Tod den Kategorien – ein Sternchen*?

Conny Gantze, Steffi Gunzy und Sina Wurm vom Redaktionskollektiv des Magazins fiber über »queer«-feministische Strategien.

Immer wieder steht (nicht nur) das Redaktionskollektiv des Magazins fiber. werkstoff für feminismus und popkultur[1] vor dem Problem, wie Thematiken/Diskriminierungen benannt werden können, ohne auf Kategorien zurückzugreifen. Lösungen wurden (noch) nicht gefunden und vielleicht trifft hier ja mal wirklich »Der Weg ist das Ziel« zu. Doch wie die verhassten Kategorien (Mann/Frau, hetero/homo, etc.) abschaffen, wenn »wir« diese immer und immer wieder fortschreiben?
Wie den Spagat zwischen »Feminismus«, und hier ist ein sehr verallgemeinerndes Verständnis mit klaren dichotomen Trennungen (also »Mann/Frau«) und einem klar definierten Feind (Patriarchat) gemeint, und den (zu recht) alles in Frage stellenden queeren Überlegungen vollziehen?
Könnte eine queer-feministische Fortschreibung der Kategorien eine Verbindung von Weiterschreibung und Wegschreibung (fort = weg) sein – da Kategorien zwar benannt, aber gleichzeitig auf den konstituierten Charakter dieser hingewiesen wird – oder ist das Sternchen* am Ende einer jeweiligen Zuschreibung (Mann*, Frau*, etc.), welches dieser Konstruiertheit Ausdruck verleihen soll(te) nur theoretische Augenauswischerei?

Ein Dilemma ist ja: Wie dem Naturalisierungszirkel das Gelenk brechen, also wie diesem Rückschluss von Biologie auf »Verhalten«/»Charakter« und der daraus resultierenden Annahme bzw. Praxis einer hierarchischen Verortung in der Gesellschaft und dem aus einer dichotomen hierarchischen Situiertheit entstandenen Verständnis von Biologie[2] die »objektive Logik« entreißen?
Und das daraus abgeleitete/verwobene/aufbauende/ursprüngliche »andere« Dilemma: Wie den sprachlichen Kategorien die Sinnhaftigkeit annullieren, welche diese konstituieren und durch den Gebrauch manifestieren?

Und immer wieder Butler ...

Judith Butlers vorgestellte Theorie (soweit es recht verstanden wurde) sieht ja in der Notwendigkeit der Wiederholung dieser Kategorien, damit diese überhaupt fortbe-/entstehen können, auch deren Brüchigkeit, und hier liegt nach Butler der Anknüpfungspunkt subversiver Handlungsmöglichkeiten. Also da eine Wiederholung ja nie komplett dem Vorhergehenden entspricht und bei jeder Wiederholung eine Verschiebung stattfindet, kann hier subversiv »interveniert« werden. Außerdem sieht sie in der Parodie Möglichkeiten einer subversiven Strategie, die Konstruiertheit von (Geschlechts-)Identitäten aufzuzeigen und diese ad absurdum zu führen. Als »Handlungsanleitung« können Butlers Überlegungen jedoch nicht in allen Situationen und Lebensrealitäten umgelegt werden.
Denn wie können diese Überlegungen in »akuten« Diskriminierungs-situationen handlungsmächtig umgesetzt werden?

»Queer« als Strategie

»Queer« versteht sich nicht als neue Kategorie im Sinne von Mann, Frau oder »queer«. Dies liegt auch in der teils problematischen Offenheit des Begriffs »queer« begründet. So ist »queer« nicht wirklich definierbar und soll/muss ständig erweitert werden. Klar ist, »queer« steht, jetzt mal gänzlich vereinfacht ausgedrückt, gegen (Hetero-)Normativität. Das heißt, anscheinend jede_r kann sich »queer« aneignen, sich mit »queer« labeln, die_der in irgendeiner Weise »que(e)r« zu einer Norm steht. Die (vermeintliche) Inklusivität von »queer« birgt jedoch auch wieder die Gefahr, durch die Vernachlässigung der Hinterfragung des scheinbaren geschlechtsneutralen und nicht ethnisierten Charakters von »queer« eine erneute Allgemeinheit als weiß[3] und männlich* herzustellen.
Andererseits lässt sich durch die Individualisierung »queer« gut in die neoliberale Logik integrieren.
Das heißt jedoch nicht, »queere« Überlegungen auf Grund von Widersprüchlichkeiten oder vermeintlichen Schwächen/Problematiken ad acta zu legen, sondern gerade diese Herausforderungen als »queere« Strategie zu nützen. »Queer« sollte ständig selbst »verqueert« werden.

Queer-Feminismus - Feminismus »verqueeren«

»Queer« und »Feminismus« stehen in einem umstrittenen, ständig neu verhandelten (Spannungs-) Feld. Die Queer Theory hat das Anliegen, Kategorisierungsprozesse als soziale Konstruktionen zu entlarven und zu destruieren. »Der Feminismus«, insbesondere »der« Differenzfeminismus, beruft sich hingegen auf die Unterschiede zwischen Frau* und Mann*, um die Stellung von Frauen* zu verbessern. Oft entsteht also der Eindruck, »Queer Theory« und »Feminismus« wären inkompatibel. In diesem Fall wird aber übersehen, dass »queer« durchaus in der Lage ist, sich aus strategischen Gründen auf Kategorien zu berufen, die eigentlich dekonstruiert gesehen werden möchten. Die bloße Ansicht, dass die dichotomen Kategorien Frau*/Mann*, homo*/hetero*, weiß/Schwarz oder ability*/disability* gesellschaftlich/kulturell gemacht und eben nicht »natürlich« sind, heißt nicht, dass aktuelle gesellschaftliche Differenzen und Hierarchien bestritten werden.[4]

Keine Kompromisse?!?

