Make America Hate Again

Warum »ratlos aus der Wäsche schauen« nicht die schlechteste Variante des Umgangs mit Donald Trumps Wahlsieg ist.

Zuerst einmal: Nein, ich möchte nicht in einer Welt leben, in der die Worte »Präsident Trump« irgendeinen Sinn jenseits von Satireformaten und/oder dystopischer Fiktion ergeben. Der Gedanke verursacht Alpträume und körperlichen Ekel[1], und es ist schwer vorstellbar, dass Gewöhnungseffekte im Lauf der nächsten vier Jahre irgendetwas daran ändern werden.
Da wäre zunächst die ebenso simple wie deprimierende Tatsache, dass es genug – beziehungsweise  allzu viele – Menschen gibt, die sich, vor die Wahl zwischen schlecht und katastrophalstmöglich gestellt, für Letzteres entscheiden. Manche wohl trotz, viele aber auch gerade wegen der – nennen wir es mal vorsichtig: charakterlichen Defizite des Kandidaten, aber dieser graduelle Unterschied spielt jetzt auch keine Rolle mehr. Schwer zu begreifen ist allerdings schon, was in den Köpfen von Leuten vor sich geht – wie etwa in dem der von CNN als Pro-Trump-Stimme angeheuerten Scottie Nell Hughes, die nach den Enthüllungen über die Prahlereien ihres Kandidaten mit sexuellen Übergriffen schockiert reagierte (»Meine Tochter schaut zu!«), als ihre Kontrahentin Ana Navarro dessen Aussagen wörtlich zitierte, die aber kein Problem damit haben, dass einer ins Weiße Haus einzieht, der so etwas nicht nur sagt, sondern offenbar auch gewohnheitsmäßig tut. Im Nachhinein betrachtet hätte man aber vielleicht doch ahnen müssen, dass dies Trump nicht wie prognostiziert entscheidende Stimmen aus dem konservativ-puritanischen Lager kosten würde, sondern dieses Milieu vielmehr einen perfekten Nährboden für derlei Doppelmoral darstellt. Nun ja, hinterher ist man ja angeblich klüger. Oder schaut ratlos aus der Wäsche. Letzteres kann man entweder eingestehen (dies sei hiermit getan) – oder man lässt eingeübten Reflexen ihren Lauf.

Reflex 1: Auf gar keinen Fall können für rechte Wahlerfolge beiderseits des Atlantiks zuallererst einmal rechte Wähler verantwortlich sein, darin sind sich zahlreiche Ursachenforscher einig. Winfried Kretschmann etwa, bei dem man sich immer wieder daran erinnern muss, dass er nicht nur Ministerpräsident von Baden-Württemberg, sondern auch Mitglied der Grünen ist, findet, »als Antwort auf den Rechtspopulismus« dürfe man es »mit der political correctness nicht übertreiben«, und ein gewisser Andreas Rosenfelder macht in der »Welt« »die Intellektuellen« verantwortlich, die den armen einfachen Bürger mit schlimmem Gendergedöns verschrecken.[2] Da kann man sich nur Nils Markwardt anschließen, der in der »Zeit« entgegnet: »Man kann sich ja schon fragen, ob ein, sagen wir, weißer Fabrikarbeiter aus Kansas tatsächlich so lange von Yale-Studenten mit Judith-Butler-Texten traktiert wurde, dass ihm aus Notwehr praktisch nichts anderes übrig blieb, als einen rassistischen Milliardär zu wählen.«

