Zu schön zum Schocken

Reine Routine war es nie, wenn Die Goldenen Zitronen ein neues Album vorlegten. Mit »Die Entstehung der Nacht« arbeitet die Band weiter an ihrer Ästhetik der Negation. Am 2. Dezember spielen Die Goldenen Zitronen in der Stadtwerkstatt. Von Jörg Sundermeier.

Sie sind Klassiker geworden. Das neue Album der Goldenen Zitronen, »Die Entstehung der Nacht«, zeigt die Band auf der Höhe ihrer Kunst. Das war zu erwarten gewesen – und eigentlich doch nicht. Und überrascht am Ende wohl auch die Bandmitglieder selbst.

Angefangen haben die Zitronen, das ist bekannt, als lustige Band. Einige wissen nur, dass sie den Song »Am Tag als Thomas Anders starb« geschrieben haben, eine Coverversion des Schlagers »Am Tag als Conny Kramer starb«, der wiederum eine Coverversion von »The Night They Drove Old Dixie Down« ist, einem Song von The Band, den Joan Baez zum Hit macht – in ihrer Coverversion.

Früh also waren die Goldenen Zitronen eine Band, die – vielleicht sogar nur halb bewusst – in einem ganzen Zeichensystem agierte. Sie ließ uns diese Zeichen neu lesen: der muffige Hippie-Song mit reaktionärem Gehalt aus den USA, der den Untergang der sklavenhalterischen Südstaatler beweint, und in Deutschland zum Anti-Drogen-Song gewendet wurde, wird bei den Zitronen zur Waffe gegen das Starsystem Pop. Schon hier war vorhanden, wenn auch hinter Brachialhumor verborgen, was später Methode werden sollte.

Dennoch: Die Zitronen galten zunächst als lustige Band aus Hamburg, die mit anderen lustigen Bands aus Deutschland auftrat, auch mit den Ärzten und den Toten Hosen. Mit Songs wie »Für immer Punk« oder »Porsche, Genscher, Hallo HSV« sorgten die Hanseaten für ein bisschen Hygiene in der Punk- und linksaktivistischen Szene, indem sie sich über die Szene lustig machten.

Seit 1990 aber wandelte sich der Ton und die Musik der Band grundsätzlich, denn auch das Material, die Welt, in der die Zitronen nun zu leben hatten, hatte sich grundsätzlich gewandelt. Schon vor dem Album »Fuck you« von 1990 deutete es sich an. Das Stück »80 Millionen Hooligans«, ein Kommentar zur »Wiedervereinigung«, war ein HipHop-Stück, mit dem (Punk-) Rockfans gar nichts anfangen konnten. Damit war bereits der Bruch vollzogen.

Im Jahr 1994, als das Album »Das bisschen Totschlag« erschien, war er für alle sichtbar. Die Zitronen wollten ihrem Publikum nicht nachsehen, dass es sich nicht wandeln wollte. Wer weiter einfach ein bierseliger Funpunk sein wollte, der wurde von ihnen beschimpft – von der Bühne herab, direkt ins Gesicht. Der Chef ihrer früheren Plattenfirma, so ist in dem Dokumentarfilm »Übriggebliebene ausgereifte Haltungen« von Peter Ott zu sehen, der 2008 in die Kinos kam, versteht bis heute nicht, was da vorging. Man hätte doch einfach weitermachen können, es war doch so nett.

Die Goldenen Zitronen aber wussten, dass sie, wenn sie es mit ihrem Linkssein ernst meinen, sich nicht einfach nur auf einige Zeit den Plattenmultis verweigern mussten. Sondern es galt eine Musik zu entwickeln, die verhinderte, dass sie jemals Big in Berlin werden könnten, wie die Sterne, oder widerspruchslos nur noch »Liebe sein« wollten, wie es der spätberufene Familienvater Jochen Distelmeyer heute tut. Sie machten die Widersprüche kenntlich, entwickelten eine Ästhetik der Bruchlinien, verweigerten identitäre Songs. Der Spießigkeit des eigenen Milieus setzten sie eine Musik entgegen, die an New und No Wave, Jazz, Funk, HipHop, Punk, an Degenhardt, an Hanns Eisler und Heiner Goebbels, und, seitdem der Musiker Mense Reents in die Band aufgenommen wurde, auch an elektronischer Clubmusik geschult wurde.

