Ganz schön vermessen

Anna Masoner macht einen Streifzug durch die schöne neue Welt biometrischer Technologien

Ein kuscheliger Comic-Bär mit menschlichen Finger-, pardon, Tatzenabdrücken. Bert, der honiggelbe Biometrie-Bär ist der Hauptdarsteller einer Informationskampagne der EU- Kommission, die »den Kindern beibringen soll, wie man seine Tatzen auf den Fingerabdruck-Scanner legt, dass der grosse Bär nicht böse wird.« So war vor ein paar Monaten auf der Homepage des ORF-Technologieportals futurezone zu lesen. Die Kampagne habe zum Ziel Vorurteile junger Bürger gegenüber den neuen Kontrolltechnologien abzubauen. Es war nicht zufällig der 1. April und die Information entpuppte sich, aber klar, als Scherz, spätestens ab Zeile 10 in der von Josef Staehlin, Sprecher der Abteilung für Spass, Vergnügen und postdemokratische Gesellschaftsstrukturen die Rede war.
Aber klar, ein niedlicher Scherz? So abwegig klingt die Idee, eine europaweite Biometrieaufklärung zu starten, leider gar nicht. Schließlich ist Biometrie nicht nur auf EU-Ebene derzeit sehr in Mode und es gibt allerlei Popularisierungkampagnen. um biometrische Technologien den Leuten schmackhaft zu machen. Etwa in Wissenschaftsmuseen, die seit neuestem gemeinsam mit Biometriefirmen Ausstellungen rund um das Thema Personenidentifizierung organisieren.

Doch zurück zum Start. Was sind biometrische Technologien eigentlich und was kommt in diesem Punkt in den nächsten Jahren auf uns zu?
Biometrie ist heimlich und leise in den letzten Jahren bereits in so manchen Haushalt oder an manchen Arbeitsplatz eingezogen. Immer mehr Computer, USB Sticks oder auch Eingangstüren schmückt ein silbrig grauer quadratischer Sensor, der über meinen abgegeben Fingerabdruck entscheidet, ob ich zu einem Gebäude Zutritt habe, das Gerät benutzen kann oder nicht. Biometrie für den Haus- oder Firmengebrauch sei wahnsinnig toll, tönt es aus den PR- Verteilern führender Hersteller von biometrischen Zugangstechnologien. Sie verspricht Firmen einen Ausweg aus dem Passwortdschungel und auch die unendliche Schlüssel- oder Chipkarten-Vergabe soll mit biometrischer Hilfe ein Ende haben.

