Mit der IRI gegen den IS?
Im Windschatten der Verhandlungen über das iranische Atomprogramm und insbesondere seit dem 2015 in Wien am Theodor-Herzl-Platz ausverhandelten Atomabkommen konnte das Regime der Ajatollahs und Revolutionswächter seine Macht in der Region des Nahen und Mittleren Ostens massiv ausbauen. Durch die Fixierung des Westens auf den ‚Islamischen Staat’ (IS) konnte sich die ‚Islamische Republik Iran’ (IRI) sogar in die Phalanx des »Kampfes gegen den Terror« einreihen, obwohl es selbst weiterhin zu den wichtigsten Förderern des islamistischen Terrors gehört.
Das in der Gedankenwelt der iranischen Islamisten stets als Prinzip anerkannte maslahat (eine Zweckdienlichkeit jenseits ideologischer Bedenken und Zielsetzungen, mit der die Ideologie aber nicht überwunden, sondern nur temporär zurückgestellt wird) führt in der aktuellen Situation offensichtlich dazu, die zeitweilige und partielle Beschränkung des Atomprogramms weitgehend zu akzeptieren, um zum einen die Sanktionen loszuwerden und sich zum anderen während der Dauer des Abkommens vorerst auf den seit 1979 propagierten, aber noch nie so erfolgreich wie derzeit betriebenen Revolutionsexport in der Region des Nahen und Mittleren Ostens zu konzentrieren.
Das Bündnis mit der libanesischen Terrormiliz Hisbollah ist auch unter Präsident Hassan Rohani intakt und bekommt durch den Krieg in Syrien zentrale Bedeutung; jenes mit der palästinensischen Hamas wurde erneuert. In letzter Zeit wird insbesondere die Unterstützung der Huthi-Rebellen im Jemen verstärkt, zu denen die Hisbollah und die Pasdaran schon länger enge Kontakte pflegen, und die sich ideologisch in den letzten zwei Jahren deutlich dem iranischen Regime und der Hisbollah angenähert haben. Über ihre Prioritäten lassen die jemenitischen Verbündeten Teherans keine Zweifel aufkommen, wenn sie in den Schriftzügen ihres Logos verkünden: »Gott ist groß! Tod den USA! Tod Israel! Verdammt seien die Juden! Sieg dem Islam!«
Wie der iranische Vormarsch im Nahen Osten weitergehen könnte und warum er in den israelischen Stellungnahmen zum Atomdeal so breiten Raum eingenommen hat, wird zum einen dadurch deutlich, dass mittlerweile hochrangige iranische Militärs unmittelbar an der Grenze zu Israel auftauchen, wie beispielsweise im Juli 2016 der damalige Basij-Befehlshaber und General der Pasdaran, Mohammad Reza Naqdi, der »die Vernichtung Israels in den nächsten 10 Jahren« für »unvermeidlich« hält. Im März 2017 verkündete die vom iranischen Regime kontrollierte irakische Miliz Harakat al Nujaba die Gründung einer »Golan Liberation«-Brigade, die unmittelbar an der israelischen Grenze aktiv sein soll. Zum anderen sollte man sich eine Äußerung von Qassem Soleimani vor Augen halten, des Kommandanten der für Auslandseinsätze zuständigen Quds-Brigaden der Revolutionswächter, die das Ziel all ihrer Bestrebungen – Jerusalem – bereits im Namen tragen. 2015 erklärte Soleimani, dessen Einfluss im iranischen Machtgefüge durch das Engagement der Pasdaran im Irak und in Syrien enorm gewachsenen ist, der Iran könne in einer ähnlichen Weise, wie er jetzt schon den Irak, Syrien und den Libanon kontrolliert, demnächst auch Jordanien kontrollieren. Im März 2017 betonte der Kommandant der Revolutionswächter, Ali Jafari, dass die globale Herrschaft des Islams und des Systems der ‚Islamischen Republik‘ das Bestreben des iranischen Regimes bleibe, und im Juni 2017 gab es erstmals Meldungen, dass das Regime in Teheran nun durch seine Erfolge im Irak, in Syrien und im Libanon sein Ziel einer durchgängigen Route vom Iran bis an die Mittelmeerküste verwirklicht habe.
