Female World of Comic
Heute ist der erste Tag vom Rest deines Lebens
Ulli Lust ist siebzehn, als sie 1984 mit ihrer Freundin Edi im Comic Heute ist der erste Tag vom Rest deines Lebens nach Italien aufbricht um erstmals das Meer zu sehen und im Süden zu überwintern. Sie hat die Ausbildung als Modezeichnerin abgebrochen und die Nase voll von Wien. Ohne Geld in der Tasche, dafür mit einer Menge Mut und Erfahrungseifer machen sie sich zu zweit auf den Weg, sie überqueren ohne Papiere die grüne Grenze, landen zunächst in Verona und schlagen sich weiter durch, über Rimini nach Rom und Sizilien.
Sie schlafen draußen, schnorren Mahlzeiten und verbringen die Tage mit Gleichgesinnten. Ständige Begleiter sind die anzüglichen Blicke der ortsansässigen männlichen Bevölkerung, sehr zum Gefallen der nymphomanisch veranlagten Edi. Ulli ist die ständige Bedrängnis zuwider, und je weiter sie in den Süden gelangen und desto aufdringlicher die Männer werden, umso abstoßender findet Ulli die Situation: die ständige Atmosphäre von Vergewaltigung, die zur Realität zu werden droht, führt sie nahe an den Zusammenbruch. Edi hingegen arrangiert sich: Sex ist ihr Hobby, so lässt sie sich für erstklassiges Heroin an alte einflussreiche Säcke vermieten. Der katholische Ehrbegriff der Mafia, der weibliche Prostitution noch in den 1980er südlich von Neapel verunmöglicht (es gab »nur männliche Transvestiten oder die Möglichkeit, sich gegenseitig in den Arsch zu ficken«) sorgt für rege Nachfrage nach Edis Körper.
Ulli Lust schafft es im 500 Seiten starken Comic von ihren persönlichen Erlebnissen auf den gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang zu verweisen, auf die Omerta, die Nervosität der Capos aufgrund erster erfolgreicher Prozesse gegen die Mafia, und die (männlichen) Bestrebungen dieses System aufrecht zu erhalten und zu nutzen.
Dabei ist es auch ein Comic übers Erwachsenwerden, über Freiheit und Beschränkung, über Frauenfeindlichkeit, schonungslos ehrlich erzählt anhand der beiden Pole des individuellen Freiheitsbestreben der Protagonistinnen und der reaktionären Frauenrepression Süditaliens am Ende des 20. Jahrhunderts. Schade nur, dass die Geschichte so bald nach der Rückkehr abbricht, bleibt doch so die Frage nach der Aufarbeitung dieser Ausnahmesituation unbeantwortet.
Ulli Lust, »Heute ist der erste Tag vom Rest deines Lebens«, avant-verlag
Persepolis
Während Ulli Lust nach Italien ausbüchst, verbringt Marjane Satrapi vier Jahre in Wien. In ihrem berühmten Comic Persepolis beschreibt sie nicht nur ihre Kindheit im Iran, sondern auch ihre Jugend in Österreich. Der Roman endet mit dem zweiten Aufbruch nach Europa, Strasbourg.
Mit dreizehn ist sie aus dem Iran vor dem Krieg und fundamentalistischer Repression geflohen und ohne Eltern in der Fremde in einem von Ordensschwestern geführten Heim gelandet. Auf sich allein gestellt versucht sie in Wien am gehobenen Lycée français zurecht zu kommen. Die österreichische Kleingeistigkeit und Fremdenverachtung setzen ihr zu. Sie hat ihrer Großmutter versprochen, sich selbst gegenüber immer ehrlich und aufrichtig zu bleiben, und doch ist es immer wieder so schwierig, die Situation so unbekannt. Scheinheilige, bürgerliche Punks bringen sie immer wieder in Verlegenheit, genauso wie die rassistischen Angriffe der Vermieterinnen. Ein mehrwöchiger Besuch ihrer Mutter lindert die Einsamkeit etwas, bis sie aufgrund eines gebrochenen Herzens mitten im Winter zunächst auf der Straße und schließlich mit Lungenentzündung im Krankenhaus landet. Bevor sie nachhause fährt, lässt sie sich von ihren Eltern versprechen, sie nie nach den Erlebnissen in Wien zu fragen.
