Mythos Medienkunst: Georg Ritter
Die »ars electronica« und die Klangwolke, die vor 35 Jahren in einem eher psychodelischen Ansatz erfunden wurden, stehen heute für das Image der Stadt Linz. Über blinkende Hausfassaden und eine »ars electronica«, die eher einem Jahrmarkt gleicht, wird das Image einer Kunst-, Kultur- und Technologiestadt aufrecht gehalten. Inhaltliche Fragen und der experimentelle Charakter der Kunstwerke werden immer mehr in universitäre, multinationale Einrichtungen oder private Unternehmen ausgelagert, um sich in diesen konstruierten Systemen selbst zu bestätigen. Dadurch wird eine kritische Auseinandersetzung mit den neuen Medien in dieser Stadt kaum mehr möglich.
»Medienkunst« als Genre wurde zu einem Begriff, den fast alle KünstlerInnen, die bereits in dieser Interviewserie gefragt wurden, ablehnen. Aber die BesucherInnen und KünstlerInnen kommen doch noch zur »ars electronica« nach Linz, alles verschiebt sich zwar in Richtung Mainstream, die vielen blinkenden Lichter jedoch signalisieren immer noch Reichtum, und so manche Hoffnung keimt auf, sich von diesem Reichtum doch noch ein Scheibchen abschneiden zu können.
Zum Dialog mit der heimischen Kunstszene sei anzumerken: KünstlerInnen bei der letztjährigen »ars electronica« mussten schon ihre ÖAMTC Clubkarte rausholen, um eine Ermäßigung zu erwirken (was mich ja köstlich amüsierte).
Aber die Medienkunst prägte nicht nur die Stadt Linz, sondern auch die Stadtwerkstatt. In dieser Richtung arbeiteten in der STWST u.a. Tomi Lehner, Gabi Kepplinger und Georg Ritter. Im Gegensatz zur Stadt Linz, die über Jahrzehnte eine Linie der »zukunftsweisenden neuen Medien« verfolgt, war die Stadtwerkstatt immer ein Ort der kritischen Betrachtung, des Experiments, der Forschung und der Erneuerung. Dieser Dialog trieb während des Zeitalters dieser Medienkunst seine Äste, »Radio Fro« und »servus.at« entstanden im Haus Kirchengasse 4. Die Stadtwerkstatt ist kleiner und flexibler und tut sich bei einer kritischen Betrachtung natürlich leichter.
Nicht nur die Stadt Linz mit ihrem »Museum der Zukunft« hat durch die Unschärfe des Begriffs »Medienkunst« ihre Probleme. Auch in den Universitäten, bei verschiedensten Künstlerorganisationen und EinzelkämpferInnen zeigen sich bereits entgegengesetzte Positionen. Die Medienkunst war auch für die Stadtwerkstatt ein harter Brocken. Eine wichtige Komponente war sicher die Komplexität des Internets, das sich Mitte der 90er Jahre breit gemacht hat. Eine weitere Komponente liegt aber sicher auch in den älter werdenden Akteuren, bei denen das gute alte analoge Zeitalter und die Geschichte der Medienkunst nicht spurlos vorübergegegangen sind. Noch heute trauern Personen im STWST-Umfeld und der Politik um die Großprojekte von Stwst-TV.
Gerade im Zeitalter, in dem von der Politik die Direktive »Kunst muss Massenkompatibel werden« ausgegeben wird, und die Ausstellungen nicht groß genug sein können, würden sich die alten Stwst-TV Projekte gut einreihen. Aber meine lieben Leute, seht es endlich ein, die Zeiten haben sich geändert, mit dem Internet haben sich die Werte gedreht. Diese Zeiten sind vorbei. Und wenn Ihr das nicht begreifen wollt, wird Euch die Realität einholen (siehe Systemkrise, die bis in die Finanzstruktur der Stadt Linz geht).
Ohne kontinuierliche Hinterfragung der Systeme werden die blinkenden Lichter einer ganzen Stadt auch rasch wieder verlöschen.
In unserer Interviewreihe mit Personen, die sich vor dem Zeitalter des Internets mit Kunst und den neuen Medien beschäftigten, zeichnet sich ein immer schärferes Bild des »Mythos Medienkunst« ab – diesmal ist mein Gesprächspartner Georg Ritter.
Versorgerin: Hallo Georg. Ich hab es bis jetzt vermieden, Linzer KünstlerInnen zu befragen. Es geht bei der Interviewreihe um die Zeit Anfang der 80er Jahre bis Mitte der 90er Jahre. Viele KünstlerInnen, die ich befragt habe, erlebten in dieser Zeit eine Aufbruchsstimmung. Der Computer war ein neues Medium, und es gab vieles zu probieren. Dadurch entstanden viele Labore und Experimentierfelder.
