Prozess für alle

Partizipation und Prozess für alle: Anlässlich des »Kulturentwicklungsplan neu« macht sich Tanja Brandmayr Gedanken über Partizipation zwischen Wellness und dem Ende der Kulturpolitik.

Ich habe im Oktober die Startveranstaltung des KEP neu besucht: Einführende Worte über den Kulturentwicklungsplan alt und neu, über Prozessdesign und Zielsetzungen allgemein und dann geht‘s ab in die medias res des Abends – in die Workshops zur »Stärken- und Schwächenanalyse« der Stadt Linz. Wegen der sehr großen Anzahl der BesucherInnen werden blitzschnell Gruppen geformt, die einer Diskussionsleiterin, einem Diskussionsleiter so schnell wie möglich in einen Raum folgen. Ich bin erstaunt, dass bei dem Affentempo, das meine Gruppenleiterin durch die verwinkelten Gänge des neuen Rathauses angeschlagen hat, meine Gruppe am Ende ausgerechnet aus doch einigen PensionistInnen besteht (neben Kulturschaffenden von Kindertheater, Brucknerhaus bis time´s up), was hier nur beispielhaft für eine gewisse Komik stehen soll: Es entstehen bunt zusammengewürfelte Grüppchen, die in flotten vierzig Minuten aus völlig verschiedenen Hintergründen ihre Gedanken zu Linz ganz allgemein und speziell formulieren sollen, um diese am Ende vor dem Plenum zu präsentieren. Das Positive klang dann mitunter nach recht bekanntem Wandel zur »Kulturstadt« und den »vielen neuen schönen Bauten«, ging andererseits bis zu den »dringend notwendigen Sonderförderprogrammen«, und wenn es um den eigenen Tellerrand im Speziellen ging, klang es auch mal so: »Also, ich finde schon, dass Linz ganz tolle Marken hervorgebracht hat, wie zum Beispiel die Klangwolke … was aber gar nichts damit zu tun hat, dass ich zum Fördererverein des Brucknerhauses gehöre«. Die Frage nach den Linzerischen Kulturschwächen führten von einem generellen Ärger über Zugeständnisse an den Populismus bis hin zum bekannten Lied des prekären Daseins der lokalen freien Kunst- und Kulturschaffens bis hin zu Stellungnahmen, die wiederum völlig gegenteilig ein krasses »Zuviel an zeitgenössischer Kunst« behaupteten. Und dann erst die Detailunterschiede! Oder die komplexen Zusammenhänge, die von der Gruppenleiterin am Flipchart gerne als »Bild« zusammengefasst werden wollten (Moderatorin: »Ja eh, aber was soll ich schreiben? Gib mir ein Bild, gib mir bitte ein Bild!«) Keine Frage: bei so einem partizipativen Prozess kommt kreuz und quer viel zusammen, wie auch folgender Dialog zwischen Gemeinderat und Kunstschaffender bei anderer Gelegenheit: – »Die Künstler sollten halt nicht nur fordern, sondern sich auch überlegen, was sie für die Stadt tun können.« – Antwort: »Dieses Argument gerade hier zu bringen, stimmt gar nicht, weil sich die Leute eh andauernd einbringen.« – Antwort: »Ja … das hier ist sowieso was anderes, weil hier auch neue Ideen zusammenkommen, die man aufgreifen kann.« Trotz dieses harten Aufschlags in den verschiedenen Realitäten des kulturellen Feldes ist die Stimmung überraschend gut, man ist beeindruckt von der durchdachten Prozessgestaltung, angeregt von der zügigen Geschwindigkeit, eingenommen vom proklamierten großen Ganzen, vom Miteinander und von der Gelegenheit (oder dem Muss) des eigenen Sprechens – und hat schließlich auch schon seine Verbündeten ausgemacht. Und das wiederum führt im Rahmen der Ergebnisse-Präsentation zu gelegentlichem Augenkontakt, Augenrollen und leisem Aufseufzen – oder lässt so manch irritierten Blick mit der Botschaft Entschuldigung-ich-konnte-das-in-meiner-Gruppe-nicht-verhindern im Raum herumschwirren. Aber alles in allem: nicht mal unlustig, so ein partizipativer Großprozess! Auch wenn da und dort doch einige Fünkchen Erschöpfung oder Skepsis aufzuflackern scheinen.

