Mythos Medienkunst: Max Kossatz

Ziel dieser Interview-Reihe ist es den Paradigmenwechsel Mitte der 90er Jahre zu analysieren. MedienkünstlerInnen der 80er und Computerhacker, die so genannten Nerds, sind Zeitzeugen dieses wichtigen Zeitabschnitts. In unserer Interviewreihe befragten wir ca. 20 MedienkünstlerInnen. Sie bestätigten zum überwiegenden Teil auch diesen Wandel in den 90ern. In weiterer Folge werden noch einige Computernerds befragt werden. Leider war damals, wie auch heute, die Kommunikation mit diesen Aktivisten der Technologie nicht einfach - lauter IndividualistInnen, die als Gruppe jede politische Position ablehnten.
 
Neben dem Internet gab es in dieser Zeit weitere große gesellschaftliche Veränderungen. Es war das Ende des kalten Krieges und der Anfang der New Economy. Beide stürzten sich auf die Möglichkeiten der neuen Medien (vgl. Schirrmacher: Ego, Krieg im Herzen der Gesellschaft). Und es waren die ProtagonistInnen der opencommons- und opensource-Generation, die sich als KünstlerInnen der Neuzeit einstuften. Einer von ihnen, mittendrin im Geschehen, war Max Kossatz.
Die MedienkünstlerInnen der 80er wurden in Österreich gern in Generationen getrennt. Die erste Generation mit Peter Weibel, Valie Export, Richard Kriesche, Bob Adrian X, Gottfried Bechthold (Kurzbeschreibung: Personen, die nicht unmittelbar mit dem Computer gearbeitet haben. Ausnahme: Bob Adrian X). Die 2. Generation ist schon ausführlich in dieser Interviewreihe zu Wort gekommen. Diese KünstlerInnen haben ihre Homecomputer und die Informationsnetzwerke direkt bedient. Ihre Werke waren aber noch in der bildenden Kunst (Analogtechnologie) verankert. Die 3. Generation waren Personen, die sich nicht mehr der bildenden Kunst zugehörig fühlten. Dazu zählte Max Kossatz, der in dieser Ausgabe zu Wort kommt. Mit der 4. und 5. Generation ging alles noch viel rascher, bis Mitte der 90er Jahre der Begriff »Medienkunst« nicht mehr zu halten war.      

Franz Xaver: Wir kennen uns ja schon sehr lange. Ich weiss nicht, ob du das mitverfolgt hast. Ich mache schon über drei Jahre eine Interview-Serie in unserer Zeitung Versorgerin mit den »alten Hasen« der Medienkunst. Damit meine ich die Personen, die sich vor dem www in den 80ern mit neuen Medien auseinander gesetzt haben (2. Generation der Medienkunst). Du warst ja damals (Ende der 80er Jahre) Student bei Peter Weibel und hast zwar die Situation hautnah mitbekommen, warst aber eine Spur zu jung um aktiv in den 80ern im Medienkunstgeschehen mitzumachen. Ich zähle Dich zur nächsten Generation. Wir haben dann zusammen das Kunstlabor gemacht, welches die Elektronische Galerie betrieben hat. Weiters kann ich mich an mehrere tolle Hacks erinnern, die ich heute noch gerne erwähne, unter anderem die Ablenkung des Elektronenstrahls eines alten Schwarzweißfernsehers mit Hilfe des Audioausgangs eines Amiga, das hast du doch damals in Assembler in die Maschine gehackt, wenn ich mich recht erinnere. Das alles mündete in die tolle Ausstellung »more media torture«. Was mich an dieser Interview-Serie interessiert, ist der Übergang von der Medienkunst zur Netzkunst. Du weißt, das Thema Netz hat mich brennend interessiert, deswegen haben wir ja auch die elektronische Galerie auf Fido-Basis betrieben. Als das Internet dann mit voller Breitseite einschlug, haben wir das Netz-Werk nicht mehr weiter laufen lassen. Für mich war es zu wenig als Künstler, nur am obersten Layer arbeiten zu dürfen. Wir haben das Netz-Werk damals auslaufen lassen. Kannst du diese Situation Anfang der 90er so bestätigen?

Max Kossatz: Ja, ich kann das so bestätigen. Es gab plötzlich eine Art »Spaltung«. Die meisten wollten diese neuen Oberflächen gestalten (z.B. Jodi), andere wollten da eher auf unterschiedlichen Ebenen diese neuen Dinge mitgestalten. Wir hatten uns ja auch überlegt, die Elektronische Galerie aufs Internet zu bringen (ich schlug ja damals vor, ein eigenes Protokoll dafür als RFC einzureichen), was aber schlussendlich scheiterte, wohl auch an der Aufbruchstimmung, die diese neuen Oberflächen geboten haben. Keiner wollte sich die Finger schmutzig machen.

