Ein Schiff wird kommen
Nein, damit ist nicht mein Kumpelchen Christian Schiff gemeint, sondern es handelt sich um ein künstlerisches Projekt, das die beiden Wiener Künstler Bernhard Rappold und Stefan Glettler mit Insassen der Justizanstalt Hirtenberg (südlich von Wien) verwirklicht haben. Unter dem Titel »Narrenschiff« wurde in kollektiver Arbeit über ein halbes Jahr hinweg ein 6 m langes Schiff angefertigt, sowie zahlreiche Zeichnungen, in denen das Innenleben der Insassen der Haftanstalt in teilweise sehr eindringlicher Weise zum Ausdruck kommt. Von 27. - 29. März wird dieses Narrenschiff mit allem, was dazugehört, in der Stadtwerkstatt ausgestellt, und das ist gut so!
Galeeren und »Narrenschiffe«, das waren zu früheren Zeiten Institutionen, in welche man Delinquenten, säumige Schuldner oder auch ganz einfach missliebige Personen und Elemente abgeschoben hat, um sie einerseits aus der Gesellschaft zu entfernen, andererseits um ihre Arbeitskraft nutzbar zu machen, wie man allgemein weiß. Bernhard Rappold und Stefan Glettler wissen im Speziellen darüber hinaus von einem frühren Projekt, dass Häftlinge sehr häufig Schiffe gezeichnet haben als Sinnbild für Freiheit und Projektionsfläche für Selbstständigkeit, die im Gefängnis jedoch nicht möglich ist. So entstand das ideenmäßige Grundgerüst für das »Narrenschiff«-Projekt.
Konkret erwuchs das »Narrenschiff« aus einem vorangegangenen Projekt, wo Rappold und Glettler im Schweizerhaus Hadersdorf, einer Drogentherapieeinrichtung in Wien, mit Süchtigen Kunst gemacht haben. Die therapeutische Leiterin des stationären Bereiches dieser Einrichtung, Regina Agostini entwickelte in der Justizanstalt Hirtenberg ein Behandlungskonzept für suchtkranke Insaßen. Im Rahmen dieses Projekts entstand die Idee, diesen Menschen notwendigerweise eine entsprechende Tagesstruktur anzubieten.
So wurde dieser Ansatz von seiner therapeutischen als auch seiner künstlerischen Seite her auf Suchtkranke innerhalb der Haftanstalt übertragen. Suchtkrankheit stellt innerhalb von Justizanstalten ein großes Problem dar, im Speziellen, da für jenen entsprechenden Anteil an Häftlingen in anderen Gefängnisbetrieben keine Verwendung gefunden werden kann. So sind die Möglichkeiten mehr oder weniger sinnvoller Beschäftigung und einer Strukturierung des Tagesablaufes für solche Häftlinge zusätzlich eingeschränkt. Künstlerische Betätigung wiederum kann ein da wichtiges therapeutisches Instrument darstellen: »Man tritt dadurch in eine Beziehung zu sich selbst und zu den anderen, lernt nicht nur ästhetisch, sondern ist auch in einen sozialen Lernprozess integriert«, so Agostini, »es stärkt die Selbst- und auch die Fremdwahrnehmung und wirkt dadurch persönlichkeitsfördernd.«
Der Idee des Dreigestirns Rappold/ Glettler/ Agostini stellten sich zunächst bürokratische Hindernisse entgegen, die eine rasche Umsetzung erschwerten.
Doch der Anstaltsleiter und einige Justizbeamte fanden an dieser Idee Geschmack und Interesse. Ein Beamter wollte sich sogar an der Sache künstlerisch beteiligen, was er dann auch getan hat. Somit fungierte also ein persönlicher Wunsch von einer Seite, mit der man so gar nicht gerechnet hatte, als entscheidender Türöffner.
