Müßiggang ist aller Tugend Anfang

Dass »nicht Arbeit, sondern Muße das Ziel des Menschen ist – oder schöne Dinge herstellen oder schöne Dinge lesen oder einfach die Welt mit Bewunderung und Entzücken betrachten,« darin ist sich Maria Wölflingseder mit Oscar Wild einig.

Ein aktueller Bestseller über den Müßiggang? Erstaunlich! Die Welt am Sonntag nennt ihn »eine fulminante kulturgeschichtliche Rechtfertigung der Faulheit«. »Je länger man in dem Band liest, desto idiotischer erscheint ein Großteil der emsigen Routine, die unser Leben dominiert«, schreibt die Sunday Times.
Die Übersetzung von »How to be idle« des Briten Tom Hodgkinson ist nun bei Heyne unter dem Titel »Anleitung zum Müßiggang« als Taschenbuch erschienen. (2004 bei Penguin Books und erstmals auf deutsch im Rogner und Bernhard Verlag bei Zweitausendeins aufgelegt.)
Tom Hodgkinson, geboren 1968, hat englische Literatur studiert und in vielen Jobs gearbeitet. Nach dem Rauswurf bei einer bekannten Boulevardzeitung hat er von der Sozialhilfe gelebt, bevor er die Zeitschrift The Idler (
www.idler.co.uk) gründete. Das Werk ist das Ergebnis seines Durchforstens der Geschichte auf der Suche nach literarischen und philosophischen Gustostückchen zum Thema Müßiggang. Das 365 Seiten lange, großteils sehr kurzweilige, flüssig und flott zu lesende Buch ist in 24 Kapitel unterteilt: in die 24 Stunden eines Tages. Jedes Kapitel behandelt ein Thema, das zur Stunde passt. Sie lesen sich großteils wie eine Auflistung all dessen, was im Laufe der Zeit scheibchenweise abgeschafft wurde oder heute gerade dabei ist, abgeschafft zu werden zugunsten des einzigen Zwecks, der noch zählt, des Selbstzwecks Wertverwertung, sprich Geldvermehrung: Das Im-Bett-Bleiben am Morgen, das Bummeln und Flanieren, das Mittagessen, das Mittagsschläfchen, die Teezeit, das Kranksein, das Angeln (»Wasser kann hypnotisieren und beruhigen, inspirieren und elektrisieren wie kaum ein anderes Medium«), das Nichtstun daheim, der Sex (jenseits von Tantra-Sex und jener kruden »Mischung aus Religion und Sport«), die Kunst der Unterhaltung, Meditation, genügend Schlaf oder das Betrachten von Mond und Sternen.

Wilde, Benjamin, Thompson & Co.

Eine illustre Runde bedeutender Denker und Dandys durchwandert das Buch:
* Karl Marx’ Schwiegersohn Paul Lafargue (1842–1911) mit seinem »Recht auf Faulheit«.
* Der britische Mathematiker, Nobelpreisträger für Literatur, Friedensaktivist und Verfasser gesellschaftskritischer und philosophischer Schriften Bertrand Russel (1872–1970) mit seinem »Lob des Müßiggangs«.
* Der britische Wirtschaftshistoriker, Journalist, Essayist und Friedensaktivist Edward P. Thompson (1924–1993), der 1956 aus der Kommunistischen Partei austrat, mit seinen historischen Arbeiten über die britischen radikalen Bewegungen des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts, insbesondere mit seinem Buch »Die Entstehung der englischen Arbeiterklasse«, das Historiker der Arbeiterbewegung auf der ganzen Welt beeinflusste.
* Der deutsche Philosoph, Literaturkritiker, Übersetzer und Flaneur Walter Benjamin (1892–1949) mit seinem mehr als tausendseitigen unvollendeten »Passagen-Werk«.
* Der englische Maler und Dichter William Blake (1757–1827), ein früher Kritiker der »tyrannischen Zahnräder«.
* Und die bekannteste Koryphäe in Sachen Müßiggang: Oscar Wilde (1854–1900) mit seinem Leben im Allgemeinen – er verband Kunst und Kritik auf exquisite Weise –, seiner Literatur im Besonderen und ganz speziell mit seinen Essays »Der Sozialismus und die Seele des Menschen« und »Der Kritiker als Künstler«. Letzteres »Mit einigen Anmerkungen über die Bedeutung des Nichtstuns«.

Flaneure und Schläfer

Gegen all den höllischen Nonsens der Leistungsgesellschaft setzt Hodgkinson weiters so unterschiedliche Müßiggänger und Flaneure wie Sherlock Holmes und John Lennon, Baudelaire und Walter Benjamin, Victor Hugo und Jim Morrison, William Blake und Beethoven, sowie große Schläfer und Im-Bett-Schreiber wie Cicero, Horaz, Jonathan Swift, Rousseau, Voltaire, Mark Twain, Robert Louis Stevenson, Proust, Colette und Winston Churchill. Schön zu erfahren, welche der Philosophen und Künstler zu den sinnlichen Müßiggängern zählten! Die große Epoche der vornehmen Flanerie in London war das 18. Jahrhundert. Dies spiegelte sich auch in den Namen der Zeitschriften wider, die in diesem literarischen Jahrhundert gegründet wurden: Spectator, Observer, Tatler (Plauderer), Wanderer, Rambler (Flaneur), Adventurer.
Es macht wohl den Erfolg des Buches aus, dass es sehr unterschiedlich gelesen werden kann. Erstens als spannende, amüsante Kulturgeschichte des Müßiggangs sowie als Anregung, die Bücher der Autoren, aus denen die Fülle an historischen Zitaten und Beispielen stammt, auch selber aufzuschlagen. Zweitens als Anstoß für die LeserInnen, sich – trotz der widrigen Lebensumstände – mehr Müßiggang zu verschaffen. Und drittens als Ermunterung, weitreichende Konsequenzen zu ziehen bzw. gesellschaftlich einzufordern und mitzugestalten.

Tom Hodgkinson: Anleitung zum Müßiggang, Heyne Verlag, München 2007, 360 Seiten, 8,95 Euro (D).

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