Die Bredouille mit dem »wir« ist ständige und vertraute Begleiterin des politischen Aktivismus. Dem (selbstauferlegten) Homogenisierungzwang kann nur schwer entflohen werden. Aus- und Einschlüsse werden scheinbar chronisch re-/produziert. Kollektivsubjekte können Hierarchisierungsträgerinnen sein, da es ja noch »die Anderen« gibt. Und diese »Anderen« braucht es auch, um sich selbst zu definieren und eben in gewissem Sinne zu hierarchisieren. Aber können politische Forderungen/Manifeste/Aktionen/etc. ohne ein Kollektivsubjekt artikuliert und im besten Fall durchgesetzt werden? Eine Möglichkeit wäre zumindest mal das »wir« transparenter zu definieren, also offen zu sagen, aus welcher Position wer was fordert/macht/schreibt. Dies löst zwar das Dilemma nicht auf, hat aber das Potenzial, zumindest teilweise die Problematik der Ausschlüsse zu thematisieren.
Doch wie können z.B. Forderungen nach »Frauen*räumen« dem Vorwurf des Ausschlusses argumentativ entgegentreten? Bzw. ist dies überhaupt möglich oder gewünscht? Politisches Handeln ist in einer hierarchisierten Gesellschaft verortet, in welcher Identitätskategorien produziert und aufrecht erhalten werden. Frauen*räume bieten Frauen* die Möglichkeit, eigene Strukturen und Strategien zu entwickeln, die vielleicht zu einem »späteren« Zeitpunkt wieder verändert bzw. geöffnet werden können. Wie Identität sind auch politische Strategien ständig je nach gesellschaftspolitischen Verhältnissen in Entwicklung zu sehen. Wenn von dieser Entwicklung ausgegangen wird, bzw. sie als maßgeblich angesehen wird, ist klar, dass zu gewissen Zeitpunkten gewisse Kompromisse gemacht werden müssen, nicht aus der vorgeworfenen ideologischen Inkonsequenz, sondern aus dem Potenzial nach Veränderung, und weil die Zeit und Entwicklung neue Formen von Allianzen und Formierungen sowie persönliche Identitäten bedarf.

*_k““

Bei fiber werden diese Ausschlüsse fast schon pedantisch diskutiert. Eine Lösung gibt es nie. Das Redaktionskollektiv selbst kann als relativ homogene Gruppe gesehen/problematisiert werden. So werden alle Diskussionen aus einer weißen, akademischen Position heraus geführt. Aber kann/soll die Thematisierung dieser Ausschlüsse schon das Ende der Problematik sein, oder bedarf es Interventionen, welche die zumindest »nicht gewollten«[5] Ausschlüsse zu vermeiden versuchen? Interventionsmöglichkeiten gibt es und es wird versucht, sie zumindest ansatzweise umzusetzen. Als Beispiele können so banale Fragen wie, wer, bzw. welche Gruppen in welcher Sprache Ausschreibungen für Artikel bekommen, oder wie ein möglichst barrierefreier Zugang zu Texten und Partizipationsmöglichkeiten gewährleistet werden kann, genannt werden.

Der paradox anmutenden Haltung zu Kategorien kann mit dem schon anfangs erwähnten Sternchen* Rechnung getragen werden. Aber nicht nur das Sternchen*, auch der _gendergap, kursive Schreibweise und in Anführungszeichen gesetzte Wörter können dazu dienen, auf die Problematik der Kategorien hinzuweisen. Auflösen können sie zwar diesen Widerspruch nicht, aber vielleicht ist dieses permanente Hinterfragen und die Paradoxie selbst schon ein Auflösungsversuch dieser Kategorien.

http://www.fibrig.net/

[1] Die Umbenennung in »werkstoff für queer_feminismus und popkultur« wird laufend diskutiert, ist jedoch bis jetzt noch nicht konsensorientiert beschlossen.
[2] Vielleicht einfacher ausgedrückt: Biologie, hier vor allem das biologische Geschlecht, ist ein Konstrukt der Gesellschaft und die gesellschaftliche binäre Ordnung wird durch dieses Konstrukt aufrechterhalten.
[3] Schreibweise Schwarz und weiß: Schwarz, großgeschrieben, weil es keine adjektivische Beschreibung ist, sondern eine politisch gewählte Selbstbezeichnung. weiß – klein und kursiv - hier geht es darum, dass der Begriff eine kritisch gemeinte Konstruktion ist und keine rassistische Beschreibung, die unreflektiert auf ein körperliches Merkmal wie die Hautfarbe abhebt. (Noah Sow: Deutschland Schwarz weiß, zitiert in: http://www.edition-assemblage.de/wie-vermeide-ich-es-rassistische-artikel-zu-schreiben/)
[4] Verwiesen sei hier auf den von Gayatri Chakravorty Spivak artikulierten »strategischen Essentialismus«. Bei diesem strategischen Rückgriff auf Kategorien muss jedoch permanent klar gemacht werden, dass es sich hierbei um eine Strategie zur politischen Mobilisierung handelt, die in einer spezifischen Situation eingesetzt, aber auch wieder aufgegeben werden muss (Spivak 1994, zitiert in Mesquita 2003:119).
[5] Männer* sind bis jetzt aus dem Redaktionskollektiv »gewollt« ausgeschlossen - dieser Ausschluss wird jedoch auch immer wieder thematisiert.

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