Abschiebung ins Niemandsland

Emil Rabe über die unerträgliche Situation der Roma im Kosovo.

Seit 2009 gilt der Kosovo in Deutschland, Österreich, Schweiz und anderen europäischen Staaten wieder als sicheres Herkunftsland.
In Deutschland kam es bereits zu einer Zunahme von Abschiebungen in den Kosovo. Hintergrund dafür sind einmal bilaterale Rückführungsabkommen zwischen Deutschland und der Republik Kosovo bzw. Forderungen der internationalen Gemeinschaft an den Kosovo im Gegenzug für die Anerkennung der im Februar 2008 ausgerufenen Unabhängigkeit. Ein Punkt dieser sog. Kosovo-Standards betrifft die Ermöglichung der Rückkehr der Flüchtlinge aus dem Kosovo. Betroffen davon sind nun auch ca. 11.700 in Deutschland lebende Roma.

Nach dem Rückzug der jugoslawischen Armee (JNA) im Juni 1999 und der Rückkehr der zuvor von der JNA vertriebenen Albaner kam es im gesamten Kosovo zu Angriffen auf nicht-albanische Zivilisten. Angehörige der Roma waren während des Kosovokrieges von jugoslawischen Einheiten als Hilfskräfte zwangsrekrutiert worden, um Schützengräben zu bauen, Eigentum der albanischen Bevölkerung zu plündern und Gräber für exekutierte UÇK-Kämpfer und albanische Zivilisten auszuheben. Manche Roma unterstützten auch freiwillig Aktionen der JNA. Während viele der Serben und Roma, die tatsächlich mit der JNA kollaboriert hatten, zusammen mit dieser den Kosovo verließen, wurden Roma nun pauschal als Kollaborateure angegriffen. Von den schätzungsweise 150.000 Roma, die vor dem Krieg im Kosovo lebten, waren nach den gewaltsamen Vertreibungen gerade einmal 15.000 im Kosovo verblieben.

Die systematischen Vertreibungsaktionen und pogromartigen Angriffe auf die nichtalbanische Bevölkerung im Kosovo fanden zwar mit der Demobilisierung der UÇK, der Stationierung der KFOR-Truppen und der Einrichtung der UNMIK-Verwaltung für den Kosovo vorerst ein Ende. Dennoch kam es in den folgenden Jahren zu einer Vielzahl von Übergriffen auf Serben und Roma. Ebenso gravierend wie diese einzelnen Gewaltakte war schließlich die weit verbreitete rassistische Hetze durch albanische Nationalisten. Soziale Diskriminierung isolierte die wenig verbliebenen Roma sukzessive vom öffentlichen und wirtschaftlichen Leben. Wenn Kinder oder Erwachsene jeden Tag auf dem Weg in die Schule oder in die Stadt geschlagen und eingeschüchtert werden, überlegt man es sich in Zukunft zweimal das Haus zu verlassen. Oft konnten Roma und Serben allein aufgrund der Präsenz internationaler Truppen und Polizisten vor weiterer Gewalt bewahrt werden.

Im März 2004 erreichte die Gewalt einen neuen Höhepunkt als, angestachelt durch nationalistische Medien, Politiker und UÇK-Kriegerverbände, zehntausende, zum Teil mit Knüppeln, Messern und Gewehren bewaffnete Albaner sich an Angriffen auf Serben und Roma bzw. deren Siedlungen beteiligten. Die UNMIK-Polizei und KFOR-Truppen schienen teils völlig unvorbereitet auf das Ausmaß der Gewalt, teils zeigten sie wenig Initiative den angegriffenen Serben und Roma zu helfen. Zum Teil wurden ganze Siedlungen von Tausenden gewaltbereiten albanischen Nationalisten attackiert. Die Häuser wurden mit Steinen beworfen, Türen aufgebrochen und die Bewohner mit brutaler Gewalt geschlagen und vertrieben. Anschließend wurden die Häuser geplündert und in Brand gesetzt. Vielfach wurden die Gebäude auch entzündet oder beschossen, während Bewohner und Familien sich noch darin versteckten. Insgesamt wurden ca. weitere 4000 Serben und Roma vertrieben und 800 Häuser zerstört.

Internationales Aufsehen erregt auch das Schicksal einiger hundert 1999 aus Mitrovica vertriebener Roma. Diese wurden von UNHCR in unmittelbarer Nähe einer aufgelassenen Bleimine im Norden der Stadt provisorisch untergebracht. Obwohl die gesundheitlichen Risiken den Verantwortlichen bekannt waren, wurden die Flüchtlinge jahrelang hier untergebracht, bis 2004 durch Interventionen unabhängiger NGO’s und einem WHO-Bericht stark erhöhte Spuren von Blei im Blut der Lagerinsassen und ernsthafte Folgeschäden öffentlich wurden.
Bis dato wurden die meisten Bewohner lediglich 150 Meter weiter entfernt untergebracht, sie warten weiter vergeblich auf Hilfe und eine Perspektive für ihre Zukunft.

Nach Angaben des European Roma Right Centre, das seit einem Jahrzehnt die Situation im Kososvo beobachtet, leben Roma im Kosovo heute »in einem Zustand allgegenwärtiger Furcht, welche durch regelmäßige Einschüchterungen, verbale Drohungen und periodische rassistische Angriffe« gefördert wird. Paradoxerweise gibt es nur wenige Fälle von Diskriminierung und Gewalt gegen Roma die besser dokumentiert sind. Ein beträchtlicher Teil der Organisation der UNMIK-Verwaltung, OSZE und UNHCR Projekte waren und sind explizit dem Schutz der Minderheiten gewidmet. Es ist grotesk und gleichzeitig bezeichnend, wie sehr diese gut gemeinte Betriebsamkeit immer genau dann scheiterte, wenn es galt, Roma im Ernstfall effektiv zu schützen. Die Pogrome im März 2004 fanden zum Teil nur wenige hunderte Meter von KFOR-Stützpunkten statt, deren Kommandanten sich als völlig unfähig erwiesen, den Mob zurückzuschlagen. Auch heute ist die Gewalt und Hetze gegen Roma in Medien und Zivilgesellschaft wieder ein Thema. Kongresse und Diskussionsveranstaltungen trennen jedoch oft nur einige hundert Kilometer vom nächsten Pogrom.

Die grundsätzlich begrüßenswerte Intention, im Namen des Schutzes der Minderheitenrechte die gewalttätigen Vertreibungen nicht einfach hinzunehmen und eine Rückkehr der Flüchtlinge zu ermöglichen, wurde ad absurdum geführt, als die Maßnahmen zur Rückführung nun ohne jede Rücksicht auf die Interessen der Betroffenen durchgeführt werden sollen. Roma, die seit Jahren in Deutschland leben, deren Kinder deutsch sprechen und hier aufgewachsen sind, werden nun gegen ihren Willen in ein Land abgeschoben, wo es für sie absolut keine Zukunft gibt und sie um ihre Sicherheit fürchten müssen.

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