Der Frühling bringt Maschinentriebe

An der Stadtwerkstatt-Fassade überlagern sich Natur und Maschine. Tanja Brandmayr schreibt über die Fassadeninstallation »Efeu Ex«, die am 1. April eröffnet wird – zwischen Handwerk, Technologieentwicklung, neuen Trieben und Quasikunstmodus.

Die Gestaltung der Fassade des Hauses Stadtwerkstatt hat Tradition. War das in den 80ern ein Sgraffito, das das alte Haus sozusagen mit Kunst vor dem Abriss schützen sollte, greift seit einigen Jahren ein gewisser Pflanzenwildwuchs um sich, der die engeren Gefilde der Kunst verlassen und sowohl die Fassade als auch Teile der Innenräume der Stadtwerkstatt, genauer gesagt auch das Cafe Strom, erfasst hat. Seit Ende letzten Jahres wurde zudem begonnen, in die Fassade und deren Ökologie »Technik« einzuarbeiten und den Pflanzen einen Kontrapunkt entgegen zu stellen. Es wurde einerseits schlichtweg zu missverständlich, die schicke Welle urban gardening auf einer Ebene der kreativen Bepflanzungsideen zu bedienen. Andererseits, und das ist der wesentlichere Faktor, greift die Absicht, die beiden Pole Natur und technologische Entwicklung zu thematisieren, auf eine bereits ältere Idee zurück, die sich ebenfalls an der Fassade bereits einmal offenbart hat: So stand schon in den 90ern die Idee auf dem Plan, die Fassade mit auswachsender Technik zu bespielen, sozusagen einen neuen Ewigkeitscharakter dieses anderen Wachsens zu behaupten. Und sinnbildlich dafür stand auch schon damals der Efeu mit seinem Namen Pate, als Pflanze, die mit zäher Haltbarkeit und immer neuen Trieben durchaus Assoziationen zu etwas wie Ewigkeit erweckt. Dazu ein kleiner Exkurs zum Efeu: »Hedera helix kann fünfhundert Jahre alt werden und ist ein immergrünes Gewächs, das in der vollen Sonne ebenso wie im Schatten gedeiht. Er bildet eine dichte Bodendecke oder klettert mit Haftwurzeln an Wänden oder Bäumen empor, dazu braucht er keine Stütze oder Hilfe. Efeu ist aber kein ›Würger‹, der die Bäume umbringt. Das Trinken aus einem Efeuholzbecher sollte den Keuchhusten lindern, seine Beeren galten als Heilmittel gegen die Pest. Auch bei Wahnsinn hilft er: Man fülle einen großen Topf mit jungen Efeuranken, die noch nicht geklettert sind, und gebe zweieinhalb Liter Weißwein dazu. Einige Zeit ziehen lassen, dann gut auspressen. Mit dem Saft die Schläfen und die Stirn des Kranken alle zwölf Stunden einreiben. Im Volksbrauch ist Efeu das Symbol für Liebe, Freundschaft, Reichtum und Glück.«[1] Der ursprünglich angedachte technische Träger dieses glückhaft ewigen Anwachsens von Lampen und diversen Steuerungsmechanismen an der früheren Fassade wurde in den 90ern allerdings zu schnell zu einem digitalen Board an der Fassade, und damit zu einer reinen Ankündigungslaufschrift für Veranstaltungen. Bis eben vor wenigen Jahren die Umgestaltung durch Wildwuchs begann: Die alte Idee wurde aufgegriffen, es wurde begrünt, die Reste der damaligen Umsetzung wurden zweckentfremdet. Letztes Jahr wurde dann an der Technologieentwicklung inmitten des Grüns weitergedacht und neu gebaut – mit dem Startmaterial »pneumatisches Sperrrad«. Aktuell ziert die Fassade ein Zusammenspiel aus Pflanzen und mechanisch-pneumatischer Maschine namens »Efeu Ex«: Über vier Antriebsräder, die sich in unterschiedlicher Geschwindigkeit drehen und auf denen die Wörter SERVUS, FRO, STWST, STROM zu lesen sind, wird eine Feder transportiert, die sich an manchen Stellen zusammenzieht und gleichzeitig an anderen Stellen dehnt. Der Anpressdruck und auch der schrittweise Transport der Feder erfolgt über Pneumatikzylinder. Die Maschine bläst, scheint zu scheppern und dreht die miteinander verbundene Mechanik, zurzeit in stündlichem Tschinderassassa zwischen 14 und 20 Uhr. Demnächst wird sie mit einem Münzeinwurf versehen, mit dessen Geldfütterung die Fassade zum Leben erweckt werden kann. Dieses organisch-pneumatische Pflanzen- und Maschinenzusammenleben soll außerdem weiterentwickelt werden. Es könnte entsprechend weiter wachsen, sich verändern, und bei entsprechender Entwicklung einige köstliche Kunststückchen vollführen, zu denen wir gleich kommen werden.

