Tore für Hitler
Im März 1938 wurde der österreichische Fußballverband als Gau XVII Ostmark dem Deutschen Reichsbund für Leibesübungen angegliedert. Dies bedeutete »die Entfernung nichtarischer und undeutscher Elemente« aus dem Sportbetrieb. Austria Wien wurde unter kommissarische Verwaltung gestellt und kurzzeitig umbenannt – in SC Ostmark. Die jüdischen Vereine Hakoah Wien und Hakoah Graz wurden aufgelöst, das Vereinsvermögen beschlagnahmt, die Resultate annuliert. Jüdische Spieler hat man aus der laufenden Meisterschaft ausgeschlossen. Der Präsident der Wiener Austria, Emanuel Schwarz wurde inhaftiert. Der Präsident des Wiener Fußballverbandes, Josef Gerö, flüchtete nach seiner Absetzung ins Ausland. In weiterer Folge wurden Dutzende österreichische jüdische Sportler ermordet oder in den nationalsozialistischen Lagern zugrundegerichtet.
Die »Führerstadt« Linz soll Sportstadt werden
Die einstige Fußballhochburg Österreich wurde zur reichsdeutschen Provinz gemacht - Gau XVII. Damit verbunden war auch eine Neuordnung des Ligabetriebs. Die Konzentration des Fußballsports auf Wien versuchte man aufzubrechen, indem man regionale Vereine in die höchste Spielklasse eingliederte. Die neue Meisterschaft sollte dem Modus des »Altreichs« angepasst werden. Die oberste Spielklasse sollte in der »Ostmark« die Gauliga darstellen und der daraus resultierende Gaumeister würde im Kampf um den deutschen Meistertitel gegen den Meister aus dem »Altreich« anzutreten haben. Zehn Vereine gehörten dieser Liga an, sechs Wiener Vereine waren Fixstarter, dazu kamen die jeweiligen Meister von Steiermark, Oberdonau-Salzburg und Niederdonau sowie der Meister der Wiener Liga. 1938/39 spielten damit neben sechs renommierten Wiener Klubs der Grazer Sportklub, Amateure Steyr, Wacker Wiener Neustadt und Austro Fiat.
Mit der Regionalisierung sollte wohl der alleinige Fokus von Wien etwas weggenommen werden und der Fußballleistungssport auf eine breitere Basis gestellt werden. Eine zweite Motivation kann darin gesehen werden, dass die österreichische »Provinz«, die ehemaligen Bundesländer außerhalb Wiens aufgewertet werden sollte. Adolf Hitlers persönlichem Wunsch entsprach eine Privilegierung von Linz, Hauptstadt des nunmehr um süd-böhmische und steirische Gebiete vergrößerten Gaus »Oberdonau«. Hitler war in Linz aufgewachsen, betrachtete es als seine Heimatstadt, machte die Stadt offiziell zu seiner »Patenstadt« und zur »Führerstadt«. Im Kontext der Aufwertung sollte Linz auch zur »Sportstadt« werden, ein Mega-Stadion errichtet werden. Hitler selbst hatte eher exzentrische Sportinteressen, er begeisterte sich für Hunderennen, Polo und Autoren-nen, konnte sich definitiv nicht für Fußball erwärmen. Die Einsatzmög-lichkeiten dieses Sports für das NS-Regime hatten andere erkannt.