Franz Xaver: Ich habe es immer als einen »touchdown« bezeichnet. Eine Bodenberührung, bei dem jede(r) die Möglichkeit hatte noch in den Düsenjet einzusteigen, wenn man schnell war. Mit diesem »touchdown« ist jede/r mit ins Flugzeug gekommen, der/die wollte, auch wenn sie alle keine Ahnung von der Technologie hatten. Aber kurz noch zum Thema der Elektronischen Galerie. Du sprichst von den eigenen RFCs (Netzstandards, die für die Entwicklung des Netzes sehr wichtig waren), die du damals vorgeschlagen hast. Ich sage 20 Jahre später nochmal: Es war nicht akzeptabel, nur auf dem obersten Layer ein bisschen Kunst zu machen, während die unteren Internetlayer, auf die das Netz aufbaut, nur von Technikern kontrolliert sind. Entweder Kunst oder nicht Kunst. Es hat sich dann ja in Folge gezeigt - Mitte der 90er -  die Hackercommunity hat sich lustig über die KünstlerInnen gemacht, die am obersten Layer ein bisschen Web designten. Das Netzwerk der »Elektronischen Galerie« übers Internet wäre nicht glaubhaft zu vermitteln gewesen. Max Kossatz habe ich immer als exzellenten Computer- und Netztechniker erlebt, aber auch als Künstler, der den Kunstdiskurs im und ums Netz gesucht hat. Die Medienkunst mit den analogen Materialien ist dir durch dein Alter ein wenig abgegangen. Wo war der Kunstanspruch bei einem Informationsnetz (E-Galerie)?

Max Kossatz: Gute Frage, das war ja damals weit vor Facebook & Co, der Begriff »Informationsnetzwerk« war nur theoretisch vorhanden (»Jeder ist ein Sender«, etc.). D.h. alles neue ist natürlich auch für Künstler interessant, die große, weite Wiese eben, Erfahrungen sammeln war wichtig. Auch glaubten viele, darin endlich das freie, demokratische »Medium« zu haben, das sich viele sehnlichst gewünscht hatten. Es kam dann natürlich anders.

Franz Xaver: Du hast hast viel Erfahrungen gesammelt bei thing.at und bei thing.net, dann gab es einige interessante Netzprojekte von dir. »Vergessen« war ja relativ früh: Wäre super, wenn du dazu etwas sagst.

Max Kossatz: Mir ging es schon sehr früh um diese »Vernetzung«, da ich der Meinung bin, dass solche Vernetzungen weitaus größere Ergebnisse liefern als die Summe der Einzelteile. The thing war ein Netzwerk von Künstlern, das vor dem Internet entstanden ist, ähnlich wie die Elektronische Galerie auf die Weise, dass über Telefonleitungen Informationen ausgetauscht wurden. War sozusagen auch die erste Spielwiese für »Informationsnetzwerke«. The thing hatte bis zu zehn oder zwölf Knoten weltweit und wurde eben genau von denen genutzt, die nicht nur die Oberfläche, sondern eben auch das Dahinter begreifen wollten.

Franz Xaver: Es war ja schon eine verrückte Sache ein Informationsnetzwerk als »thing« zu bezeichnen. Wie ein Ding aus der anderen Welt, das auf der Erde gelandet ist. Ich weiß nicht, ob du meine wilden Überlegungen mitbekommen hast: Ich spielte eine Verschwörungstheorie durch: Das Internet wird entweder nach wie vor für militärische Zwecke genutzt, oder die Ursache liegt in einem Wesen der Information, das exterritoriale Ursachen hat. Es geht um das Thema der Information, was sie ist und wo sie herkommt. Die Medienkunst ist/war nach diesen Überlegungen kulturpolitische Krücke, um mit interaktiven, interdisziplinären und dezentralen Skulpturen das Internet im Herz der Kulturgesellschaft zu etablieren. Da passt mir »the thing« natürlich total in diese Theorie. Aber nun zurück zu der Zeit, als die Medienkunst »aus« war und das www mit voller Breitseite einschlug. An allen Ecken und Enden war dann »Netzkunst« angesagt. Welche Erinnerungen sind dir geblieben? Mailinglisten wie Nettime? ...viel Theorie? Ich glaube, du warst ja dann auch länger bei Wolfgang Stähle (the thing.net) in New York.