Den zuvor beschriebenen Konflikt zwischen der Suche nach persönlicher Freiheit und gesellschaftlicher Repression erneut aufgreifend, beleuchtet dieser kritische Blick auf den patriarchal-fundamentalistischen Iran aus der Sicht eines jungen aufmüpfigen Mädchens bestimmte Facetten: die Kenntnis und das Wissen um das Funktionieren des herrschenden Regimes erleichtern das Manövrieren ungemein: Repression wird mit Gewitztheit, Unverfrorenheit und (leider auch) Denunziation begegnet. Solange die Gefahr einzuschätzen bleibt und Auswege aus der Unterdrückung gefunden werden können, kann man sich mit der Macht arrangieren. Wenn aber die Regeln unverständlich und undurchschaubar sind, wird selbst die (bürgerliche) sexuelle Befreiung zum Gefängnis.
Marjane Satrapi, »Persepolis«, Edition Moderne
Fun Home
Alison Bechdel ist routinierte Comic-Autorin. Bereits seit 1983 erscheint der Comic-Strip Dykes to watch out for in verschiedenen feministischen und schwul/lesbischen Zeitschriften der USA. Bevor sie mit Fun Home Erfolg bei Kritik und Publikum hatte, war insbesondere »the Rule« bekannt, ein Comic, das Geschlechterhegemonien in der Kunst pointiert beschreibt.
Im Gegensatz zu ihren früheren Arbeiten ist Fun Home ein graphic novel, am Stück geschrieben und gezeichnet und als ein Band erstveröffentlicht. Dem Erscheinen liegen sieben Jahre Arbeit zugrunde, insbesondere, da sich Alison Bechdel selbst immer wieder in den Posen der ProtagonistInnen fotografiert hat, um Detailtreue zu erzielen. Der Titel leitet sich aus der Verballhornung des familienbetriebenen »funeral home« her, in dem sie in West Pennsylvania aufgewachsen ist. Der Roman handelt von der distanzierten Beziehung zu ihrem Vater, über weite Strecken werden dessen Pedanterien, seine Beschäftigungen mit Oberflächen betont und hervorgekehrt, seine Leidenschaften fürs Opaque, und sein Einsatzeifer dafür. Je weiter die Geschichte voranschreitet, umso mehr gewinnt man den Eindruck, dass alle diese Tätigkeiten dem Verstecken eines dunklen Geheimnisses dienen. Bruce starb 44jährig beim Überqueren der Straße, als er einen herannahenden LKW übersehen haben sollte. Jedoch erscheint die angenommene Todesursache umso unwahrscheinlicher, je mehr Facetten seiner Persönlichkeit die Erzählerin freilegt. Einige Wochen zuvor outet sich Alison in einem Brief, der Aufruhr ist minimal, ihr Vater weist sie nur darauf hin, sich doch Optionen offen zu halten und gibt einen kleinen Hinweis auf eine mögliche Homosexualität, die er bis dahin krampfhaft zu verbergen suchte. Der Druck, den die Lüge schafft, legt sich so sehr aufs Leben, dass Bruce Bechdel in der literarischen Welt nach Fluchtmöglichkeiten Ausschau hält. Die jeweilige ständige Auseinandersetzung von Vater (der neben dem Beruf als Bestatter auch noch Englisch an der örtlichen Schule unterrichtet) und Tochter mit Literatur öffnet den Roman für unzählige literarische Anspielungen von Oscar Wilde, über Fitzgeralds »Great Gatsby« bis hin zu James Joyce' »Ulysses«. Diese literarische Ebene strukturiert den Roman ohne einer Chronologie folgen zu müssen und ermöglicht die Überzeichnung der Tragödie. Während Persepolis selten die Perspektive der Heranwachsenden für einen Kommentar verlässt, lebt Alison Bechdels Fun Home von den Anmerkungen, der literarischen Kontextualisierung der Szenen, den sarkastischen, spröden Kommentaren, vom Wissen darüber, was danach kommt.
Alison Bechdel, »Fun Home«, Kiepenheuer & Witsch