Die Anschläge des IS auf das Parlamentsgebäude und das Khomeini-Mausoleum in Teheran im Juni 2017 haben es für israelische Politiker unterschiedlichster Couleur noch schwieriger gemacht, ihren westlichen Gesprächspartnern klarzumachen, dass trotz der diversen sunnitisch-djihadistischen Milizen in Syrien und dem Irak, und auch trotz des IS, über dessen Rolle als Avantgarde eines völlig perspektivlosen Massenmordislams sich in Tel Aviv und Jerusalem niemand Illusionen macht, in militärischer Hinsicht weiterhin das iranische Regime, die Hisbollah und ihre Verbündeten die derzeit entscheidende Bedrohung für Israel darstellen. Selbstverständlich ist der IS eine durch und durch antisemitische Organisation. Das manifestiert sich nicht zuletzt in jener offen judenfeindlichen Wahl der Terrorziele seiner Kader und Anhänger in Europa, die in deutschsprachigen Medien häufig unter den Tisch gekehrt wird. Und auch bei der Ankündigung von Attacken gegen und im Iran, die der IS im März 2017 auf Farsi veröffentlicht hat, verweisen die Kämpfer des sunnitischen Möchtegern-Kalifats explizit auf die im Iran verbliebene kleine jüdische Minderheit, die in den Augen des IS augenblicklich zu ermorden wäre, während das iranische Regime die nach der Islamischen Revolution verbliebenen wenigen Juden solange akzeptiert, wie diese sich dem Herrschaftsanspruch des Islam unterwerfen, ihre Rolle als systematisch diskriminierte Minderheit akzeptiert und sich beständig und demonstrativ von Israel und vom Zionismus distanziert.
Hinsichtlich der Bekämpfung Israels verfolgt der IS eine andere Strategie als das iranische Regime und hat ein eigenes Strategiepapier zur Frage des Djihad in Palästina veröffentlicht, in dem er sein Unverständnis dafür zum Ausdruck bringt, warum Juden mehr bekämpft werden sollten als andere »Ungläubige«. Perspektivisch müsse es selbstverständlich auch gegen die Juden in Israel gehen, dafür sei aber zunächst der Sturz der »ungläubigen« arabischen Herrscher in den Nachbarländern des jüdischen Staates notwendig, was erklärt, warum sich der IS derzeit sowohl militärisch als auch propagandistisch gegenüber Israel vergleichsweise zurückhält, aber immer wieder Versuche unternimmt, auf der ägyptischen Sinai-Halbinsel oder – nicht zuletzt auf Grund der engen Kooperation zwischen Amman und Jerusalem bisher deutlich weniger erfolgreich – in Jordanien Fuß zu fassen.
Anders als das iranische Regime, das für seinen antiisraelischen Kurs über sonstige Differenzen beispielsweise mit der sunnitischen Hamas hinwegsehen kann und auch für Kooperationen mit vermeintlich moderaten oder links-säkularen palästinensischen Organisationen zur Verfügung steht, solange es gegen den gemeinsamen zionistischen Todfeind geht, erteilt der IS einer derartigen antiisraelischen Bündnispolitik eine explizite Absage, verteufelt nicht nur »säkulare und kommunistische Bewegungen« wie Fatah, PFLP und DFLP, sondern auch die unmittelbar mit dem Iran kooperierenden »Ungläubigen« von der Hisbollah und dem Islamischen Djihad sowie die »Apostaten« von der Hamas. Der IS droht allen palästinensischen Fraktionen, die weiterhin ihrem Nationalismus frönen, anstatt sich den hehren Zielen des IS-Kalifen für eine von »Polytheismus« und »Unglauben« in jeglicher, keineswegs bloß jüdischer Ausprägung »gesäuberten Welt« unterzuordnen.
Die IS-Anschläge in Teheran werden vermutlich dazu führen, dass es dem Ajatollah-Regime in Zukunft noch leichter fällt, seinen Export des islamistischen Terrors unter dem Banner der Bekämpfung des Terrors anzupreisen. Die Bereitschaft in Europa und im Westen, an der absurden Strategie festzuhalten, mit der ‚Islamischen Republik‘ den ‚Islamischen Staat‘ zu bekämpfen, ist durch die IS-Angriffe vom Juni 2017 im Iran nochmals gestärkt worden. Israel kann in seinem Bestreben, den iranischen Einfluss im Nahen Osten zurückzudrängen, wohl kaum auf seinen europäischen ‚Verbündeten‘ zählen.