Control-TV
Zu den erfolgreichsten Scripted-Reality-TV-Formaten gehören jene, in denen unter dem allgemeinen Motto »Achtung Kontrolle« diverse Kontroll-Jobs als echt coole Berufe dargestellt werden. Spießig ist dabei auf den ersten Blick nichts. Stattdessen entfaltet sich ein kontrollgesellschaftlicher Katalog des Coolen, der sich gerade deshalb seiner Coolness so bewusst ist, weil er um seine exponierte Stellung innerhalb des Systems Kontrollge-sellschaft weiß und sich damit dann auch - wie die Celebrities - ganztags identifiziert. Das klassisches »Kottan«-Motto »Ich bin nicht die Polizei, ich arbeite nur dort« gilt hier überhaupt nicht mehr. Egal ob Ordnungsamt, Sozialamt, Autobahnpolizei, Türsteher oder private Sicherheitsdienste - diese real-life-Celebrities sind die neuen (TV-)Stars postdemokratischer Überwachungsgesellschaften. Erstens zeigen sie, welch tolle Jobs die Privatisierungen im Sicherheitssektor gebracht haben (von wegen Arbeitslosigkeit), zweitens wird hier Recht und Ordnung mit dem Duktus abgebrochener Sozialarbeiter-Workshop exekutiert (selbst Türsteher sehen sich ja eigentlich als Mediatoren), drittens ist man meist an der gesunden, weil frischen Luft und viertens ist man bei all diesen Tätigkeiten stets intensiv mitten im Leben, über das man sich dann auch so seine Gedanken macht. Die machen wir uns auch.
Neben Disziplinar-Formaten wie »Die strengsten Eltern der Welt« (Kabel 1), diversen mobilen Coaching-Kommandos für Wohnraumgestaltungen, Abnehmen im Boot-Camp und Speed-Heilungen bei »Messies«, die gezielt Abweichungen von einem per se vorausgesetzten normativen Mainstream-Konsens vorführen, gibt es jedoch auch noch Kontroll-Formate, die im Grunde fast alle gesellschaftlichen Schichten im Fadenkreuz haben. Was ja auch logisch ist: Auch die NSA diszipliniert nicht einzelne, sondern kontrolliert gleich alle.
Aber egal, ob es sich hierbei nun um »Mein Revier - Ordnungshüter räumen auf«, »Achtung Kontrolle! Einsatz für die Ordnungshüter« (beide Kabel 1) oder um »Ärger im Revier - Auf Streife mit der Polizei« (RTL2) handelt - trotz aller Versuche hier eine Art Lässigkeit durchschimmern zu lassen, zeigen allein schon die Selbstbeschreibungen der Sender, aus welchen Jahrzehnten hier der »Geist« herüberweht: »Große Gauner und kleine Ganoven können sich warm anziehen, wenn die Ordnungshüter Dienst haben.«
In diesem Retro-Law & Order-Sprachschatz geht es dann auch munter weiter: »Mit Humor und einer guten Portion Menschenkenntnis legen sie allen kleinen und großen Bösewichtern das Handwerk. Doch nicht immer müssen die Beamten Jagd auf Schurken machen - auch als Freund und Helfer bewähren sie sich täglich aufs Neue.«
Klar, »Humor« ist schon wichtig, weshalb es mit »24 Stunden Toto & Harry – Die Zwei vom Polizeirevier« (Sat.1) auch die Buddy-Variante gibt und sich Kabel 1 bei »Achtung Kontrolle« den »kundigen Kriminalhauptkommissar« und die »durchgreifende Kriminalhauptkommissarin« gleich nach dem Schimanski-Vorbild zusammenbasteln (kumpelhaft, bodenständig, kurz, Leute, mit denen privat schon auch mal ein Bier getrunken werden kann).
Ebenfalls zum »Achtung Kontrolle«-Aufgabenbreich zählen Steuervergehen. Hier treffen wir etwa auf eine »charmante Vollziehungsbeamtin aus Berlin«, die »gut und gerne mit Zahlen jongliert«, mit ihren 27 Jahren laut Sender schon seit »fast 10 Jahren« Vollzugebeamtin ist und es hauptsächlich mit eher kleinen Fischen (etwa »Die dreiste Friseurin«) zu tun hat, weil »die Arbeit mit Menschen« ja »jeden Tag etwas Neues« bringt. Im Grunde sehen wir hier, wie Bankenrettung konkret aussieht (»dreiste Friseurin« böse, Bad Bank gut).
All diese Formate behaupten jetzt zwar nicht, dass die Welt da draußen brandgefährlich ist (»Nepper, Schlepper, Bauernfänger« gab es ja immer schon), sondern zeigen dafür umso anschaulicher, dass es keine (öffentlichen) Bereiche mehr gibt, die nicht überwacht und kontrolliert werden.
Während die Finanzmärkte dereguliert werden, positionieren sich speziell Großraum-Discos gleichsam am total entgegengesetzten Pol, treffen hier doch »Zero Tolerance«-Hausordnungen auf muntere »Flat Rate«- und Komasauf-Parties. Frei nach dem Motto zuerst besoffen machen, dann rausschmeißen, damit die nächsten auch besoffen und rausgeschmissen werden können, werden hier private Konflikte gleich so inszeniert, dass die jeweilige Security einschreiten muss.
So kann ein Glas umzuschütten mittlerweile schon das Ende einer Disco-Nacht bedeuten. Weniger, weil die Security überall ihre Augen und Ohren hat (das sowieso), sondern weil sie scheinbar wegen jedem Scheiß gerufen wird, von dem geglaubt wird, er würde die eigene individuelle Integrität verletzen oder in Frage stellen.
Selbst wer einfach mal so besoffen auf seinem Sessel einschläft, ruft die Disco-Security auf den Plan und wird abgeführt und mit temporärem Hausverbot bedacht.
Jetzt ist Sicherheit als Geschäft für die Privatwirtschaft keine neue Erfindung, jedoch stellen sich neue Fragen. Wenn der Sicherheitssektor als Markt betrachtet wird, der auf Angebot und Nachfrage reagiert, dann werden nicht nur die Karten der Player, sondern auch die Spielregeln neu gemischt.
Wer profitiert, wer erhält die beste Rendite und für wen ist das konzipiert? Die Verbrecher (damit sie weniger werden), oder für die Sicherheitskräfte (damit sie mehr werden und somit dieser Markt auch expandieren kann)? Und für immer mehr Kontrolle braucht es halt auch immer mehr Regelungen.
Angesichts der sozialen und ökonomischen Dauerkrisen der letzten Jahre gehorchen all diese Formate dann auch dem Ordungsempfinden der neuen Spießigkeit des vom Abstieg gefährdeten Mittelstands, das sich als hip verkauft, auch so versteht, teilweise auch so kleidet und sich dem Motto der LBS-Werbung »Entdecken auch Sie den Spießer in sich!« mit Haut und Haar unterworfen hat.
Auch wenn Zwangslagen als Gründe angeführt werden, sind es nie die Umstände und Verhältnisse, die Menschen mit dem Gesetz in Konflikt bringen, sondern es sind immer die Menschen, die sich selber in nicht gesetzeskonforme Umstände und Verhältnisse bringen.
Dass es hierbei nie um Renditen-«Messies« oder »dreiste Banker« geht ist auch klar. Und wie das System funktioniert wissen wir sowieso spätestens seit der South Park-Folge »Eek, A Penis«, wo Cartman den Kapitalismus so erklärt: Bescheissen wo es nur geht, aber sich dabei nicht erwischen lassen. Situationselastisch eben.