Max Kossatz: Was bei the thing sehr interessant war, waren die vielen Diskussionsforen wie z.B Nettime, in denen sehr viel theoretisch über die auf uns zukommenden Dinge gesprochen wurde (1993). Anfangs sehr optimistisch, nach ein paar Jahren schwenkte dieser Optimismus in Pessimismus um. Möglicherweise wurde da die verpasste Chance realisiert, die diese »Neuen Medien« geboten hätten, wenn man sich mehr damit praktisch beschäftigt hätte. So wurde eben alles durch die Realität eingeholt und vor allem überholt.
Das Interessante daran ist, dass damals über die zukünftigen Möglichkeiten sehr viel diskutiert wurde, was denn nicht alles in der Zukunft möglich sein wird etc. Danach »starb« die Medienkunst (zu Recht, der Begriff war von Anfang an schlecht). Heutzutage sind alle diese Ideen von damals Wirklichkeit und bereits Mainstream, trotzdem hat diese »Medienkunst« oder wie auch immer man es nennen will, nicht wirklich einen relaunch erlebt, wieso? Ausnahmen wie z.B. »Delivery for Mr. Assange« (http://bitnik.org/assange/) bestätigen die Regel.

Franz Xaver: Kannst du deine eigenen Netzprojekte beschreiben: z.B.: »vergessen.com« oder »wissenbelastet.com«

Max Kossatz: »vergessen.com« ist ein Projekt, wo es darum ging, aufzuzeigen, dass es oft notwendig ist, auch Dinge zu vergessen, um Platz zu machen für Neues. Das Projekt lief auf verschiedenen Ebenen, Webseite, Veranstaltungen, wie z.B. eine Litfaßsäule in New York, wo man Dinge hineinschmeißen konnte, die man vergessen will, etc.

wissenbelastet.com war mein persönlicher Blog, den ich jahrelang betrieben habe. Anfangs sehr persönlich, wurde er sehr schnell für mich zu einem Sprachrohr um Dinge aufzuzeigen. Das war vor allem bei dem Projekt »Grüne Vorwahlen« wichtig, wo es darum ging, die Wiener Grünen soweit zu bringen, dass sie öffentliche Vorwahlen für die Landesliste zur Wiener Landtagswahl 2010 machen. Das Projekt ist am völlig unerwarteten Widerstand der Wiener Grünen gescheitert, die Partei hat sich dabei völlig blamiert.

Franz Xaver: Hilus war doch auch ein Vorläufer der Netzkunst?

Max Kossatz: Hilus war gedacht als Schnittstelle zwischen den verschiedenen Disziplinen. Hilus war nie eine Künstlergruppe sondern eine Kommunikations- und Vermittlungsplattfom. Das hat anfangs auch sehr gut funktioniert, wir haben damals 1993 das Projekt Unit-n gemacht. Damals war das Internet noch wirklich sehr neu :)
(siehe http://braun.mur.at/projekte/hilus/unitn.shtml). Heutzutage kann man sich gar nicht mehr vorstellen, wie kompliziert es damals war, z.B. Telefonleitungen zu bekommen. Das wohl wichtigste Projekt von Hilus war neben Unit-n wohl Open Circuit (1992). Wir haben alle uns bekannten Medien/Netz-KünsterInnen eingeladen, um sich zusammen zu setzen, um sich gegenseitig vorzustellen. Da damals schon das Problem des Begriffes Medienkunst klar wurde – jeder hatte, völlig unbegründet, Angst vor den anderen, da nie ganz klar war, ob »Konkurrenz« in diesem gerade aufstrebenden Zweig der Kunst besteht oder nicht.

Franz Xaver: Wie hast du in den 90ern Silverserver gesehen - Silverserver stand ja immer zwischen Kunst und kommerziellen Interessen? Er war ja eine echte Alternative zu den anderen gemeinnützigen Servern wie Blackbox, Netbase, Thing.

Max Kossatz: Soweit ich es verstanden habe, war Silverserver von Anfang an ein kommerzielles Projekt, was total ok war (und die Geschichte gab Oskar Obereder auch recht).  

Franz Xaver: Woran arbeitest du im Moment? Du hast doch eine Firma, was macht ihr da genau?

Max Kossatz: Nachdem ich schon seit Jahrzehnten nichts mehr im Kunstbereich gemacht habe, ist mein aktuelles Projekt ein Internet Startup, das eigentlich das Gegenteil des »vergessen.com«-Projekts macht: archify dient dazu, dass du als UserIn nichts mehr vergisst, das du schon einmal gesehen hast, sozusagen ein ständiges Archivieren deines Digital Footprints.

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