Linz war sicher ein spezifischer Fall. Am 3. April 1938 hatten die Fußballer einer Oberdonau-Auswahl, die gegen eine Mannschaft aus Dresden spielte, zum »Ja für den Führer« bei der Volksabstimmung aufgefordert. In den Inseraten der Linzer Tageszeitungen tauchte damals in einer Art Comic ein Fußballspieler auf, der demonstrativ für Hitler ein Tor ins Kreuzeck schoss. Als der 1. FC Nürnberg in Linz zu einem Freundschafts-spiel antrat, kam es nicht zu Auseinandersetzungen, sondern man fühlte sich durch den Auftritt des »sechsfachen deutschen Meisters« geehrt. Tausende Zuschauer verfolgten das Match, der Bericht des Völkischen Beobachters liest sich wie ein Spiel unter »Stammesbrüdern«: »Die Zuschauer bekamen schönen Fußballsport zu sehen, zumal sich die Ostmärker tapfer wehrten und die Franken die 5:2 gewannen, veranlassten, ihr ganzes Können auszuspielen.« 1939 stieg der Linzer Traditionsklub Lask, ebenso wie der Grazer SC in das Oberhaus der »Ostmark«-Ligen auf. Im Rahmen der sog. Bereichsliga 1940/41 schlug Rapid etwa den Grazer SC 11:1, gegen den Lask siegten die Hütteldorfer 11:3, die Linzer mussten mehrere zweistellige Niederlagen in Kauf nehmen. Die Schwarz-Weißen erreichten im Verlauf der gesamten Meisterschaft keinen einzigen Punkt.
Der Flop des 21:0 und andere Geschichten
Die Linzer Mannschaft kassierte sogar mit einem 0:21, nach einer zweiten Überlieferung 0:22, bei Austria Wien im Jänner 1941 die bis heute höchste Niederlage in einer obersten österreichischen Spielklasse. Mag der Lask auch ersatzgeschwächt angetreten sein, weil einige Spieler zum Militär eingezogen worden waren - die in die Liga reklamierten Klubs aus Linz und Graz konnten jedenfalls mit dem Leistungsniveau der Wiener Mannschaften nicht mithalten. Apropos Fußball und Militärdienst – aktiver Spieler in einer bekannten Mannschaft zu sein, war von Vorteil. Man konnte Fronturlaub und einige weitere Vergünstigungen erhalten. Einige gingen noch einen Schritt weiter: auch aus Oberösterreich reisten einige Fußballer nach Wien in eine Zimmer-Küche-Kabinett-Wohnung der Außenbezirke. Dort lebte ein ehemaliger Nationalspieler, der sich darauf spezialisiert hatte, durch gezielte Tritte typische Sportverletzungen hervorzurufen, die vor einem unmittelbaren Fronteinsatz schützten.
Der Lask als Klub galt unter Sportlern im Gegensatz zum GAK, zum Wiener Sportklub oder zur Vienna nicht als besonders NS-nahe. Im Gegenteil, mehrere Opponenten des Regimes wurden von diesem unterstützt. Der Verein orientierte sich stilistisch an der »Wiener Schule«. Bei diesem Linzer Klub hatten in der Zwischenkriegszeit mehrere Spieler mitgewirkt, die nach der NS-Diktion nicht als »rasserein« und »deutschblütig« gelten konnten. Einer von ihnen war Karl Pfatschbacher, Sohn von Wilhelm Spitz aus der bekannten jüdischen Unternehmerfamilie (Spitz-Fruchtsäfte). Pfatschbacher war im »Dream-Team« von 1935 dabei. Dies war sein Glück. Als er in den Kriegsjahren von einem Gestapo-Mann perlustriert werden sollte, erkannte ihn dieser als lokalen Fußballstar und ließ ihn letztlich laufen.
Die Landesliga Salzburg/Oberdonau wurde 1941/42 von Budweis gewonnen, das aber in keinem der beiden Länder gelegen ist, sondern in Böhmen (Reichsprotektorat); Der LASK wurde hinter Amateure Steyr, Luftwaffe Linz, Vorwärts Steyr, Adlerhorst Wels und Reichsbahn nur Siebenter. Der Gau Oberdonau der NSDAP, nicht der reale Gau in seinen politischen Grenzen, reichte bis Budweis (Ceske Budejovice), wobei es hier um Gebietsansprüche und um territoriale Neuordnungen ging. Bereits Pfingsten 1941 waren Mannschaften aus Prag und Budweis in Linz angetreten. Mit der Inklusion böhmischer Mannschaften in den Spielverkehr sollten die Gebietsansprüche Oberdonaus unterstrichen werden. Nach den überlegenen Siegen tschechischer Mannschaften, einmal siegte Budweis 11:0, wurde diese Einbeziehung wieder abgebrochen.
Freiraum Fußball?
