihren gespensterhaften Harmonien – ein ewiger Refrain von manischer Begeisterung und abgrundtiefer Verzweiflung; hier löst sich niemals auch nur ein einziges Problem. Nichts funktioniert. Liebe ist ein Wahnsinn, aber so geil. Nochmal Deleuze und Guattari: Hier wird keine erfolgreiche Subjektivierung betrieben, hier regiert das becoming-animal! Wir sind alle Monster. Intensity! Mein Teenagerselbst macht in diesem Moment einen großen Haufen auf Geschlecht. Bubenschmerz, Mädchenschmerz? Scheißegal, stimmt alles nicht! Und in den Bürgerbunker Langzeitbeziehung schafft‘s ja ohnehin niemand jemals. Immer geht alles schief! Mir egal, sagt die junge Ana Threat. Ich geh in den Proberaum und nehme jetzt auch sowas auf.
Referenzen
Gilles Deleuze (1994): Difference and Repetition. New York: Columbia University Press.
Gilles Deleuze, Felix Guattari (1987): A Thousand Plateaus. Minneapolis: University of Minnesota Press.
Susanna Paasonen (2011): Carnal Resonance. Affect and Online Pornography. Boston: Massachusetts Institut of Technology Press.