Von Österreich lernen

Stephan Grigat über die FPÖ als Vorbild der AfD

Im März 2016 erklärte die Bundessprecherin der Alternative für Deutschland, Frauke Petry, ihre Partei »wäre mit dem Klammerbeutel gepudert, nicht von den Erfahrungen der FPÖ zu profitieren.« Die AfD hat 2016 und 2017 eine deutliche Radikalisierung nach rechts vollzogen. Als ausgesprochen junge Partei ist es von zentraler Bedeutung für sie, mit der FPÖ einen Verbündeten parat zu haben, der auf jahrzehntelange Erfahrung im politischen Geschäft zurückblicken kann. Insbesondere auf Grund der sowohl zu Zeiten Jörg Haiders als auch unter dem heutigen Vorsitzenden Heinz-Christian Strache gesammelten mannigfaltigen Erfahrungen, wie ein Wählerklientel weit über den harten Kern von überzeugten Rechtsradikalen hinaus angesprochen werden kann, ist die FPÖ für die AfD ein bevorzugter Gesprächs- und perspektivisch wohl auch ein unmittelbarer Bündnispartner. Für die FPÖ wiederum bietet sich erstmals die Gelegenheit, dass sich dauerhaft eine erfolgreiche Schwesterpartei in Deutschland etabliert, die zwar rechts von den Unionsparteien agiert, aber anders als etwa die NPD auch auf Bundesebene breitere Wählerschichten anspricht und nicht permanent von einem Verbot bedroht ist.

Die Kontakte zwischen den beiden Parteien haben nicht erst nach der Entmachtung des AfD-Mitbegründers Bernd Lucke auf dem Essener Parteitag Anfang Juli 2015 begonnen. Drei sächsische AfD-Landtagskandidaten hatten bereits im August 2014 den eindeutig dem deutschnational-völkischen Flügel der FPÖ zuzuordnenden Andreas Mölzer zu einem Vortrag nach Leipzig eingeladen. Sie wollten sich vom Herausgeber der Wochenzeitung Zur Zeit, der nach seiner Titulierung der EU als »Negerkonglomerat« und des Fußballers David Alaba als »pechrabenschwarz« selbst für die FPÖ als Funktionär der ersten Reihe untragbar wurde, im Landtagswahlkampf unterstützen lassen. Zu einer Formalisierung der Beziehungen auf Führungsebene kam es jedoch erst nach dem Sturz Luckes.

Im Februar 2016 verkündeten FPÖ und AfD im Anschluss an die Konferenz »Visionen in Europa«, die in Düsseldorf mit Strache als einem der Hauptredner und unter Beteiligung des FPÖ-Generalsekretärs Harald Vilimsky stattgefunden hatte, die Etablierung einer »Blauen Allianz«, mit der nach eigenen Angaben zunächst die regionale Zusammenarbeit insbesondere der bayerischen AfD mit der FPÖ als erstem Schritt zu einer weitergehenden Kooperation formalisiert werden sollte.

Im April 2016 lud der brandenburgische AfD-Vorsitzende und stellvertretende Bundessprecher Alexander Gauland FPÖ-Generalsekretär Vilimsky zu einem Auftritt nach Nauen im Havelland. Im Mai 2016 war Petry Stargast auf der FPÖ-Wahlparty zur ersten Runde der österreichischen Präsidentschaftswahl in Wien. Anfang Juni 2016 fand auf der Zugspitze ein medial groß inszeniertes Treffen von Strache und Petry statt, das von der FPÖ als Startschuss für gemeinsame Projekte, die Bildung inhaltlicher Arbeitskreise und auch für »marketing- und werbetechnische Kooperationen« gepriesen wurde.

Drei Wochen später lud die FPÖ Gauland zu ihrem »Patriotischen Frühling« nach Vösendorf bei Wien mit Vertretern des französischen Front National, der italienischen Lega Nord, der niederländischen Partij voor de Vrijheid und dem belgischen Vlaams Belang. Strache proklamierte bei der Veranstaltung abermals seinen Willen zur Intensivierung der Kooperation mit der AfD. Im Januar 2017 nahmen Harald Vilimsky und Frauke Petry gemeinsam mit Marine Le Pen, Geert Wilders und Matteo Salvini an einem auch international viel beachteten Kongress in Koblenz teil, der von der Europaparlamentsfraktion Europa der Nationen und der Freiheit als »europäischer Wahlkampfauftakt« inszeniert wurde. Anfang März 2017 trat Strache als Starredner bei der AfD-Veranstaltung zum politischen Aschermittwoch im niederbayerischen Osterhofen auf.

Die inhaltlichen Gemeinsamkeiten der AfD und der FPÖ hinsichtlich antiaufklärerischer Gesellschaftsvorstellungen, des Hasses auf gesellschaftliche und institutionelle Vermittlung und der Begeisterung für die unmittelbare Herrschaft des ‚Volkswillens’, der Agitation gegen die EU und der außenpolitischen Nähe zu Wladimir Putins Russland liegen auf der Hand. Gleiches gilt für die Proklamierung eines völkischen Nationsverständnisses und der aggressiv-nationalistischen Positionierung in der Asyl- und Flüchtlingsdebatte. Im Bereich der Wirtschafts- und Sozialpolitik existiert allerdings ein nicht zu unterschätzendes Potenzial für zukünftige Konflikte, die von der AfD-Bundessprecherin Petry auch offen angesprochen werden.