Biometrische Technologien dienen dazu, Menschen anhand von körperlichen Merkmalen, die als unveränderlich gelten, zu identifizieren bzw. zu verifizieren. Solche Merkmale sind beispielsweise die Linien an den Fingerkuppen, das Muster der Iris oder auch das Aussehen des Gesichts, um nur die häufigsten Anwendungen zu nennen.
Doch ob Hand, Auge oder Gesicht: Biometrische Systeme laufen im Wesentlichen identisch ab. Zuerst werden im Rahmen des Enrollment die biologischen Merkmale einer Person über einen Sensor oder eine Kamera erfasst, digitalisiert und gespeichert. Die Speicherung der Referenzdaten kann in vollständiger Form, in diesem Fall spricht man von Roh- oder Volldaten oder aber auch als abstrahierter Datensatz, in diesem Fall spricht man von Templates, passieren. Die Daten können dann entweder zentral in einer Datenbank gespeichert werden, wie es bei den meisten Zutrittssystemen der Fall ist oder wie derzeit beim Reisepass, nur auf einem Chip. Halte ich das nächste Mal den Finger auf den Sensor, werden die aktuell erhobenen Daten mit den gespeicherten Referenzdaten verglichen, man spricht hierbei vom Matching. Die wirkliche Crux liegt in diesem Schritt begraben. Denn aufgrund von Messfehler, zu geringen Merkmalsausprägungen und anderen Ungenauigkeiten ergibt sich beim Matching nie ein völlig eindeutiges Ergebnis. Der Computer, oder eigentlich der Programmierer dahinter legt bei jedem System eine sogenannte False Rejection Rate fest, d.h. er oder sie entscheidet inwieweit sich die aktuell aufgenommenen Daten von den Referenzdaten unterscheiden dürfen, damit ich für das System als dieselbe Person gelte. Ist das System zu streng, werde ich vom System möglicherweise nicht wiedererkannt, ist es zu lax besteht die Möglichkeit, dass eine andere Person Zutritt erhält.
Nicht nur aus diesem Grund hagelt es von vielen Seiten Kritik an der gelobten Technik. Vor allem der massenhafte Einsatz in Reisepass und anderen Dokumenten, wie ihn die EU seit 2004 vorschreibt, ist vielen ein Dorn im Auge. Datenschützer sprechen davon, dass mit dem massenhaften Einsatz von Biometrischen Technologien das Recht auf informationelle Selbstbestimmung flöten gehe, weil ich nicht im einzelnen nachvollziehen kann, welche meiner biometrischen Daten wo und von wem überall gespeichert werden. Aber auch Biometrieexperten selbst kritisieren, dass die Systeme zu wenig ausgereift und zu teuer seien, um eine ganze Bevölkerung biometrisch zu erfassen. Denn die neuen digitalen Gadgets im Pass, mehr dazu später, machen den Pass nicht sicherer als er ohnehin schon war. Schließlich finden auch Fälscher immer neue Tricks, um technologisch aufzurüsten und schließlich wurden bereits mehrmals englische, niederländische und deutsche RFID Chips im Pass gehackt. Manch einer vermutet gar hinter den politischen Entscheidungen für den biometrischen Pass versteckte Wirtschaftsförderungen der IT- und Biometrieindustrie.
Und die Förderung scheint offenbar zu greifen. Der deutsche Branchenverband BITKOM veröffentlichte vor kurzem eine Studie nach der sich bis 2010 das Volumen des Biometriemarktes verdoppeln wird. Von 120 Millionen 2006 auf 300 Millionen 2010. Auch wenn sich das nicht ganz so erfüllen mag, das Geschäft mit der Sicherheit beschert bereits jetzt einigen Firmen eine ganze Menge Kohle.
Sie heissen beispielweise Siemens, Sagem Morpho oder NEC, um einige der führenden weltweit agierenden Hersteller von biometrischen Kontroll- und Sicherheitstechnologien zu nennen. Und sie liefern nicht nur Zugangskontrollsysteme an die Privatwirtschaft. Sie buhlen auch um den fetten Kuchen der so gennannten »Homeland Security«, auf Deutsch so was wie Heimatschutz, also dem Schutz der Bevölkerung und dem Staatsterritorium vor terroristischen und anderen Bedrohungen. In den USA gibt es dafür seit 2002 ein eigenes Ministerium. Ein Begriff der alles und nichts sagt und nichtsdestotrotz seit 9/11 auch innerhalb der EU kursiert. Und wie macht man bekanntlich die Heimat sicherer? Genau, indem man es schwieriger macht über die Grenze zu kommen.

Im Juni 2009 geht die Ära biometrischer Pässe in Österreich in die zweite Runde. Seit 2006 ist auf neu ausgestellten österreichischen Pässen ja bereits das Foto, die Unterschrift, der Name, das Geburtsdatum, die Staatsbürgerschaft, die Gültigkeitsdauer und die Passnummer digital auf einem RIFD-Chip gespeichert. Ab 2009 kommen in Österreich EU-konform bei der Beantragung eines Reisepasses zwei Fingerabdrücke dazu. In den Ämtern muss sich dann jeder, der älter als 6 Jahre ist, erkennungsdienstlichen Verfahren unterziehen, wie es bisher nur für vermeintliche Kriminelle der Fall war.
Zum ersten mal wurde der Fingerabdruck übrigens im 19. Jahrhundert in Indien eingesetzt um große Teile der Bevölkerung zu erfassen. Die britischen Kolonialbeamten erfassten jeden Menschen indischer Herkunft, der irgendwas mit den Behörden zu tun hatte. Etwa wenn es darum ging, einen Arbeits- oder Besitzvertrag abzuschließen, Schuldscheine oder Bestätigungen für den Erhalt von Staatspensionen zu unterschreiben. Dem zugrunde lag ein tiefes Misstrauen der Kolonialverwaltung gegenüber der kolonialisierten Bevölkerung. Inder seien äußerlich, schwer zu unterschieden und die Beamten fürchteten, dass sie von ihnen deshalb hinters Licht geführt würden, indem beispielsweise Staatspensionen von bereits Verstorbenen weiterbezogen wurden. Die Briten fanden die Fingerabdrücke anscheinend so praktisch, dass sie sie gleich in den Mutterstaat exportierten. 1901 führte Scotland Yard in Großbritannien den Fingerabdruck ein. Allerdings nur mehr für vermeintliche kriminelle Subjekte, die erkennungsdienstlich behandelt wurden.
Doch zurück in die Zukunft, äh Gegenwart. Ob mit den neuen technologischen Maßnahmen wirklich Passfälschern dass Handwerk gelegt wird, wie es aus dem Mund von zahlreichen europäischen Innnenministern tönt, ist sehr fraglich. Sicher ist allerdings, dass die Kosten für den neuen Schnickschnack die Passansucher selbst zahlen. Der E-Pass ist fast dreimal so teuer wie der analoge. Eigentlich kann man da ja fast schon von einer versteckten Biometriesteuer sprechen.

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