Orgien für das nICHts
Fuckhead. Paranoid strampelnde Mutanten der Firma Rock & Rabensöhne; fetter Bit&Byte-Wahnsinn; komplexe, temporeiche, irrwitzige Sounds. Dazu oftmals Visuals und fast immer fast nackte Leiber, die das Plenum mit allerlei Faxen und schwerwiegenden Frechheiten konfrontieren.
Für das kulturelle Getriebe ist dieser Act seit jeher schwer zu fassen. Seit 1988 flottiert dieser Krach-Happening-Mantikor derartig eigensinnig zwischen den Genres, dass jede Etikettierung unzufrieden lässt. Sicherlich kommt man irgendwie aus der Ecke, wo es verdächtig nach Industrial und Noiserock riecht. Doch durch ironische Distanz, Stilbrüche aller Art, ständige Kurswechsel und insbesondere durch die grenzüberschreitenden Bühnenshows entzog sich Fuckhead erfolgreich den begrifflichen Fixierungen. Die Kategorie der Authentizität wurde immer schon abgelehnt. Kunst ist künstlich. Gefeiert wird die Pose, die souveräne Selbstdifferenz, der Genderfuck, die multiple Persönlichkeit. Bald wurde man als Artcore-Formation identifiziert, bald aus dem heiligen Tempel der Kunst wieder vertrieben - gebrandmarkt als unwürdige Schänder. Als der Electro Einzug ins Klangbild der Band hielt, programmierte Sounds Raum einnahmen, sorgte dies für weitere Irritationen. Sogar die Free-Jazz-Szene nahm sich zwischenzeitlich dieser Extrem-Kombo an. Gewiss ist: Fuckhead hat sich nie darauf beschränkt, eine Band im engeren Sinn zu sein. Dazu war der »Performance«-Faktor stets zu hoch – selbst in den Anfängen, in denen man sich noch relativ klassisch gebärdete. Mit klassischen Gebärden hat man schon lange nichts mehr am Hut. Stattdessen hat man sich Aktionismus, Schock und Orgie auf die Fahnen geschrieben. Mit jeder Öffnung und jedem Sekret, das die menschliche Physiologie zu bieten hat, wurde irgendwann einmal experimentiert. Und wieso sollte man sich nicht auch einmal Plastikstränge durch die Brustmuskulutar ziehen und sich daran aufhängen, um ein bisschen über der Bühne zu baumeln? Hat sich Fuckhead-Sänger Didi Bruckmayr gefragt und seine Idee umgehend umgesetzt. Für ihn selbst hat derlei weniger mit provokativem Spektakel, als vielmehr mit dem Aufsuchen von Trance, kleiner Transzendenz und Psychohygiene zu tun.
Linzer Aktionismus
Mittlerweile hat man - die Tabubrüche betreffend - einen Gang zurück geschaltet. Vorwiegend aus Rücksicht gegenüber den Zuschauerinnen und Zuschauern. Ein bisschen um die Sensationsfixierten und Blutgeilen zu enttäuschen. Kaum aufgrund der Gefahr von ernsthafter Selbstbeschädigung. Fuckhead in die Tradition des Wiener Aktionismus einzuschreiben, erfasst zwar das Phänomen nicht erschöpfend. Eine gewisse heuristische Kraft besitzt dieses Vorgehen jedoch mit Sicherheit. Der Gatsch und die Geilheit Mühls, das Nichtzurückschrecken vor (scheinbarer) Autoaggression und die sensible Reflexionskraft eines Brus, Schwarzkoglers Kryptik, das Orgiastische und Ironische im Werk von Nitsch - dies alles spinnt sich weiter in den Exzessen von Fuckhead. Die letzten Auftritte geben sich nun offensiv postmodern, behandeln das Verschwinden des Subjekts, »das Nichts der Lücke«. Brutaler Eskapismus, einst und heute.
Und wer ist derzeit im Action-Team? Michael Strohmann greift tieftönend in die Saiten und programmiert Apokalypsen. Am Schlagzeug eskaliert DD Kern, der auch bei BulBul und Wipe Out den Takt vorgibt. Das zweite Maul der Fickkopf-Hydra neben Didi Bruckmayr ist dessen Cousin Siegmar Aigner. Selbiger - ein wahrer Prügel von einem Bass-Hünen - schmettert hauptberuflich Arien in der Staatsoper. Seit geraumer Zeit betreiben die beiden Vetter eine Side-Project-Wirtschaft: Unter dem Namen Mussurunga treten sie als Duo auf.
Am 10.Mai werden Fuckhead in der Stadtwerkstatt fröhliche Wiederkehr feiern. Eine neue Digital-EP wird zu diesem Zeitpunkt frisch veröffentlicht sein. Als Teaser für ein Vinyl-Album, das Anfang September dann über Noise Appeal erscheinen wird. Zu Redaktionsschluss waren noch keine Titel für die Releases bekannt.
Mit Christian Bruckmayr (Didis Bruder) wird an diesem Abend ein weiteres Gründungsmitglied von Fuckhead auf der Bühne stehen. Er eröffnet mit seinem Projekt »raum.null« den Abend. An der Seite von Benjamin Olsen (L.A.) und Dobrivoje Milijanovic (Belgrad). Deutlicher ruhiger als Fuckhead, aber vergleichbar doppelbödig dunkel.
Anmerkung: Der vorliegende Text nimmt starke Anleihen an einen Artikel, den der Autor in Ausgabe Nummer 33 von »freiStil« veröffentlicht hat.