Natürlich muss man sich die Frage stellen, warum linke, liberale oder einfacher gesagt: jene gesellschaftlichen Kräfte, die noch so etwas wie Anstand, Hirn oder schlicht und einfach Selbsterhaltungstrieb ihr eigen nennen, dem weltweiten Rechtsruck so wenig entgegenzusetzen haben. Die Erklärung, eine – wie vage auch immer definierte – Linke habe den Kontakt zu »den Abgehängten« verloren, ist zwar zu billig;[3] wahr ist jedoch, dass Clinton, obwohl sie bei den unteren Einkommensschichten vorn lag, dennoch zahlreiche ehemalige Obama-Wähler aus dieser Gruppierung an Trump verlor. (Der »typische« Trump-Wähler verdient allerdings eher ein Jahreseinkommen von 50.000 Dollar aufwärts.)
Sucht man nach einer soziopolitischen Erklärung, warum Menschen in allen westlichen Gesellschaften massenhaft den demokratischen Konsens aufkündigen, hilft vielleicht der Blick in eine jüngst veröffentlichte Studie von Politologen der Michigan State University, die zu dem Schluss kommen, dass Wähler in Ländern mit hoher wirtschaftlicher Ungleichheit unzufriedener mit der Demokratie sind. Will man also unbedingt auf der irgendwie-linken Seite des politischen Spektrums nach Schuldigen suchen, wird man zumindest in Europa am ehesten bei dem fündig, was sich schamloserweise immer noch Sozialdemokratie nennt. Die Rechtswähler vulgärmarxistisch als arme Opfer des Neoliberalismus zu betrachten, wäre allerdings schon deshalb zu kurz gegriffen, weil der antidemokratische Trend in allen Einkommensklassen zu finden ist; und auch jemand, der sich mit drei Minijobs durchs Leben schlägt und rassistische Parteien wählt, ist in erster Linie eins: ein Arschloch. »Die Sorgen und Ängste der Bürger ernstnehmen« hätte eine Berechtigung, wenn sich das auf unsichere Renten und ähnliches bezöge, nicht aber, so lange dies – von Vertretern aller Parteien von der CSU bis zur Linken – übersetzt wird mit »Ressentiments bedienen, Forderungen der AfD übernehmen und sich dann wundern, wenn die Leute lieber das Original wählen«.

Das mediale Äqivalent dazu ist übrigens

Reflex 2: Den Affen fangen, indem man ihn in der Bananenplantage einschließt. Die ARD etwa freute sich über die Gelegenheit, zur Frage »Trump und wir – was nun? Wie ansteckend ist diese Art, Wähler zu fischen?« endlich mal wieder die AfD-Wählerfischerin Beatrix von Storch in eine ihrer Talkshows (»Hart aber fair«) einzuladen, die war schließlich schon mindestens einen Monat nicht mehr dagewesen. Das ZDF legte ein paar Tage später noch eine Schippe drauf und ließ Maybritt Illner nicht nur mit der AfD-Lokalpolitikerin Martina Böswald über den »Siegeszug der Populisten« plaudern, sondern lud, doppelt gehetzt hält besser, gleich auch noch Stefan Petzner, den ehemaligen Sprecher von Jörg Haider, dazu ein.

Auf die Talkrunde zur Organisierten Kriminalität mit Anführern der Hells Angels und Bandidos wartet man bisher noch; immerhin aber hatte Anne Will zur Abwechslung vor kurzem eine Schweizer Salafistin zu Gast, deren Vollverschleierung wohl mehr als die von ihr vertretenen Thesen zur allgemeinen Empörung beitrug. Die freilich wesentlich glaubwürdiger gewesen wäre, wenn die beinahe täglichen TV-Auftritte der Demokratiefeinde in westlichem Outfit zu ähnlicher Aufregung führen würden.
Natürlich darf bei der Rolle der Medien die Parallelwelt nicht ignoriert werden, in der sich die Hassbürger auf der Hetzplattform »PI News«, bei Jürgen Elsässers »Compact«, dem russischen Propagandasender RT Deutsch und den Facebookseiten ostdeutscher Bürgerwehren ihr paranoides Weltbild zusammenbasteln. In den Wochen vor der US-Wahl überholte die Anzahl von auf Facebook verbreiteten Fake-Meldungen die seriöseren Nachrichten, die Oxford Dictionaries kürten im November »postfaktisch« zum Wort des Jahres. Dieses Thema könnte einen kompletten Artikel füllen – der praktischerweise bereits existiert und in der Versorgerin #108 nachgelesen werden kann.

Reflex 3: »Es wird nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird.« Wahrscheinlich werden sich Leute finden, die Trump schon zu seiner Besonnenheit gratulieren, wenn er nicht gleich am ersten Tag im Amt einen Angriff auf Nordkorea befiehlt, andere hoffen, er werde schon noch früh genug über seine eigene Unfähigkeit stürzen.[4] Nun liegt es in der Natur der Zukunft, dass sie schwer vorauszusehen ist; bleiben wir also bei der Gegenwart, die schon schlimm genug ist. Es sei denn, man hält es für völlig normal, dass der Ku-Klux-Klan die Wahl eines US-Präsidenten feiert, während die USA eine Welle rassistischer Vorfälle erleben, zu denen vom angehenden Präsidenten ein ohrenbetäubendes Schweigen zu hören ist. Wie nicht anders zu erwarten von jemanden, der sich den Macher der rechtsextremen Hetzplattform »Breitbart News«, Steve Bannon, zum Chefstrategen und den islamparanoiden Ex-General Michael Flynn zum Sicherheitsberater wählt.