Im Winter dieses Jahres versammelte sich bei der inoffiziellen Eröffnung ein größeres Grüppchen Leute, das sich am unterschiedlichen Dasein von Pflanzen und Maschine an der Hauswand erfreute, und an einer »Steampunk«-Ästhetik, die so etwas wie zirkushaftes Retrozukunfts-Technikleben versprüht: Man hat das fröhliche Gefühl, dass man im Gegensatz zu anderer Technik diese Mechanik verstehen kann – und vor allem auch deren Attraktionen und Sensationen. Denn erfreulicherweise zeigt sich der geölte (oder pneumatisch atmende) Bauch der Maschine in all seiner Pracht an der Hauswand selbst – einstweilen noch in rätselhafter Koexistenz und in noch ungeklärtem Verhältnis zur Pflanzenpopulation. Ich erfahre staunend, dass diese pneumatische Maschine, in Zukunft, ins Cafe Strom hineingezogen, einmal eine Raumkrümmungsmaschine und damit Parallelwelt-Partyzone im Zeitloch werden könnte: Nach dem Rausch mit garantiertem Vergessen. Eine kleine, aber feine gedankliche Neuinterpretation der alten Stadtwerkstattidee des Übergreifens von Kunst, Leben, Initiative, Natur, Technologie, Transformation und Party – auch inklusive menschlichem Treiben und menschlicher Triebe. Insgesamt im Frühling also, in planerischem Wildwuchs, neue Triebe von Vergangenheit und Zukunft. Im Vergleich zur Raumkrümmung zwar ein kleinerer Nebenaspekt, aber wesentlich für den Entstehungsprozess des Fassadenwerks ist außerdem der Umstand, dass eine Autorenschaft, sprich der Einzelnachweis von Idee, Auftrag und Ausführung relativ unerheblich ist: Generell in skeptischer Distanz zur hohen Kunst, vielmehr in begrifflicher und auch kollektiver Offenheit, haben hier auf Initiative der Stadtwerkstatt und mit der Stadtwerkstatt Markus Luger, Stefan Füreder und Marc Schrögendorfer gemeinsam gearbeitet. Ökologie und technologische Entwicklung, Planung und Wildwuchs gingen jedenfalls bereits mit dieser inoffiziellen Eröffnung ein komplexes Bündnis ein. Und zwischen den recht abgelaberten Begriffen Natur und Technik legt diese Maschine vielleicht ein lustigeres und charakteristischeres, wenn auch noch unbekanntes Sinnversprechen für die Zukunft ab, als wir das sonst in diesen Zusammenhängen immer serviert bekommen.

