Town in Fear
Manchmal passieren Dinge, die selbst erfahrene MedienrezipientInnen in Staunen versetzen. Die Linzer Rundschau, ein Blatt von dem man das nicht vermuten würde, hat sein Herz für die Obdachlosen entdeckt. Auf einer ganzen Seite wurden kürzlich Sozialvereine vorgestellt, die sich der Probleme der Obdachlosen annehmen, es kamen Sozial-Experten zu Wort, die betonen, dass die »sichtbaren Obdachlosen nur die Spitze des Eisbergs« seien. Und die Rundschau fordert von der Politik ausreichend Plätze in den Sozialeinrichtungen, weil diese an allen Ecken und Enden an ihre Kapazitätsgrenzen stießen. Über den wirklichen Grund für den Gesinnungswandel klärt ein Kommentar auf. »Noch traut es sich niemand in den Mund zu nehmen, doch gerade im prestigereichen Kulturhauptstadtjahr 2009 wird der richtige Umgang mit Obdachlosen und Bettlern im öffentlichen Raum wohl zu den heikelsten Themen zählen«, so der Kommentator. Es ist also weniger der Fakt, dass es Obdachlose gibt ein Problem, schon gar nicht die Ursachen, die zu Obdachlosigkeit führen, sondern allein die Tatsache, dass sich diese im öffentlichen Raum aufhalten und somit für die LinzerInnen und die TouristInnen sichtbar sind. Der Kommentator will aus seinem Herzen keine Mördergrube machen. Wenn die SozialarbeiterInnen und StreetworkerInnen engagiert weiterarbeiten, droht er, müsse man es im Jahr 2009 nicht wie die Stadt Salzburg machen. »Dort wurden die Obdachlosen der Innenstadt vor zwei Jahren rechtzeitig zu Beginn der Festspielzeit von der Polizei ‚eingesammelt‘ und aufs Land gebracht.« Das liest sich schon eher nach Rundschau und spiegelt verräterisch den Wunsch des Verfassers. Ein typischer Fall von freudscher Verneinung, die in dessen Innerstes blicken lässt.
Das Geschäft mit der Angst
Den Linz 09 BesucherInnen müsse der Anblick von Obdachlosen und Bettlern erspart bleiben, so der Tenor und damit des Volkes Meinung bei der Stange gehalten wird, verweist der Kommentator auf ein »drastisch schwindendes subjektives Sicherheitsgefühl« der LinzerInnen, der Anblick von Obdachlosen und BettlerInnen »sorgen bei beunruhigten PassantInnen immer wieder für Aufregung«. Hier blüht das Geschäft mit der Angst. Je niedriger das Anliegen, desto mehr Angst wird vorgegeben. Das gesunde Volksempfinden ist plötzlich voller Angst und die medialen Verstärker bedienen sich ihrer, um immer drakonischere Maßnahmen gegen die »Störungen« im öffentlichen Raum durchsetzen zu können. Mit der selben Masche ist gegen die Kids auf der Linzer Donaulände kampagnisiert, sind die so genannten Punks in der Innenstadt von ihren Plätzen vertrieben worden. Mit dem »schwindenden subjektiven Sicherheitsempfinden« und der daraus resultierenden Angst der BürgerInnen ist die Altstadt plötzlich zu einem Hot Spot der Gewalt gemacht worden. Rationale Argumente vermögen hier nicht durchzudringen. Da können StatistikerInnen und KriminologInnen noch so oft nachweisen, dass die Kriminalität zurückgeht, wenn die Angst im Spiel ist, die im Gegensatz zur Furcht immer was Irrationales ist, dann konstituiert sich die Volksseele zu einem fanatischen Mob, der kompromisslos alles Andere, im Linzer Fall die Kids, die Obdachlosen oder die MigrantInnen zum Verschwinden bringen möchte.
Kids als Sicherheitsrisiko
Wenn die Rundschau meint, dass »wenige Monate vor Linz 09 sich die Stadt zunehmend der Frage nach der Verwahrlosung im öffentlichen Raum stellen muss«, gibt sie auch gleich bekannt, wessen Sprachrohr sie ist. »VertreterInnen der Wirtschaft sehen durch Obdachlose und BettlerInnen ihren (Innenstadt-) Standort gefährdet«, heißt es. Es geht also um den gesicherten und ungestörten Konsum, den die Innenstadt nicht zuletzt in Konkurrenz zu den Einkaufszentren am Stadtrand bieten will. Man will durch bauliche Maßnahmen, durch die Installation von Überwachungstechnologie, durch private Sicherheitsdienste und selbstverständlich durch polizeiliche Maßnahmen unerwünschte Gruppen fernhalten und konsumabträgliche Situationen vermeiden. Die Kampagnen der Rundschau sind ein Zahnrad in dieser Maschine des Konsums und des Tourismus. Neu sind diese Strategien allerdings nicht, aber der öffentliche Raum in der Linzer Innenstadt wird anlässlich des Kulturhautstadtjahrs neu verhandelt, es wir neu definiert wer hier erwünscht ist und wer nicht. Das Perfide dabei ist, dass die Steigerung des Warenumsatzes und die profitable Verwertbarkeit der Immobilien in direkten Zusammenhang mit Sicherheit und Ordnung in der Innenstadt gestellt und diese wiederum in Zusammenhang mit unerwünschten Bevölkerungsgruppen gebracht werden. Also sind Obdachlose, kiffende Kids, Bier trinkende Punks plötzlich eine wirtschaftliche Bedrohung und keine BenutzerInnen des öffentlichen Raums mehr.