Mitte der 90er Jahre legte sich diese Euphorie. Es kommt mir so vor, als ob sich mit Aufkommen des Internets die Kunstszene (vor allem die Medienkunstszene) geerdet hat. Wie hast du diese Zeit erlebt?
Georg Ritter: Inwieweit man von Euphorie sprechen kann, sei dahingestellt. Fakt ist aber, dass sich die Arbeitsbedingungen massiv verändert haben. Wir, die zuvor meist rumgeschleppt haben, landeten am Schreibtisch vor dem Bildschirm. Und der Besen wurde mit der Tastatur getauscht. In den 80er Jahren war der Hof der Stadtwerkstatt in der Friedhofstraße ein Sammelplatz, ein Lager für Sperrgut, das war gleichzeitig auch Ressource für Installationen und Kulisse für die Stadtwerkstatt-Bühne, und diente für filmische und musikalische Prozesse. Die eingesetzte Technik S8, später dann mit Video Betamax und VHS, oder später auch Umatic-Lowband, im Audiobereich wurde meist mit Kassettendecks gearbeitet, wobei der Löschkopf zugeklebt wurde, um ein mehrkanaliges Arrangement zu bewerkstelligen. In den 90ern sind dann alle hinter dem Bildschirm geklebt und haben kaum aufgesehen, wenn jemand den Raum betreten hat.
Versorgerin: Also die Technologie wurde ein Teil der künstlerischen Arbeit. Vorhandene Technologien wurden also nicht einfach übernommen, sondern von den KünstlerInnen zuerst analysiert, um dann vielleicht in modifizierter Form neue künstlerische Möglichkeiten zu schaffen.
Wurde der Eingriff in die Technologie nicht dadurch ein Teil des Werkes? Ich erinnere mich, dass damals viele KünstlerInnen ein/e TechnikerIn »bei Fuß« hatten, um »kreative Technologie« mit einzubinden.
Dadurch stellt sich natürlich die Frage, wie weit kann und sollen sich KünstlerInnen auf Technologien einlassen?
Georg Ritter: Was die Technologie betrifft, so ist sie immer Teil der künstlerischen Produktion bei der Herstellung von Form. Nicht nur für uns war die Frage nach den Produktionsmitteln unmittelbare Angelegenheit der Kunst und Kulturarbeit der Stadtwerkstatt. Der Begriff »das Medium is the Message« schwebte wie ein Wolke in und über unseren Köpfen. Es genügte nicht nur Pinsel und Farbe, sondern die Frage nach der Verfügbarkeit der Werkzeuge spezieller zeitbasierter Medien spielte eine bedeutende Rolle in unseren Diskursen. So konnte einerseits das Prozesshafte und das Situationistische, also der Moment, auf die Situation zu reagieren, besser dokumentiert werden. Anderseits konnte auch der Dialog, der Moment der Interaktion mit den BenutzerInnen des Systems Stadtwerkstatt und das Verständnis zum Begriff des Öffentlichen Raums mit den »neuen Technologien« in Angriff genommen werden. Was unser Selbstverständnis angeht, so waren wir weniger Lab oder experimentell, wir verstanden uns mehr als Initiative zur Anstiftung zur Initiative. Wir wollten, dass sich die Menschen emanzipieren, selber aktiv werden, und ihre Sachen und Anliegen selbst in die Hand nehmen. Natürlich sind bei den immer komplexer werdenden Produktionen von Stwst-TV und Stwst-Telepräsenz TechnikerInnen involviert gewesen, aber das finde ich weniger problematisch. Natürlich kann ich, wenn ich es darauf anlege, alles selber machen, zum Beispiel ein Haus bauen, wie auch immer es ausschauen und funktionieren mag. Aber der Austausch und Einsatz von Techniken und Technik bleibt unbenommen. Da gibt es natürlich immer ein Eigenleben der Technik, aber wenn die Idee klar ist, dann ist die Technik das Mittel, die Idee umzusetzen.
Versorgerin: Ich habe die Zeit damals miterlebt. Stwst-TV war ein Ergebnis aus einem Dialog. Neben dem Ansatz »Anstiftung zur zu Initiative« gab es auch noch andere Positionierungen. Damals sind auch die beiden heute noch aktiven Vereine – FRO und SERVUS – entstanden. Aber die Geschichte der STWST soll hier nicht das Thema sein. Wichtig sind die Ursachen, warum sich mit Aufkommen des Internets alles änderte. Ich bin ja der Meinung, dass einige Forderungen der Medienkunst mit dem Internet eingelöst wurden.
