Negative Gewerbefreiheit
Zu Beginn von Brechts Dreigroschenoper hält Geschäftsmann Peachum folgenden Monolog: »Mein Geschäft ist zu schwierig, denn mein Geschäft ist es, das menschliche Mitleid zu erwecken. Es gibt einige wenige Dinge, die den Menschen erschüttern, einige wenige, aber das Schlimmste ist, daß sie, mehrmals angewendet, schon nicht mehr wirken. Denn der Mensch hat die furchtbare Fähigkeit, sich gleichsam nach Belieben gefühllos zu machen. So kommt es zum Beispiel, daß ein Mann, der einen anderen Mann mit einem Armstumpf an der Straßenecke stehen sieht, ihm wohl in seinem Schrecken das erste Mal zehn Pennies zu geben bereit ist, aber das zweite Mal nur mehr fünf Pennies, und sieht er ihn das dritte Mal, übergibt er ihn kaltblütig der Polizei.«
Von jeder Firma wird erwartet, dass sie sich mit Benchmarking und der Steigerung von Skalenerträgen befasst, um auf Marktveränderungen adäquat und flexibel reagieren zu können. Da mittlerweile Einzelmenschen ebenfalls als kleine Klitschen behandelt werden, müssen diese sich dito – selbst wenn es sich um eine arbeitslose Alleinerzieherin ohne Lehrabschluss handelt – dergestalt nach der Decke strecken, dass am Plafond statt Spinnweben tunlichst Netzwerke wuchern. Bei Bettelei ist das aber was Anderes: Diese darf gerade nicht organisiert verlaufen, länderübergreifend komparative Kostenvorteile realisieren und den Wettbewerb ankurbeln, der dann wieder die Wirtschaft wachsen lässt, woraufhin es dann allen gut geht.
Da ließe sich sagen: Richtig so! Schließlich ist es ein Skandal, dass Menschen in Regionen, in denen Überproduktion herrscht, sich dazu herabwürdigen müssen, wie in der Feudalordnung als Bodensatz der Verwertungskette Brosamen vom Herrentisch erflehen zu müssen. So einfach ist das im Regime kapitalistischer Mangelverwaltung – das die stalinistisch-christliche Maxime »Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen« mit Samthandschuhen exekutiert – natürlich nicht. Um dieser – für eine steigende Zahl von Menschen – unvermeidlichen Art der Existenzsicherung nicht völlig verlustig zu gehen, ist ein gangbarer Weg das Insistieren auf der Kehrseite des gespaltenen bürgerlich vergesellschafteten Individuums: Dem Staatssubjekt. Mit Verweis auf die Grundrechte ist Betteln zumindest eingeschränkt vor staatlichem Zugriff geschützt und – sobald Körperschaften dieses kassieren wollen – als Schutzbereich durch Anrufung übergeordneter justizieller Instanzen einklagbar. So geschehen vor dem Österreichischen Verfassungs-gerichtshof, der das in Salzburg beschlossene »absolute« Bettelverbot im Juli 2012 als verfassungswidrig aufhob, da es der – in Verfassungs-rang stehenden – Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) widerspricht, die das Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung (Artikel 10 Abs. 1) und die Achtung des Privat- und Familienlebens (Art.8 Abs.1) statuiert.[1] Die – jeweils unter Abs.2 – formulierten Gesetzesvorbehalte seien im Falle des »stillen« Bettelns nicht gegeben, die gesetzgebenden Körperschaften haben gemäß dem Stufenbau der Rechtsordnung also auch nicht das Recht, diese Form der (stillen) Meinungsäußerung zu beschneiden.