Proletarischer Mikrokosmos

Im Herbst war in Traun »Kunst und Alltag im temporären Museum ArbeiterInnensiedlung« zu sehen. Im Februar wird die Ausstellung wieder aufgenommen. Tanja Brandmayr berichtet.

Das Ausstellungsprojekt »Hammerweg« lief von 4. Oktober bis 1. November in der Trauner Hammerwegsiedlung, initiiert und konzipiert wurde es von Alenka Maly, Eugenie Kain und Bibi Weber. Dabei wurden die sechs verbliebenen Häuser, deren Wohnungen bereits zum Großteil leer stehen, für einige Wochen zum Museum: Künstlerinnen und Künstler, die in der Siedlung aufgewachsen sind oder dort über längere Zeit ihren Lebensmittelpunkt hatten, setzten sich mit der Siedlung in direkter oder assoziativer Weise auseinander. Und das waren deren KünstlerInnen viele – bezeichnenderweise, wie Tina Leisch in ihrem Vorwort zum Katalog schreibt, habe der Hammerweg trotz seines Status als Sozialwohnsiedlung unverhältnismäßig viele Kunstschaffende und eben keine Verbrecher oder Sozialfälle hervorgebracht, doch dazu weiter unten. Die Siedlung wurde Anfang der 50er Jahre von der Stadt Traun erbaut und ist nun dem sukzessiven Abriss preisgegeben: Wenn eine Wohnung leer wird, wird sie nicht weiter vermietet, wenn ein Haus leer steht, wird es abgerissen und durch einen Neubau ersetzt.

Die Bespielung von Leerständen mit Kunst ist oft mit immensen Schwierigkeiten verbunden, wegen der Besitzer, die Schlimmes wie Hausbesetzung wittern oder wegen BewohnerInnen, die in ihrer Ruhe nicht gestört werden wollen. An der Oberfläche mit dem Aspekt Leerstand operierend, schaffte Alenka Maly auf Grund ihrer speziellen künstlerischen sowie persönlichen Bezüge die anderwärtige museale Befüllung jedoch mit links. Als »Hammerweg-Heimkehrerin« wurden ihre künstlerischen Ambitionen mit offenen Armen aufgenommen und von Stellungnahmen wie dieser begleitet: »Wünsche Dir und Euch allen ganz viel Erfolg mit dieser Ausstellung. Sehe mir das gern an, da ich mich noch sehr gut erinnern kann, wie wir bis 1961 zu fünft auf 28m2 gelebt haben.« Und die Nähe des Zusammenlebens, die über der ganzen Siedlung und dem Erinnern schwebt, die Enge, die Dichte und die Wehmut über den Verlust dieser Intensitäten kann wohl unter anderem mit einem Projekt von Nicole Foelsterl verdeutlicht werden, die durch Küche, Zimmer, Kabinett ein dicht geknüpftes Fadengeflecht durch den Raum spannte, durch das die faszinierte Besucherin einen nur schmalen Weg findet, um etwa in der Nebenwohnung auf ein Projekt von Alenka Maly zu stoßen, die sich in Videos den vielfarbigen Kindheitserinnerungen der mittlerweile erwachsenen Hammerweg-Kinder widmet. Immerhin lebten 1954 auf engstem Raum noch 68 Kinder mit ihren Familien, während heute kein einziges Kind mehr in der Siedlung zuhause ist.