Bezüglich der Telepräsenz wurde jeder Benutzer mit dem Netz auch gleichzeitig zum Sender. Dies endete teilweise in exzessiven Chats. Ich kann mich an den Chat-Kanal Schlonz erinnern, der von der Stadtwerkstatt und dem Futurelab betrieben wurde. Bei mir waren es teilweise auch noch exzessive Mailkontakte (mit bis zu 2000 geschrieben Mails pro Tag). Ein Seelenstriptease der Sonderklasse, eine direkte Kommunikation, bei der alle Sinnesorgane ausgeschaltet wurden. Wurden vielleicht durch diese Situation die herkömmlichen künstlerische Ausdrucksformen »ad absurdum« geführt?
Georg Ritter: Das Internet hat vieles eingelöst, was an Ansprüchen und Forderungen im Raum stand. Im Happening-Verständnis von Stadtwerkstatt ging es um multimediale, nicht hierachische Begegnungen und Ereignisse, bei denen alle Beteiligten die Option haben sollten, sich einbringen zu können. Es gab mannigfaltige Bemühungen von verschiedenster Seite, solche Kommunikationssituationen herzustellen, aber oft war der Anspruch höher, als das, was eingelöst worden ist. Im Falle von Stwst-TV konnte man faktisch nur über Telefon von Außen das Geschehen mitgestalten. Van Gogh TV »Piazza Virtuale« versuchte möglichst auch Bilder per Fax und PC zu integrieren. Was da nachträglich so auffällt, ist, dass damals zwangsläufig das »Hier und Jetzt« von enormer Bedeutung war, was ja mit dem Internet jetzt anders läuft. Ich kann mich in Prozessen beteiligen, aber teile mir das nach meiner eigenen Zeit ein. Der Prozess ist also fließend geworden, nicht mehr bedingt von einem zeitlich vorgegebenen Rahmen, wie bei den diversen Versuchanordnungen, bei den diversen Ars-Projekten.
Wir hatten also nur temporär die Möglichkeit, solche Situationen herzustellen, die jetzt rund um die Uhr im Netz stattfinden. Was die herkömmlichen Ausdruckformen betrifft, bin ich mir nicht sicher, ob sie ad absurdum geführt sind. Der Wandel in der Wahl der Mittel ist schon früher mit Ready Made und erweitertem Kunstbegriff eingeleitet worden.
Ich denke aber insgesamt hat nicht das Internet die Träume und Hoffnungen platzen lassen, sondern die ökomonische Realität und die Komplexität virtueller Strukturen. Im Umbruch in den 90er Jahren haben sich letzendlich all die durch enorme Kraftanstrengung geschaffenen intermedialen Labore vor allem wegen finanziellen Problemen mehr oder weniger aufgelöst. Sei es Stwst-TV und Stwst-Telepräsenz, Van Gogh TV, die ja mit der »Worlds Within« interaktive Multiuserwelten mit eigenen Client/Server geschaffen hatten, oder auch Kunstlabor. Time‘s up konnte sich am ehesten bis heute darüber retten.
Die Grätsche, TechnikerInnen in künstlerische Prozesse längerfristig einzubinden, lässt sich kaum durchsetzen. Siehe Futurlab im AEC, das ja hauptsächlich als Dienstleister in der Präsentationsarchitektur mehr oder weniger als Schnittstelle zwischen Wirtschaft und Museum agiert, das hat sich schon lange von der Kunst verabschiedet. Wie schwierig der gesamte Sachverhalt ist, lässt sich auch im Bezug auf die Archive festmachen. Selbst im noch überschaubaren Bereich des Videos lottern irgendwo völlig unaufgearbeitet die Videokassetten in all den unterschiedlichen Formaten rum. Also ich glaube, diese Problematik hängt gar nicht so sehr vom Internet ab, obwohl sich ja dort digitale Inhalte vermeintlich leicht archivieren lassen müssten. Da braucht es aber immer einen starken instititionellen Rahmen. Selbst das AEC ist mit dem LBI (Ludwig Bolzmann Institut) mit der Aufarbeitung der Geschichte des AECs gescheitert.
Als Output dieser Vorgänge hat sich Stadtwerkstatt in den Angewandten Bereich transformiert und hat in den 90ern das freie Radio Fro und den Kunst- und Kulturserver Servus.at mitaufgebaut. Die Ära der Medienkunstprojekte hat sich dann noch bis in die 2000er Jahre unter anderem mit »fore – golf egoshooter« noch halten können. Interessant ist auch der Umstand für mich, dass ich mich sozusagen zur Zeichnung zurückgezogen habe. Mehrfach das Gegenteil von virtueller Realität. Ein einfaches Medium, ein Blatt Papier und ein Stift.