An dieser Stelle ist es wichtig, die Begriffe Wildwuchs und Planung im Kontext der Stadtwerkstatt zu betrachten. Insgesamt scheint es sich beim vorgestellten Efeu Ex um ein anvisiertes organisches Projektwachstum zwischen Natur und Technologiemaschine zu handeln, das seinen Freiraum daraus bezieht, in sich möglichst große Gegensätze anzulegen und damit weitläufige Gedankenansätze abzustecken. Das bezieht sich auf die Pole Bepflanzung und Technik einerseits. Dazu sei zuerst ein anderes Projekt an der Donaulände herangezogen, das Natur als erweiterte Pflanzenmechanik definiert: So begann Hans Polterauer Weidenskulpturen zu entwickeln, die er 2015 als Weidenknotenprojekt weiterführen wird. Polterauer baut seit Jahrzehnten elektromechanische Maschinen und bezieht in den letzten Jahren immer mehr die Natur in seine Objekte mit ein. Er betrachtet Pflanzen als elektrochemische Maschinen, die er durch Veränderung der Umwelt beeinflussen kann: Der Begriff der Natur ist also in Richtung Technologie eröffnet. Andererseits, sozusagen in einer anderen Erweiterung, spielen Ökologie und Technologie an der Fassade aber undurchsichtiger zusammen. Denn zuerst einmal stehen die Pole Natur und Technik in friedlichem, aber unvereintem Gegensatz und in Koexistenz zueinander. Die Gegensätze differenzieren sich aber sogleich weiter aus: Die unaufgelöste These und Antithese des ganzen Fassadengebildes – es ist Natur / es ist nicht nur Natur / es ist Technik / es ist keine Technologie / es ist mechanisch / und doch wieder organisch / es ist Fassadenoberfläche / gleichzeitig Maschinenbauch / es scheppert nur / es atmet aber / und koexistiert / spielt auch zusammen / generell ist es geplant / während es letzten Endes von selbst wächst – dieses ganze fortlaufende Hinausschieben einer Behauptung, während gleichzeitig immer auch ein Gegenteil davon behauptet ist, scheint in immer neue Aufschichtungen von ja und nein, und damit in immer neue Fluchtpunkte zu führen. Wo anderswo gern am Anfang und Ende der Weisheit die Vermutung steht, dass es Kunst sein müsse, wenn es sonst schon nichts sein will, wird hier das Spiel mit dem diskrepanten Ja-nein-Gegensatz in eine Synthese der anderen Art überführt: in einen Quasikunstmodus, der in den gleichberechtigt überlagerten Zustand von »Es ist Kunst / es ist keine Kunst« ein unvorhersehbares Quantum unbestimmbarer Offenheit einführt.

Mit der offenen Kontextbildung, die gegenwärtig in der internationalen Kunstszene Laboratorien in allen Facetten meint, sowie den Umstand, dass nicht nur Umsetzung, sogar Ideenfindung und Arbeiten selbst zur Kunst wird, klinkt sich die Stadtwerkstatt hier gut ein. In diesem Sinne steht der, auch im Kontext der Stadtwerkstatt veranschlagte Arbeitsbegriff »Quasikunst« auch für Belange, die Dinge, die Objekte, die Absichten, die im Dunklen der nicht mehr verhandelten Bereiche der rationalen Welt und ihrer auswuchernden Netzwerke liegen, neu anzusehen und damit neue Möglichkeiten zu bieten. Der Stadtwerkstatt-Gibling etwa als autonomes Zahlungsmittel zwischen Kunstwährung und Währungskunst war und ist etwa so ein Projekt.[2] Als deklariertes Quasi-Kunstobjekt, sozusagen als künstlerisches Quasiobjekt der vielschichtigen Zusammenhänge, zeigt auch dieses Geldprojekt zwar ein Ähnliches, aber trotzdem nicht ganz Deckungs-gleiches an, es sucht Verbindungen zwischen Kunst, Natur und Wissenschaft, sowie es blinde Flecken erahnbar macht, die zusätzlich durch Mechanismen des allseits recht populär gewordenen permanenten »Beleuchtens« und »Sichtbarmachens« zusätzlich in den Schatten rücken. Damit, und auch mit dem neuen Fassadenprojekt, eröffnet die Stadtwerkstatt aber auch eine andere Strategie, die traditionell ohnehin nicht das Funktionieren von Objekten, auch nicht das Funktionieren als Kunstobjekte in den Mittelpunkt stellt, sondern das Thematisieren von Objekten und Zusammenhängen selbst, die ziemlich konträr ausschlagen: In gewisser Weise handelt es sich, wie oben bereits genannt, hier auch um einen Modus der Betrachtung, wo es um konträre Aufschichtungen von Gegensätzen und Fragestellungen geht: was ist es / was ist es nicht / was kann aus einer Überlagerung werden, die möglichst undefiniert den größtmöglichen Gegensatz selbst thematisiert und den Dingen dazwischen ihre oszillierende Offenheit zurückgibt.