Wir wollen aber wegen ein bisschen Unbehagen nicht gleich anfangen, von »Scheinpartizipation« (dem kleinen aber feinen Unterschied von Teilnahme und Teilhabe) oder »Ideenklau« (gar zu paranoid?) zu sprechen, nein, gar nicht, denn ein bisschen Sprechen, Argumentieren und Vorschlagen ist tatsächlich zumutbar. Auch wenn dieser öffentliche Prozess dann doch gleich zu Beginn eine gewisse Ernüchterung entstehen lässt, was z.B. die Bedeutung der kleineren freien Initiativen und der eigenen Interessen anbelangt … dies aber gleich als beabsichtigte Desillusionierung zu bezeichnen, naja. Man will ja schließlich niemandem kleinlich Absicht in die Schuhe schieben, wo Größeres im Gange ist.

Wir wollen stattdessen gleich in die Vollen gehen und das Ende der Kulturpolitik ausrufen. Warum? Die Gelegenheit ist günstig, Konrad Becker und Martin Wassermair haben das auch getan, haben eben ein Buch herausgegeben, das unter dem Titel »Nach dem Ende der Politik. Texte zur Zukunft der Kulturpolitik III« Beiträge versammelt, die die derzeitige Bedeutung der Kulturpolitik einleitend so diagnostiziert: »Kulturpolitik ist als Kategorie öffentlichen Handelns kaum mehr sichtbar«. Interessanterweise macht Linz mit dem KEP und einem breit angelegten Partizipationskonzept nun die Kulturpolitik sehr wohl sichtbar und ich bin geneigt zu meinen, dass dieser Prozess eine spezielle Linzer Eigenheit ist, eine Mischung aus echter Ambition und kulturpolitischer Klugheit, die vergleichsweise geringe Größe der Stadt für den Luxus einer breiten Partizipation zu nutzen. Allerdings ist die Zielrichtung auch hier in Linz zunehmend auf »Einbindung« von Kultur gelegt, oder auf Verwertung, oder darauf, dass Kultur immer mehr Wirtschaft können muss – denn folgendes Zitat aus den »Texten zur Kulturpolitik« dürfte auch hier nicht ganz daneben liegen: »Kultur wird als ‚Soft Power‘ immer mehr zu einem Schauplatz des Wettkampfes von Städten und Regionen, in denen Kunst der Veredelung der Gastronomie und dem Serviceangebot für Tourismus und Immobilienindustrie dient«. Neben einer bezeichnenden Abwertung von Kultur im Angesicht der ökonomischen Sachzwänge passiere dementsprechend »eine ständige Aufwertung von Kultur, ungeachtet der zunehmenden Komplexität kultureller Praxen und Ausdrucksformen«. Kultur soll quasi als Super-Superkleber des Kommerzes oder des ökonomischen Notstands herhalten, je nachdem. Kultur ist so bunt aufgeblasen worden, dass man so gut wie alles reinpacken kann – mit nicht mehr klar auszumachenden kulturpolitischen Playern, und verkürzt: da und dort auch mal nur mit der Sehnsucht nach Kult statt wirklicher Kultur. Ganz praktisch auf Linz herunter gebrochen sieht man diese Ambivalenzen anhand der Tabakfabrik, deren 80.000 m2 dem Vernehmen nach auch einer kulturellen Nutzung zufließen sollen … und viele kennen bereits ein paar Geschichtchen dazu, deren Details hier allerdings den Rahmen sprengen würden.