Rappold und Glettler standen zunächst vor der Herausforderung, die suchtkranken Häftlinge für ihr Projekt zu interessieren und zu motivieren. Nicht, dass es für jene Häftlinge keine willkommene Abwechslung gewesen wäre – aber Kunst machen? Kunst sei tuntenhaft und schwul, so eine in den Köpfen mancher dieser Leute herrschende Vorstellung, und als echte Männer könnten sie doch nichts Tuntenhaftes und Schwules machen! (Wie man nebenbei und im Übrigen erfährt, ist eine wesentliche Determinante, wer welchen Platz in der Häftlingshierarchie einnimmt, nicht allein das Delikt und die ethische Zugehörigkeit, sondern – na? – auch die Größte des Gemächts.) »Wir machten ihnen daher klar: Das hier sei, so wie die anderen Gefängnisbetriebe, eine Werkstatt, wo jeder etwas Handfestes und Robustes anfertigt«, so Rappold und Glettler, »wobei jeder auch die Möglichkeit haben würde, sich selbst auszudrücken, und das ohne unbedingten ästhetischen Anspruch, ohne, dass also etwas »schön« sein müsse.« Eine kleine »Gefängnisbibliothek« zum Thema Schiffe wurde angelegt, und bald schon zeigten einige Häftlinge Interesse, sich in die Materie zu vertiefen und als »Schiffsbauexperten« zu glänzen, woraus sich ein fruchtbarer, teilweise natürlich auch komischer, zumindest aber lebhafter Prozess ergab, in dem die einzelnen Teilnehmer, die das Projekt gerade noch mit Sexualpejorativen belegt hatten, plötzlich ihr »Niveau« zu zeigen bestrebt waren und sich in dieser Niveauhaftigkeit gegenseitig zu überbieten. Inmitten von spontanen »Expertendiskussionen« über einzelne Aspekte der Schiffsbauweisen von der Frühzeit bis zur Gegenwart entwickelte sich so ein sinnvolles Konzept für den Plan und den Bau des tatsächlichen Schiffs. »Alles, die gesamte Formfindung, ist aus einem nicht-hierarchischen Diskussionsprozess heraus entstanden, wir wollten keinen »charismatischen Gebetskreis«, wo Häftlinge zur Kunst »bekehrt« werden, sondern eben eine Werkstatt«, so Rappold und Glettler. Auch im engeren künstlerischen Bereich der Zeichnungen ergaben sich oftmals steile Erfolgskurven und beeindruckende Leistungen und ein damit einhergehender Enthusiasmus der Beteiligten an der Sache wie an ihren eigenen Resultaten, ausgedrückt in der dann immer wieder gestellten Frage »wieviel diese Zeichnung »draußen« denn wohl wert sei?« Mit der Entdeckung ihrer künstlerischen Talente setzten als produktiver Agens dann auch die üblichen Distinktionsbestrebungen ein; die Zeichnungen mussten, um den eigenen Ansprüchen zu genügen, plötzlich besonders »gut« oder »schön« sein, und einen ordentlichen Batzen weltbewegender Thematik vermitteln. Provokant sollten sie sein, andererseits aber auch »moralisch gut«, das heißt, innerhalb der Gesellschaft stehend, als ideales Spiegelbild vielleicht zu den im vollsten Sinne des Wortes »freien« Künstlern, die vom Gestus her natürlich viel lieber »außerhalb« der Gesellschaft stehen. So entstanden eben recht eindringliche, manchmal auch beklemmende Zeichnungen und Visionen die vom Innenleben der Häftlinge Bericht ablegen, andererseits freilich aber auch Gestiken, wo in enormem Pathos auf freilich recht banale und alltägliche Problemstellungen oder Faktizitäten hingewiesen wird, ähnlich wie man es zum Beispiel vom deutschsprachigem Hip Hop gewöhnt ist. Und auch von anderswoher.
Im März wird das »Narrenschiff« fertig, und setzt die Segel zunächst Richtung Linz. Es war ein erfolgreiches Projekt, freuen sich Bernhard Rappold, Stefan Glettler und Regina Agostini. So war das »Narrenschiff« der größte Gefängnisbetrieb mit einem härteren Kern von knapp zwanzig Insassen verschiedenster ethnischer Herkunft. Anwesenheit und Frequenz haben überrascht, und auch ein Nebenprojekt ist angefallen: Ein gemeinsames Musizieren von und mit Roma-Häftlingen, das als CD erscheinen wird. Schwimmen kann das Schiff allerdings nicht. »Wir finden es schön, dass wir mit etwas Künstlerischem gesellschaftlich agieren können, und in dem Fall näher über die Situation in Gefängnissen berichten«, so Rappold und Glettler. Eine Öffentlichkeit, die von der Öffentlichkeit ausgeschlossen ist, fand zu einer Artikulationsform, und in dem einen und anderen Sinn kann sich der Mensch darin, sofern er dazu geneigt ist, selbst wieder erkennen, als Individuum wie als Gruppentier. Die Weisen aller Zeiten bezeichneten das als eigenstes Wesen der Kunst.
Narrenschiff: Das kriminelle Talent
Häftlinge bauen ein Schiff aus Karton.
Ausstellungseröffnung: 27. März, 19.00 Uhr, 1.OG Stadtwersktatt
Begleitend zum Projekt formierte sich die Roma-Gruppe »Schwarze Raben«. Eine limitierte CD Edition ist am Eröffnungsabend erhältlich.