Anders als in Linz zeigten sich in Wien schon seit dem deutschen Einmarsch wiederholt antideutsche Emotionen auf dem Fußballplatz. Um ein markantes Beispiel zu nennen: Am 17. November 1940 wurde zwischen Admira und Schalke in Wien ein »Freundschaftsspiel« durchgeführt. Das Neue Wiener Tagblatt dazu: »Die Leute, die sich als klassenbewusste Plattenbrüder geben, gewinnen allmählich wieder die Oberhand und bringen das gesamte Wiener Publikum, aber auch unsere Heimatstadt selbst in Misskredit!« Der Völkische Beobachter sprach in einem Kommentar angesichts der anti-deutschen Ausschreitungen, die neben Prügeleien und Sprechchören auch darin kulminierten, dass die Reifen des Dienstautos von Gauleiter Baldur von Schirach mit Messern aufgeschlitzt worden waren, vom »schwärzesten Tag« in der Wiener Fußballgeschichte. »Piefke, Marmeladinger, Saupreußen« drückte sich ein verhafteter und von der Gestapo verhörter Fan aus. Dies weist eindeutig auf anti-deutsche Tendenzen hin, als bewußter Akt der Widerständigkeit kann diese Haltung aber nicht interpretiert werden.
Von breiten Teilen der Zuschauer und der Aktiven wurde der Sport insbesondere der Fußballsport wohl als »unpolitischer Raum«, in gewissem Sinn als »Freiraum« angesehen. Das NS-Regime ließ den kontrollierten Freiraum Fußball zu, agierte aber immer wieder in diesen »sports space« hinein, legte dessen Grenzen fest. Es war auch mit Gegenwehr in diversen Formen konfrontiert, seitens der Zuschauer, seitens von Spielern und von Funktionären. Am Beispiel Lask lässt sich zeigen, dass der voluntaristische Ansatz der Nationalsozialisten, der konkrete Versuch, die Linzer Mannschaft in die Fußballspitzenklasse zu katapultieren, spektakulär gescheitert ist. Das NS-Regime instrumentalisierte den Fußball zur Kalmierung der Arbeiterschaft, es versuchte (über)regionale Gegensätze (zum Beispiel anti-preußische Ressentiments in der »Ostmark«) zu überbrücken und nutzte den Sport zur Gewährung von Vergnügen und Freiheiten. In einem weiteren Kontext diente die Fußballpolitik auch als Instrument der Vortäuschung einer zivilisierten, deutschen Nation, der es nicht an fairem Sportsgeist mangelte - das Stadion fungierte in diesem Sinn als Propagandabühne. »Tore für Hitler« wurden also in dem Sinn erzielt, dass der Fussballsport letztlich – bei allen gleichzeitig gegebenen Elementen der Resistenz - der Stabilisierung des nationalsozialistischen Regimes dienlich war.
Literatur: John, M., Donaufußball und Ostmarkpolitik: Fußballstile und nationale Identitäten, in: Herzog, M./Peiffer, L./Schulze-Marmeling, D. (Hg.), Hakenkreuz und rundes Leder: Fußball im Nationalsozialismus, Göttingen 2007 (in Druck); Marschik, M., Vom Nutzen der Unterhaltung. Der Wiener Fußball in der NS-Zeit, Wien 1998; Kirchmayr, B., »Ich hab´ einen Menschen nicht nach seiner Rasse beurteilt.…« Eine Lebens- und Liebesgeschichte aus dem nationalsozialistischen Linz, in: Hauch, G. (Hg.), Frauen im Reichsgau Oberdonau. Geschlechtsspezifische Bruchlinien im Nationalsozialismus, Linz 2006, 271-280.
Ab Mai 2008 findet im Schlossmuseum Linz eine Ausstellung zur Geschichte und Gegenwart des Fußballsports in Oberösterreich, aber auch über dessen Grenzen hinaus, statt. Leserinnen und Leser der Versorgerin, die zweckdienliche Angaben zum Thema machen können oder vielleicht interessantes Material zur Verfügung stellen wollen, sind herzlich dazu eingeladen (Kontakt michael.john@liwest.at oder hummer@ballesterer.at)