Ein raffinierter Schachzug gegen verengende Eindeutigkeiten ist, im Zusammenhang mit der Fassade, dass anstelle des Begriffs Kunst überhaupt das »Handwerk« gesetzt wurde, so Franz Xaver von der Stadtwerk-statt, also eine neue Dichotomie à la: Es ist keine Kunst / es ist lieber Handwerk. Will man dem folgen, tritt bei »Efeu Ex« das Handwerk anstelle von Natur, Technologie und anstelle der Kunst. Es handelt sich also um eine weitläufige Rochade, es werden großzügig Begriffe verschoben, ausgetauscht, beziehungsweise scheint es, als ob etwas hinzugefügt werden soll, das sich der direkten Deutung entziehen will. Dazwischen pfeift und quietscht es im vertikalen Grün und wenn es nicht gar so abgeschmackt wäre, könnte man meinen, dass hier, einmal mehr, Kunst so gar nicht von Können kommt: Denn interessanterweise wird gleich der ganze Können-Kübel ausgeschüttet, denn »das Handwerk kommt hier auch nicht von Können«, so Franz Xaver, eher handele sich um ein »Basteln«. Ich meine, dass das in einem Sinne verstanden werden kann, der das Basteln gegen das Könnerische, das Beherrschen von etwas setzt und sich damit lieber auf eine Suche nach Assoziation, Material und gleichberechtigten kollaborativen Zusammenhängen macht – und Menschen und Dingen wieder ihren Platz gibt. Und auch etwas wie machen und spielen meint. Denn letzten Endes geht es in der Kunst, auch in der Quasikunst, um Freiheit, die sich, wenn nötig pflanzlich schattenhaft, losgelöst vom mechanischen Getriebe im Dazwischen breit machen kann.

Am Schluss noch eine höchstpersönliche Assoziation, ein Zufallstreffer, den ich in Form eines Zitats gefunden habe: »In früheren Zeiten der Kunst / Bearbeiteten Handwerker mit größter Sorgfalt / jeden kleinsten und unsichtbaren Teil, / Denn die Götter sind überall« … dieses Verszitat finde ich bei einer beiläufigen Lektüre in Harry G. Frankfurts kurzer Streitschrift »Bullshit«. Es stammt vom amerikanischen Dichter Longfellow und steht für handwerkerisch genaues und gewissenhaftes Arbeiten selbst an Teilen, die nicht im Endergebnis einer Arbeit sichtbar sind.[3] Und meint damit wohl etwas, das jenseits von Achtlosigkeit und Oberfläche angesiedelt ist. Dass damit das Handwerk immer schon goldenen Boden hatte, wäre ein recht langweiliger und zu offensichtlicher Schluss: Vielversprechender scheint der größere inhaltliche Zusammenhang, den der Philosoph Frankfurt gegen den »Bullshit« auffährt: Er plädiert insofern für dieses Handwerk der alten Tage, als dass er es gegen einen Bullshit stellt, der als oberflächlicher Pseudosinnzusammenhang unserer Tage jenseits von Wahrheit, aber auch jenseits von Lüge nur mehr dem Selbstnutzen von Bullshittern genügt. Und dort, wo eben einst im Verborgenen die Götter über die Sorgfalt gewacht haben, liegt allgegenwärtig dieser dumpfe Selbstzweckzusammenhang unter den Oberflächen verschleiert und verborgen im Dunklen. Ich meine, dass in diesem Sinne das Bekenntnis zum Bild des Handwerks legitim ist: Denn auch die Kunst produziert in Zeiten des kreativen Imperativs viele schöne glattpolierte Oberflächen mit zweifelhaftem oder gar keinem Unterboden. Quasikunst sozusagen auch als autonome (Hand)Werksvariante und das Gegenteil von Bullshit. Oder schlichtweg auch die ausgedachte Partyzone der Zukunft als legitimer Fluchtpunkt: Wer sagt eigentlich, dass sich der Raum nicht schon bei der Eröffnung krümmen wird, wenn Pflanzen, Maschine und Menschen miteinander zu sprechen beginnen?

Efeu Ex wird am 1. April, um 19 Uhr vor der Stadtwerkstatt eröffnet.

[1]  Zitiert aus dem Blog von Schröder und Kalender, http://blogs.taz.de/schroederkalender/bio/
[2] Versorgerin #103, http://versorgerin.stwst.at/artikel/aug-23-2014-2213/das-geld-die-kunst-und-der-gibling
[3] Harry G. Frankfurt, suhrkamp taschenbuch, 2006, schreibt in seinem Büchlein »Bullshit« auf Seite 18, dass dieser Vers einst, laut eigener Aussage, Wittgenstein als Motto hätte dienen können: Das wiederum berichtet Norman Malcolm in seiner Einleitung zu Rush Rhees (HG »Recollection of Wittgenstein«, Oxford 1984, dt. »Ludwig Wittgenstein, Porträts und Gespräche«, Frankfurt am Main, 1987, S 13

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