Warten auf Râsvan
Eine Geschichte will geschrieben werden. Diese Geschichte will geschrieben werden. Die Geschichte vom Tankhafen und dem Tankschiff und der Tankwartin, die nach den Schiffen horcht. Vor allem die Geschichte dieser Frau will erzählt werden. Das Abendrot verfängt sich zwischen den spiegelnden Metallzylindern mit den Treibstoffreserven der Stadt und der Tankhafen lodert auf. Sie sieht es nicht. Die Stromkilometer der Donau wickelt sie in Gedanken wie einen Wollfaden zum Knäuel, um ihn gleich wieder zu straffen: Wien, Bratislava, Budapest, Belgrad, das sind die Hauptstädte der Donau. Dazwischen und davor und danach Landschaften. Und Städte wie Linz. Nicht jede Stadt hat so einen Hafen. Und nur auf diesem gelb-grün gestrichenen Tankschiff sitzt eine Frau, die wartet und wartet und wartet. Wenn sie das Radio leiser dreht, hört sie das Donauwasser um die Bordwand schleichen. Sie dreht das Radio nicht leiser. Die Tage und Nächte sind eintönig. Die Tage und Nächte sind lang. Die Bierdosen stehen in Griffweite und die Dopplerflasche auch. Das sanfte Schwanken des Schiffes hat sich in ihr breit gemacht. Im Seemannsgang stöckelt sie durch das Leben. Vom Tankschiff über die Schienen des Hafengeländes zur Busstation. Von der Busstation in die Wohnung. Von der Wohnung wieder zum Tankschiff. An freien Tagen ins Stammlokal. Mit den Gedanken nie ganz bei der Sache. Ein Teil der Gedanken immer draußen bei der Freundschaftsbrücke, der letzten Donaubrücke, Stromkilometer 493.
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Der Tankstellenpächter ist Kärntner. Er heißt Rudi. In den Linzer Tankhafen hat es ihn zufällig verschlagen. Er hätte sich auch am Bodensee oder in Eisenstadt niedergelassen, wenn die Mineralölfirma dort nach einem tüchtigen und mutigen Mann für ihre Tankstelle verlangt hätte. Bier verkaufen, das Geld für den Sprit kassieren, Semmelteig in die Mikrowelle schieben, sich zu den Fernfahrern und kostenbewussten Trinkern aus der Nachbarschaft ins verqualmte Kammerl an den Stehtisch stellen. Kaugummidiebe überführen und insgeheim von überwältigten Räubern träumen. Eine gut geölte Walther in Griffweite. Wer Arbeit sucht, der findet sie auch.
Der Rest der Familie war längst in das Heimattal zurückgekehrt. Die Frau fühlte sich sichererer mit Bergen im Rücken und Bergen vor Augen und die Kinder wollten in dieser selbstgefälligen Industriestadt nicht länger wegen ihres gedehnten Dialektes gehänselt werden.
Zu den Feiertagen fährt er heim. Die Ferien verbringt er mit Frau und Kindern auf Almhütten und Skipisten. Er schickt Geld, für die Ausbildung der Kinder, den Unterhalt der Frau, für einen neuen Vorhangstoff oder praktische Bodendecker im Garten. Er telefoniert jeden Samstag Vormittag mit seiner Frau, sie ruft ihn Dienstag Abend an. Sie werden sich nicht scheiden lassen.
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Die Geliebte hilft ihm. Tag für Tag. Nach fixem Dienstplan verkauft sie Dosenbier, Wodkaflaschen, Schokoriegel und Zeitschriften mit nackten Frauen. Er stellt sie nicht an. Soviel trägt das Geschäft nicht. Bei den Bieren ist er dafür großzügig und bei den Dopplern und den Ferrero-Küsschen. Sie denkt nicht an fehlende Versicherungszeiten. Sie wartet. Sie hält Ausschau nach Schiffen mit rumänischer Flagge. Sie hält Ausschau und träumt von Râsvan aus Giurgiu.
