Editorial

Ob die Bevölkerung der 2. Republik erstmals in ihrer Geschichte den Kandidaten einer Partei, die in den meisten Medien »rechtspopulistisch« genannt wird, um ihren extremen Charakter herunterzuspielen, zum Bundespräsidenten wählt, wird sich einige Tage nach Erscheinen dieser Ausgabe zeigen - ob tatsächlich, weiß der Anfechtungsteufel. Um derartigen Entwicklungen entgegenzutreten, fordern nun manche einen »linken Populismus«. Wie das zu bewerten ist, darüber macht sich Erwin Riess Gedanken. Zweifellos sind die Rechten gerade in nahezu allen Bereichen auf dem Vormarsch, selbst in Wohlfühl-Gefilden, wo sie auf Fahrrad und »Volksküchen« verfallen, wie Thomas Rammerstorfer zu berichten weiß, der auch einen Blick auf die »postfaktische Freakshow« wirft, die Ende Oktober in den Linzer Redoutensälen stattgefunden hat. Und für das große Weltgeschehen dekliniert Svenna Triebler an drei Reflexen durch, warum Ratlosigkeit nicht die schlechteste Reaktion auf Donald Trumps Wahlsieg ist.

Der Schwerpunkt dieser Ausgabe liegt allerdings auf der »Kritik des Alltagslebens«: Zu dessen Beginn formuliert Magnus Klaue in Thesenform, warum es Alltag im emphatischen Sinn nicht mehr gibt und wie schwierig es ist, dessen Charakter überhaupt zu bestimmen.
Zwei umfassendere Texte befassen sich mit Henri Lefebvres Klassiker »Kritik des Alltagslebens«: Armin Medosch streicht die Bedeutung des Textes für die Idee einer Revolutionierung des Alltags hervor, während Paulette Gensler in ihrer Kritik daran Lefebvre nachweist, den Alltag letztlich zu fetischisieren. Felix Riedel schließlich beschreibt anhand seiner Erfahrungen in Ghana den Alltag in der Ethnographie und Berthold Seliger schildert einige Marginalien aus seinem musikalischen Alltag.

Florian Neuner hat den Literaturwissenschafter Jürgen Link zum Gespräch über die »Versenkung Griechenlands« gebeten und Elena Messner die Kunstforscherin Anita Moser zu einem solchen über die »Kunst der Grenzüberschreitung«. Stephan Grigat rezensiert für uns Olaf Kistenmachers Studie über den Antisemitismus in der KPD vor der Gründung Israels, Melanie Letschnig schreibt über Marika Schmiedts neuen Film »Warum die Wunde offen bleibt« und Chris Langrauer stellt Ana Threats aktuelles Album »COLD LVE« vor.

Zu guter Letzt berichten Tanja Brandmayr und taro von Projekten, die in der Stadtwerkstatt gelaufen sind und die sich zum einen mit Vernebelung im weiteren Sinn und zum anderen mit einer Kommunikation der ganz anderen Art beschäftigen: Mit der unserer unbekannten Kohabitanten, der Pilze. Um einen Pilz handelt es sich übrigens auch beim Gebilde auf dem Cover – und nicht um gefrorene Tränen oder böse Stalagtiten.

Möglichst viel Raum ohne Volk wünscht
Die Redaktion

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