Noch mal herunter gebrochen: Der Verein RedSapata hat nun eventuell die Möglichkeit, bis 2014 in die Tabakfabrik zu übersiedeln. Noch ist nix fix und alles muss erst genau angeschaut werden. Denn trotz dieser erfreulichen Entwicklung ist dringend zu überprüfen, was dort zwischen kommerzieller Ausrichtung und kulturpolitischer Wünschbarkeit überhaupt möglich ist – noch dazu für einen kleinen Kulturverein, der kaum über Geld verfügt. Wo die großen Konfliktlinien verlaufen: Es geht nicht nur um »Kultur«, sondern um einen anscheinend wieder groß aufgebrochenen Graben zwischen Kunst und Kommerz – und den dezidierten Auftrag der Stadt an die Tabakfabrik, Geld zu erwirtschaften. Jedenfalls war diesbezüglich in den letzten Wochen beinahe jeder Tag großes Kino. Auch angesichts dessen entsteht das Gefühl: Dass innerhalb dieses vertrackten Geflechtes von Politik und Kulturpolitik, Wirtschaft, Krise und globalen Entwicklungen ganz, ganz viel kulturpolitische Wünschbarkeit entsteht. Unter diesen Monsterflügelchen der Wünschbarkeit erscheint »Partizipation für alle« tatsächlich fast wie eine alle zusammenschweißende Wunderwaffe, nach dem Motto: Das Ende der Kulturpolitik ist der Anfang der Kulturpolitik!

Tatsächlich stehen gerade freie Kunst- und Kulturschaffende zurzeit ziemlich unter Druck. Das Schlimme ist, dass sich so manch Kunst- und Kulturschaffende auch nach langjährigem Tun und Treiben noch immer in der Position sehen, um die vielzitierte »Wertschätzung« kämpfen zu müssen, anstatt Geld fordern zu können … und sich statt über wirkliche Beträge über Peanuts freuen (müssen). That‘s reality, leider. Partizipation macht da per se leider auch noch nichts besser – da hat sich unter dem größeren Dach der Ökonomie bereits so einiger Schrott angesammelt, richtiggehend breit gemacht, der gar nicht nur speziell die Kultur betrifft. Diese totalökonomischen Entwicklungen (und besonders auch das halbwegs zufriedene Einrichten darin, diese Akzeptanz des Unannehmbaren), erinnern an die Theorie der Soziologin und Philosophin Eva Illouz, die hier in diesem Blatt bereits besprochen wurde: Sie erkennt in den Entwicklungen der weitgreifenden gesellschaftlichen Durchökonomisierung ganz signifikante Zeichen einer weit fortgeschrittenen und beinahe unentrinnbaren Psychologisierung von Macht und Geld. Frei übersetzt: Vor 100 Jahren hat Henry Ford seine ArbeiterInnen befragen lassen, die dann sogleich zufriedener und besser produziert haben … und heute wird Macht in NLP-geschulten Teams organisiert, die sich, quasi auf Augenhöhe, gegenseitig ihre Geldbeträge zuschieben. Dafür praktiziert man vom kommerziellen Interesse abwärts marketingmäßig korrekt die Tools Befragung und Teilnahme, und am Ende bleibt nach so einer Einbindung das Konsumverhalten als politische Entscheidungskategorie. In diesem Sinn entsteht eine verfestigte Struktur aus allseitigem Wellness-Feeling, die einerseits die Ressourcen bestimmt und bezeichnenderweise alles ausschließt, was nicht nach diesen Regeln funktioniert. Etwas weit hergeholt im Zusammenhang mit dem KEP? Vielleicht. Andererseits: Es gehört heute nicht viel dazu, auf einen maroden Kapitalismus zu schimpfen, der momentan leider alles verunmöglicht. Es gilt allseits, die Strukturen zu durchleuchten, die nur allzu wellnessmäßig einer global praktizierten, verschleierten Ökonomisierung zuarbeiten. Schöne Zeiten für Kulturpolitik, schöne Zeiten für uns alle: Tiefes Unbehagen neben fröhlichem Winwinwinwin-Feeling. Und am Schluss die offene Frage: Wie viel Wellness verträgt eigentlich die Kultur?

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