Râsvan aus Giurgiu. Den hatte ihr der Krieg gebracht. Nein, der Krieg hatte ihn nicht gebracht. Aber er hatte ihn festgehalten. Hier in Linz und lange genug, um ihm nahe zu kommen. Râsvan auf seinem Schiff, das nicht ihm gehörte, aber für das er Verantwortung trug, solange die Donau nicht schiffbar war. In Novi Sad ließen die Trümmer der bombardierten Brücken im Wasser eine Weiterfahrt in den Heimathafen nicht zu. Mannschaften lassen sich ausfliegen, Schiffe nicht. Der Reeder befahl zu warten.
Es war ein Glück, wie sie es zuvor noch nie empfunden hatte, als der Mann mit Zinkennase, blauen Augen und braunen Locken auf dem Tankschiff im Regal mit den Konserven stöberte. Die großen Hände entschieden sich für einige Büchsen Ölsardinen, Bohnensuppe, Rindsgulasch und den Aktionswodka. Ich bin ein einsamer Mann hier, sagte Râsvan, von dem sie noch keinen Namen kannte. Wie heißt du? Sie hieß Maria. Niemand nannte sie Maria. Dieser Name war ihr fremd. Ein Kosename aus der Kindheit hatte ihren Namen verdrängt und auch die knapp Fünfzigjährige nicht verlassen. Ich heiße Mädi, sagte sie. Mädi sagte Râsvan, ein schöner Name. Und Mädi wusste, dass sie zupacken musste, sofort, weil die Donau nur einmal so eine Liebe herantragen würde. Sie zupfte das Dekolleté ihres Angorapullovers zurecht und verrechnete für die Ölsardinen keinen Groschen.
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In der Kajüte roch es nach Diesel. Ein Ölofen mit defekter Lüftungsklappe ratterte in der Ecke hinter der Türe. Die Vorhänge waren zur Seite gezogen. Venus war mit freiem Auge zu erkennen. Im Altarm zwischen Lagerhaus und Segelflugplatz steuerte ein Biber seinen Damm an. Eisvögel plusterten sich auf den Weidenzweigen an der Uferböschung.
Râsvan war auf der Hut. Er trug die Verantwortung für das Schiff. Râsvan trug auch einen Ehering. Sie entdeckte ihn, als seine rechte Hand mit ihren Brüsten spielte. Mädi schloss die Augen. Sie fragte nicht nach dem Ring, und nicht nach Râsvans Vergangenheit, nach seinem Leben in dem anderen Land. Was zählte, war die Gegenwart. Der Gegenwart galt es, möglichst viel Zeit einzuräumen. Mädi warf sich auf Râsvan. Das Bett knarrte, Râsvan stöhnte. Sie war glücklich.
Râsvan summte. Im Rhythmus hörte sie den Ruderschlag einer Zille. Die Ruderblätter tauchten ins Wasser, schoben die Zille an, tauchten wieder ins Wasser und schoben. Ein einfaches, offenes Lied. Draußen vor dem Kajütenfenster sickerten die Glutfarben des Hochofens als roter Schein in den Nachthimmel. Das Schiff lag still, nur aus den leeren Laderäumen drang manchmal ein metallisches Knacken.
Ratten fragte sie?
Flussgeister sagte Râsvan. Keine Angst, sie werden mich nicht ewig hier festhalten.
Ich habe geträumt, sagte Mädi am Morgen, als sie fröstelnd in der Kombüse saßen und auf das Gurgeln des Wasserkochers warteten. Ich träume selten. Im Morgengrauen sind wir über den Flugplatz geschlichen. Ständig sind uns brummende Hasen mit roten Augen und knisterndem Fell vor die Füße gelaufen und an uns hochgesprungen. Es war nicht leicht, zum Hangar mit den Motorseglern zu gelangen. Ich setzte mich ans Steuer. Es war nicht mein erster Flug. Wir flogen über das Industriegelände durch die gelben Nebel des Chemieparks und die weißen Dampfwolken des Stahlwerkes. Wie in Giurgiu, hast du geschrien. Dann hast du mir ohne zu fragen ins Steuer gegriffen. Wir folgten der Donau in die Ebene und segelten auf die Sonne zu. Wir waren nicht allein im Flugzeug. Ich hörte Frauenstimmen, die aufgeregt durcheinander schrien. Es war niemand zu sehen.
Von Eugenie Kain erscheint im Frühjahr ein neuer Erzählband, aus dem sie in der Reihe antidot auch in der Stadtwerkstatt lesen wird.