Auch das übrige Personal, das sich langsam zu Trumps Gruselkabinett formiert, lässt nichts Gutes erwarten, egal wie dereinst die Geschichtsbücher seine Politik nennen werden. Dass ausgerechnet Jakob Augstein, der Trump vor den Wahlen noch als Hoffnung für den Frieden bezeichnete, diesen nun einen Faschisten nennt, ist natürlich schon etwas putzig und entspringt eher Augsteins gewohnheitsmäßigem Antiamerikanismus als einem fundierten Faschismusbegriff. Aber so problematisch Faschismusvergleiche auch sind, weil dabei immer die Gefahr besteht, den Nationalsozialismus als dessen verheerendste Ausprägung zu verharmlosen, verbieten sich diese nicht von vornherein; zumal man dabei von Fall zu Fall ja auch zu dem Schluss »diese und jene Gesellschaft ist nicht wie der Faschismus« kommen kann. Und man kann auch einen NPDler, der einsam auf dem Marktplatz herumkrakeelt und in dem Augenblick eher lächerlich als gefährlich ist, als Nazi bezeichnen, ohne dass dies Faschismusverharmlosung wäre.
Halten wir fest: In Trumps Team tummeln sich Gestalten, die, will man höflich sein, zumindest als rechtsextrem bezeichnet werden müssen, und man sollte alles ernst nehmen, was diese androhen. Denn auch ohne Hellseherei ist zumindest eines sicher: Das Mantra »Wird schon nicht so schlimm kommen« ist das Gegenteil einer selbsterfüllenden Prophezeihung. Je öfter es wiederholt wird, umso größer die Wahrscheinlichkeit, dass es so schlimm kommt.
Ironischerweise – um doch noch einen Blick in die Kristallkugel zu wagen – könnte die US-Gesellschaft weniger schwere Schäden davontragen als Europa, wo Trumps Sieg seinen politischen Komplizen als Wahlkampfhilfe gerade recht kommt. Zum einen gibt es in den USA etwas, das wir nicht haben, nämlich eine lautstarke und lebendige Opposition, zum anderen dürfte sich das föderale System mit seinen starken dezentralen Strukturen nicht so leicht trumpifizieren lassen. Mit zahlreichen Akten zivilen und behördlichen Ungehorsams ist deshalb zu rechnen; so haben diverse Großstädte, darunter San Francisco, Los Angeles, Seattle, Chicago und New York, bereits erklärt, dass sie sich der von Trump angekündigten Abschiebepolitik widersetzen werden. Und das ist etwas, was man sich auch mit größtem Optimismus nirgends in Europa vorstellen kann.

[1] Sowie Migräneanfälle, wie sich bei der Entstehung dieses Textes herausstellte.
[2] Während »political correctness« von der Neuen Rechten als Kampfbegriff für alles geprägt wurde, was vor nicht allzu langer Zeit noch »sich nicht wie ein Arschloch verhalten« genannt wurde, bedient sich Rosenfelder gleich mal bei alten Vorbildern: Zum Problem von Nazivergleichen später mehr, aber man muss schon sehr geschichtsblind sein, um bei einer solchen Feindbildwahl kein äußerst ungutes Gefühl von historischem Déja vu zu verspüren.
[3] Die Trump-Wähler eint weniger der sozioökonomische als der ethnische Hintergrund: Weiße wählten zu 58% Trump, während Clinton unter Latinos (65%) und Schwarzen (88%) eine deutliche Mehrheit erzielte.
[4] Was möglicherweise der worst case wäre, denn mit dem designierten Vizepräsidenten Mike Pence steht ein politisch erfahrener rechter Hardliner bereit, dessen Gefährlichkeit gerade darin liegt, dass er sich nicht verhält wie der Elefant im Porzellanladen.

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#112
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Weder Fotos von Trump, noch von Tieren oder Gegenständen, die ihm ähneln in dieser Ausgabe! (Foto: Sam Ballard/CC)

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