All das kann man auch auf dem Album »Die Entstehung der Nacht« hören. Hier wird alles demonstriert. Die ruppige Material- und Instrumentenbeherrschung der Band. Ihre von Verfremdungstechniken durchsetzten Texte. Der präzise Gesang des im klassischen Sinne nicht singen könnenden Sängers Schorsch Kamerun. Er ist neben Ted Gaier das einzige in der Band verbliebene Gründungsmitglied, und führt zusammen mit Gaier und Reents die Band als Bande an.

Die beiden Schlagzeuger, Stefan Rath und Enno Palucca, sowie der Keyboarder Julius Block, kamen erst nach 1990 in die Band. In den Diskussionen, die wie der Dokumentarfilm von Peter Ott andeutete, recht heftig geführt werden, und nicht wenige Bandmitglieder im Streit ausscheiden ließen, halten sie sich eher zurück. Auf der Bühne jedoch sind alle gleichwertiger Teil der Inszenierung, die sich bewusst jederzeit als Inszenierung erkennen lassen will.
»Die Entstehung der Nacht« entwickelt weiter, was sich so langsam methodisch eingegroovt hat bei den Zitronen. Es gibt, gleich eingangs, das Lied »Zeitschleifen«, das die gesellschaftliche Durchdringung privater Beziehungen vor Augen führt. Die Songs »Börsen crashen« und »Des Landeshauptmanns letzter Weg« sowie das groovige »Lied der Medienpartner« entwickeln das politische Lied weiter. Selbstverständlich gibt es Gäste – der Song »Drop the Stylist« wird von Mark Stewart und Melissa Logan gesungen, die Künstlerin und FSK-Bassistin Michaela Melian singt schließlich mit »Beautiful People« einen schönen, an Velvet Underground gemahnenden Song. »Über den Pass« ist ein kleiner Popsong mit Sprechgesang. Mit »Bloß weil ich friere/ist noch lang nicht Winter« findet sich ein großer Slogan auf der Platte.

Gaier und Kamerun arbeiten inzwischen erfolgreich für das Theater, Gaier dreht linksradikale Spielfilme, alle Bandmitglieder sind zudem in anderen Bands aktiv, und spielen Beatmusik, Elektronika oder sogar gut verkäuflichen Pop. Findet die Bande allerdings wieder zusammen, so scheint eine innere Dynamik sie dazu zu zwingen, all das, was sie außerhalb der Band machen, abzulegen. Stattdessen tauchen sie weitaus stärker, als es besonders Gaier mit seinen diversen, stets der Linken (nicht der Partei) verpflichteten Projekten tut, in eine Ästhetik der Negation ein, die eines der wenigen wahren Ulbricht-Worte – »Schönheit gibt es nur im Kampf!« – bestätigt.

Denn trotz ihrer Kraft und ihrer hart errungenen Widersprüchlichkeit sind die meisten Songs auf »Die Entstehung der Nacht« von einer solchen Schönheit, dass sie gar nicht mehr richtig beunruhigen können. Das mag derjenige bedauern, der ständig vor den Kopf gestoßen sein will. Der, der sich seit Jahren mit der Band beschäftigt, muss zugeben, dass er sich an diese Ästhetik gewöhnt hat, dass er sie, wie auch die Musik Eislers oder der späten Beatles, rundweg mag. Das trübt nicht im Geringsten die Freude, die »Die Entstehung der Nacht« zu geben vermag. Man muss einsehen, dass hier eine Band Klassisches hervorbringt, gerade weil sie für keine Institution zu haben ist, sondern ihre eigene darstellt.

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