Urbane Exoten
Anleihen haben sich Innenstadt-HändlerInnen in Städten in der benachbarten Bundesrepublik genommen. Eine Initiative von EinzelhändlerInnen in Frankfurt beispielsweise demonstrierte schon vor Jahren mittels eines »Verlustbarometers« die Umsatzeinbußen, die angeblich durch die Anwesenheit der Drogen- und Obdachlosenszene entstanden sein sollen. Noch deutlichere Worte fand der Präsident der Bundesarbeitsgemeinschaft der Einzelhändler (das ist die Schwesterorganisation der Wirtschaftskammer): Die besten Verkaufslagen würden ruiniert, »weil dort urbane Exoten, wie Obdachlose, Bettler, Punker und Drogenabhängige im Pulk ihr Lager aufschlagen und über aggressives Betteln, Anpöbeln und Drogenexzesse die Passanten aus den Innenstädten vertreiben.« Argumente die von den Bettler-Debatten in anderen österreichischen Städten bestens bekannt sind und die in manchem hiesigen Lokalblatt willig vervielfältigt worden sind. Auf die Spitze trieb es der Düsseldorfer Wirtschaftslobbyverband »Forum Stadt Marketing«, eine Organisation vergleichbar mit dem Linzer City Ring, in einer Aussendung: Um Sauberkeit, Sicherheit und Ordnung durchzusetzen gehörten die Obdachlosen schlicht »weggeräumt«. (Wer hier an die Rundschau denkt, liegt so falsch nicht, denn »einsammeln« meint wohl das Selbe.) Sie seien »ebenso wie Taubenkot und Graffitis, kein Anblick, der zur Steigerung von Attraktivität und Kaufkraft beiträgt.«
Die Kampagne der Rundschau für ein »sauberes Linz« erscheint unter diesem Blickwinkel in einem völlig neuen Licht. Es geht hier offensichtlich nicht um weggeworfene PET-Flaschen die es einzusammeln gilt, sondern um Personengruppen, die aus der Stadt verschwinden sollen. »Eine der neuen Volkssportarten in unserer schönen Stadt scheint das Vertreiben von Menschen zu sein. Schon bald nach der erfolgreichen Vertreibung von der Donaulände zog eine Gruppe von obdachlosen Menschen, darunter erschreckend viele junge Menschen, weiter zum Taubenmarkt. Das Menschenleben der Obdachlosen wird jedoch immer weniger wert. Eine kalte und kranke Gesellschaft in der wir leben.« bringt es Hannes in der Obdachlosenzeitung Kupfermucken auf den Punkt. Die Linzer Innenstadt ist zum heißen Pflaster geworden, allerdings nur für jene, die dort nicht gerne gesehen werden.
Wer spricht?
Die Debatte um den öffentlichen Raum ist nicht ganz jung und schmeckt schon etwas schal. Ein Raum der Kommunikation und des Austausches, der Erholung, sagen die einen. Ein Ort der Begegnung, wiederum andere. Oder doch nur eine riesige Shopping Mall? Ein Museum? Ein Ort der lückelosen Überwachung und Kontrolle? Eine Arena des Spektakels und des damit verbundenen Tourismus? Gewiss, der öffentliche Raum ist von allem etwas. Aber dass die Entwicklung derzeit in Richtung Konsum, Spektakelplatz und Kommerzarena geht, ist keine Neuigkeit. Der Soziologe Peter Arlt erklärte kürzlich auf einem Symposium, dass es den öffentlichen Raum als einen für alle jederzeit frei betretbaren, frei zu nutzenden und darüber hinaus als gesellschaftlich integrativen Ort nie gegeben hat. Dies sei ein (bürgerliches) Konstrukt, auf das sich hartnäckig alle berufen, wenn sie über den aktuellen öffentlichen Raum diskutieren und ihn kritisieren. Öffentlicher Raum ließe sich nicht ein für allemal definieren, denn er unterliege einem beständigen Wandel. In Linz hat dieser Wandel nicht zuletzt aufgrund der Kulturhauptstadt Linz 09 eine ungeheuerliche Dynamik erhalten.
Öffentlicher Raum ist nicht einfach vorhanden und wird jetzt plötzlich privatisiert, kommerzialisiert und überwacht. Vielmehr wird dieser Raum durch soziale Praxen immer wieder und ständig hergestellt. Die Frage ist, wer spricht im öffentlichen Raum der Stadt, wer verändert ihn. Es sind gewiss nicht jene, die aus ihm vertrieben werden sollen. Hegemonial sind aber derzeit jene, die der Privatisierung des Öffentlichen Raums das Wort reden, die ihn sich unter den Nagel reißen wollen. Linz 09 ist ein Werkzeug für diese Entwicklung, die aber gewiss nicht unabänderlich ist.