[2] Die Bestimmungen in Oberösterreich, wonach »organisiertes« und »aggressives« Betteln strafbar sei, ließ der VfGH hingegen zu. Die – am 3. Juli 2014 im Landtag beschlossene – Novelle des oö. Polizeistrafgesetzes[3] beinhaltet unter anderem folgende Abänderungen: Die wichtigste besteht im Verbot der »gewerbsmäßigen Bettelei«. Wesentliche Punkte sind hierbei die »Normierung des gewerbsmäßigen Bettelns als Verwaltungsübertretung«, eine »Bettel-Verordnungsermäch-tigung« für Gemeinden, die »Festlegung der gesetzlichen Befugnisse für Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes«, sowie eine »Gesetzliche Grundlage zur Verwendung personenbezogener Daten«. Zulässig ist nach der Neuregelung nur noch »passives, stilles Betteln zur Überbrückung einer persönlichen Notlage einschließlich der naher Angehöriger«. Gewerbsmäßigkeit ist dann gegeben, wenn »das Betteln geplant, regelmäßig, also wiederholt oder in Wiederholungsabsicht, sowie in der Absicht betrieben wird, einen Ertrag oder sonstigen wirtschaftlichen Vorteil, der über die eigene persönliche Notlage oder die Notlage naher Angehöriger hinausgeht«. Als Indiz für die »Erwerbsentscheidung«, Betteln zur fortlaufenden Einnahmequelle zu machen, gilt eine »gewisse Planung des Vorgehens«, sowie dass andere Gaben als Geld nicht angenommen werden und einer »Einladung« zu behördlicher Beratung nicht nachgekommen wird. Was unter einer »erkennbaren oder erschließbaren Absicht, Dritte insofern zu täuschen, als das Bettelergebnis ganz oder teilweise anderen Zwecken als dem persönlichen Mindest-Fortkommen, bzw. dem naher Angehöriger dient, bzw. zugeführt wird oder eine tatsächliche Bedürftigkeit nicht besteht«, vorzustellen ist, dürfte wohl der Phantasie der (Hilfs)Exekutive überlassen sein.[4] Damit diese rechtliche »Vereindeutigung« nicht durch das Fehlen eines Willkürpassus angekränkelt ist, wurde zudem eine »Verordnungsermächtigung« eingeführt: Diese ermöglicht es den Gemeinden, zusätzlich zeitlich und/oder örtlich anlassbezogene Bettelverbote festzulegen. Diese kann bei »Demonstrationen, Veranstaltungen, zu Hauptgeschäftszeiten, stark frequentierten Einkaufstagen«, oder auch an »neuralgischen Punkten« (Bankomaten oder Haltestellen) in Kraft gesetzt werden, um eine »unzumutbare Belästigung der Bürgerinnen und Bürger« zu verhindern. Das Spektakel darf nicht verunziert werden: Bei »Genussmeilen« soll schließlich der Appetit nicht vergehen und Straßenkunst hat fröhlich-buntes Treiben zu sein. Dass sich auf der Internetseite der Landesregierung, auf der die Verordnung abrufbar ist, zur Illustration das Photo eines alten Mannes mit Geige findet, passt ins Bild: Soll er doch für Kuchenstücke im Musiktheater den »Zigeunerbaron« geben.
Federführend beteiligt an dieser Novelle war LH-Stv. Reinhold Entholzer (SPÖ), der mit einem subjektiven Untersicherheitsgefühl (sic!) in der Bevölkerung argumentierte.[5] Es gehe auch nicht darum, »das Betteln zu verbieten. Wir wollen gegen die organisierten Banden vorgehen, die bei der Bevölkerung das Gefühl auslösen, dass es ein Sicherheitsproblem gibt.«[6] »Aggressive Banden« sind auch nach LH Pühringer »für die Leute unzumutbar und bringen ehrliche Bettler in Verruf.« Jene ehrlichen Bettler also, die bei Bedarf (etwa wenn die sorgsam gehegte hiesige Eventkultur ihre Charaktermasken ausstellt) verstampert werden dürfen. Pühringer will deshalb auch ein »Pilotprojekt mit Wertmarken, die man Bedürftigen statt Geld geben könne« anregen und mit der Caritas darüber Gespräche führen.