Stärker noch als zu Haiders Zeiten steht die FPÖ heute für einen Sozialpopulismus samt eines gewissen, durch staatliche Regulierung zu gewährleistenden materiellen Substrats. Die AfD baut hingegen zumindest bisher und nicht zuletzt wegen ihrer Gründungsgeschichte auf einen radikalen wirtschaftspolitischen Antietatismus, der, würde er in konkrete Politik umgesetzt, jenes materielle Substrat noch deutlicher zusammenkürzen würde als die freiheitliche Agenda zum ‚Umbau’ des Sozialstaates, bei dem der Kult der ‚Leistungswilligkeit’ durch sozialpolitische Almosen für die abgehängten Teile der Volksgemeinschaft ergänzt bleiben soll. Ob es auch der AfD gelingen wird, ähnlich wie die FPÖ mit einem paradox anmutenden völkischen Neoliberalismus eine Synthese von Sozialabbau und sozialpopulistischer Alimentierung zu finden, wird sich erst noch zeigen müssen und maßgeblich für ihren zukünftigen Erfolg oder Misserfolg sein.

Für das sozial deklassierte oder sich von Deklassierung bedroht fühlende Wählerpotenzial von AfD und FPÖ scheint es so, als würden die etablierten Parteien im vorauseilenden Gehorsam gegenüber nicht dingfest zu machender internationaler Finanzagenturen und nicht greifbarer Politagenten ihre korporatistischen Versprechen zugunsten eines Setzens auf den Neoliberalismus verraten. Auch ohne explizit antisemitische Äußerungen kommen sie als Gemeinschaft der sich permanent belogen und betrogen Fühlenden gar nicht umhin, sich immer wieder dunkle Mächte zu halluzinieren, die für alles und jedes verantwortlich gemacht werden, was zwangsläufig antisemitischen Ressentiments Tür und Tor öffnet. Insofern ist es kein Wunder, dass hinter der Vorstellung von einer vermeintlich ‚gesteuerten Masseneinwanderung’ stets auch die Frage nach den ‚wahren Drahtziehern’ lauert, wie sie von der Anhängerschaft der FPÖ und der AfD immer wieder aufgeworfen wird.

Wie schon für die FPÖ wird es auch für die AfD eine große Herausforderung sein, konsequente Deregulierung von Wirtschaft und Gesellschaft und Schutz der eingeborenen Deklassierten, von Deklassierung Bedrohten oder sich von Deklassierung bedroht Wähnenden unter einen Hut zu bringen. Weder die AfD noch die FPÖ stehen für einen Neoliberalismus, wie er in anderen westlichen Demokratien von bestimmten Kapitalfraktionen favorisiert wird, sondern sie agitieren für die Produktivierung der völkischen Nation. Der Neoliberalismus wird – in der AfD weitgehend auch schon zu Bernd Luckes Zeiten – nur als Fitnessprogramm für Nation und Vaterland akzeptiert, nicht als umstandslos zu gewährende schrankenlose Freiheit für das Kapital.

Die Erfolge von AfD und FPÖ speisen sich unter anderem aus der Krise des keynesianistischen Wohfahrtsstaates. Galt der korporatistische Staat des Austrokeynesianismus und der sozialpartnerschaftlich formierten BRD als Sachwalter und Anwalt der ‚ehrlichen Arbeit’ und des auf das ‚Gemeinwohl’ verpflichteten Kapitals, so gilt er der Gemeinschaft jener sich konstant belogen und betrogen Fühlender, aus der sich maßgeblich das Wählerpotenzial von AfD und FPÖ zusammensetzt, heute als Räuber an der ‚ehrlichen Arbeit’ und zugleich zunehmend als asozialer Vertreter des ‚vagabundierenden Finanzkapitals’. So konstituiert sich eine Gemeinschaft von sich permanent übervorteilt Wähnenden, die jedoch ihre Ressentiments gegen ‚das System’ und ‚das Establishment’ ausgehend von sehr unterschiedlichen sozialen Lagen artikulieren. Die einen, die von der Mehrwertproduktion nach wie vor in nicht unbeträchtlichem Ausmaß profitieren, misstrauen dem Staat, weil er die Verarmten überhaupt noch mittels Transferleistungen versorgt, die anderen, die zunehmender Verelendung ausgesetzt sind, sehen sich hingegen verraten, weil der Staat diese Transferleistungen permanent zusammenkürzt – und sie suchen ihr Heil ausgerechnet bei denen, die noch konsequentere Kürzungen fordern, diese aber mit dem psychischen Mehrwert eines aggressiven Gemeinschaftsgefühls austarieren. Wie man diese von ihren unmittelbaren ökonomischen und sozialen Interessen stark divergierenden Klientele als »soziale Heimatpartei« (bekanntlich die zentrale Selbstbezeichnung der FPÖ) zumindest propagandistisch unter einen Hut bringen kann, könnte die AfD von der FPÖ lernen – auch wenn diese notwendigerweise nicht anzugeben vermag, wie derartige Widersprüche nicht nur rhetorisch, sondern in konkreter Regierungspolitik aufgelöst werden könnten. Schon daher werden auch in Zukunft beide Parteien auf die sowohl integrierende wie exkludierende Kraft eines völkischen Nationalismus setzen, der ohne Bezüge auf Versatzstücke der Ideologie des Nationalsozialismus nicht zu haben ist.

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