Da Gefühle zumeist weder vom Himmel noch vom Lastwagen fallen, ist zu fragen: Wie kommt dieses »subjektive Untersicherheitsgefühl« zustande? Sowohl zu diesen Befindlichkeiten, als auch dazu, dass diese Novelle mit recht heißer Nadel gestrickt wurde, dürfte nicht zuletzt die tagelange Hetzkampagne des notorischen Kleinformats mit Schlagzeilen wie »Linz verkommt zur Bettler-Hauptstadt«, »Bettler Attacke vor Linzer Krankenhaus«, oder auch appelativ: »Macht Schluss mit Bettler-Schande« beigetragen haben.[7] Ist die Volksseele erst einmal am Köcheln, hilft auch nicht mehr der Hinweis der Polizei, dass es keinen signifikanten Anstieg des Bettelns gegeben habe.[8]
So wichtig es auch ist, auf die barbarischen Kampagnen und das – selbst übelsten Ressentiments – willfährige Entgegenkommen durch die Politik hinzuweisen, bleibt doch das Gefühl des Unbehagens – so ideologisch überformt und instrumentalisierbar es auch sei – angesichts bettelnder Menschen, das sich unschwer als psychologischer Abwehrmechanismus zu verstehen gibt. Selbst ohne in bedrängender Weise um Geld angegangen zu werden, spiegelt sich in der Abscheu vor Armut und der – selbst stummen – Forderung durch die entgegengestreckte Hand, die Angst vor der eigenen Deklassierung der abstiegsgefährdeten Mittelschicht; sowie die abzuwehrende Ahnung, dass dieses – dem ebenso stummen Zwang der Verhältnisse geschuldete – Schicksal, das eigene werden könnte.
Dass formale Gleichheit vor dem Gesetz zugleich (mittelbare) Diskriminierung durch das Gesetz bedeuten kann, ist eine triviale, wie richtige Feststellung: Trotz neutraler Formulierungen ist klar, auf wen das Gesetz abzielt (siehe den Beitrag von Simone Schönett). Das antiromaistische Stereotyp des »ewigen Wanderns« beinhaltet sowohl den Vorwurf der »Wurzellosigkeit«, als auch den Neid auf die vermeintliche Freiheit, die scheinbar mühelos die unstete Existenz sichert[9] und ist insofern Elementen des Antisemitismus analog. Es geht andererseits nicht darum, Betteln in schlechtester romantischer Tradition zu glorifizieren, aus seiner Form von Selbstorganisation und dabei vollzogenem »Kompetenzerwerb« akademisches Kapital zu schlagen[10], oder gar auf religiöse Gebote des Almosengebens zu verweisen. Im Bewusstsein, dass es gilt, die Zustände zu ändern, die Betteln nötig machen, sei deshalb ein Ausspruch Heiner Müllers zitiert: »Sie dürfen von einem Kommunisten keine Almosen erwarten.«[11]
[1] https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=10000308
[2] Urteil des VfGH: http://www.vfgh.gv.at/cms/vfgh-site/attachments/2/8/7/CH0006/CMS1346743623368/bettelverbot_salzburg_g155-10.pdf
[3] Regierungsvorlage unter: http://www2.land-oberoesterreich.gv.at/internetltgbeilagen/InternetLtgBeilagenAnzeige.jsp?jahr=2014&nummer=1172&gp=XXVII
[4] Erleichtert wird den Vollzugsorganen eine taxative Einordnung, wenn die betreffenden Personen, die »gemeinsam ausströmen« (das durch diese Formulierung evozierte Bild generalplanmäßig marodierender Horden dürfte nicht unwillkommen sein) und dabei »längere Anfahrtswege zum Zweck des Bettelns in Kauf genommen« haben.
[5] https://ooe.gruene.at/themen/soziale-gerechtigkeit/landtag-muendliche-anfrage-der-gruenen-an-lr-entholzer-zeigt-es-gibt-einfach-keine-rationale-begruendung-fuer-ein-verschaerftes-bettelverbot?map=1
[6] http://diepresse.com/home/panorama/oesterreich/3817255/Oberosterreich-will-aggressive-BettelBanden-verbieten
[7] Eine kleine Galerie findet sich auf dem Blog von Marika Schmiedt unter http://marikaschmiedt.wordpress.com/2014/06/07/das-geschaft-mit-der-angst-die-bettler-kampagnen-des-boulevards/
[8] http://www.nachrichten.at/oberoesterreich/Weniger-Bettler-auf-den-Strassen;art4,1405477
[9] Nicht ohne Grund werden zumeist absurde Summen herbei phantasiert, wenn es um erbetteltes Geld geht.
[10] Heroisierung des Bettelns findet sich auch bei der »Bettellobby«, die dankbar universitäre Qualifikationsarbeiten aufgreift, die diesem Bild entsprechen: http://bettellobbywien.wordpress.com/2009/07/03/arme-beim-korper-halten/#more-317
[11] http://www.zeit.de/1987/34/dichter-muessen-dumm-sein