Neben der Intimität und dem Erinnern der vielen dort aufgewachsenen oder noch dort lebenden Menschen zentriert sich das Projekt zu einem wesentlichen Teil um Alenka Malys Vater Gust Maly – und seine persönlichen Bezugschaften innerhalb der Siedlung. Der maultrommelnde Gust Maly erscheint in einer Wohneinheit als Videoschleife zwischen Textfragmenten und anderen Werkstücken, zusammengespannt mit Eugenie Kain, die im Kabinett der Wohnung in einer Leseinstallation auf die Wand projiziert, aus einem ihrer Bücher vorträgt. Kains Buch »Flüsterlieder« versammelt Erinnerungen an ihren verstorbenen Mann Gust Maly und beschreibt unter anderem eine lebendige Praxis, in der sich die Großfamilie an den Feiertagen in der Küche der Mutter ihrer Herkunft erinnerte. Von Brennesseln oder Friedhofsmutproben ist die Rede, aber auch von der ersten Band Malys, die in der Wohnküche der Familie probte. Das greift dann sogleich in mannigfaltige andere Ergänzungen: Im Text stand der Erfolg, der sich durch die Band einstellen sollte, dem Frust der Mutter gegenüber, weil der teure neue Linoleum-Küchenboden sogleich von der jungen Band beschädigt wurde und beschädigt blieb; andernorts spürt man eine Tatsache auf, wie mit Konflikten auch umzugehen möglich war: Der um vier Uhr früh aufstehende Bäckermeister rief in seinem nächtlichen Ärger über den musikalischen Lärm nicht die Polizei, sondern drehte lediglich die Sicherungen heraus, um endlich schlafen zu können; und beim Ansehen der Installation erzählt ein zumindest temporärer Wegbegleiter Malys von einem gemeinsamen Konzert vor der Zwentendorfabstimmung, irgendwo weit draußen am Land, und dass damals, am Abend vor der Abstimmung noch gesetzliches Alkoholausschankverbot galt – wie die Zeiten sich doch ändern. Die Stimmung einer »größeren Familie«, wo die Übergänge zwischen den Kernfamilien fließend waren, war jedenfalls ein offene und spürbare.

Ganz allgemein berührt das Projekt auf vielschichtige Weise. Die künstlerischen Bearbeitungen reichten von Klanginstallationen zu Objektbearbeitungen, von Sprache zu Bildern, von Alltagsfragmenten zu einer soziokulturellen Feldforschung in einem Mikrokosmos proletarischen Lebens. Zwischen Puppen auf Betten, ornamentalen Tapetenmustern, Meterware, Möbelstücken, Tisch, Bett und sonstwas ließ sich auch ein Stück eigene Vergangenheit entdecken. Und eine magische Mischung, die jenseits jeder Sozialromantik zwischen künstlerisch bedeutendem Lebenswerk, zeitgenössischer Kunst, Alltagskultur und einer Geschichte von unten oszilliert – deren bestechendste Eigenschaft in einer vollständigen Ambivalenz von Nähe und Freiraum auszudrücken ist: Es wird erzählt von der Beengtheit des Raumes bis zu Gemeinschaftserfahrungen des Zusammenhalts, von der Unentschiedenheit zwischen Toleranz und Ignoranz, von einer wärmenden Idenität der Herkunft als »HammerweglerIn« bis zur Angst vor der Unentrinnbarkeit sozialer Schichtzugehörigkeit. Dass die Geschichte von unten aber an entscheidenden Punkten auch wieder aufgebrochen wird, schreibt Alenka Maly in einem Text, in dem sie Umgang, Toleranz, Autorität und Alltag in der Siedlung reflekiert, um diese wilde Geborgenheit einer Erkenntnis gegenüber zu stellen, die nicht nur den Vater wachgerüttelt hat und aus der kleinen Siedlung ausbrechen hat lassen wollen: die Existenz Mauthausens, außerhalb des Vorstellbaren.
Das Offensichtliche innerhalb der Siedlung stellt die Vorwortverfasserin Tina Leisch dann noch einmal in einen anderen Zusammenhang des intimen Blickes: Dass eben von den dort in großer Nähe aufwachsenden und lebenden Menschen eine beachtliche Anzahl Kunstschaffender hervorgegangen ist, die mit einem aufmerksamen Blick »auf die schönen Seiten der Welt, aber auch in ihre Abgründe und Zwischenwelten« geschaut haben. Und sich so ein umfassendes Wissen über die menschliche Verfasstheit angeeignet haben. Und dass Respekt in diesem Mikrokosmos sich in einer Großzügigkeit des Blickes äußern konnte, der nicht die Schwächen der Mitmenschen fokussierte – im Gegensatz zu einer Fixierung des Sehens, das heute durch Reality TV ihren Intimitätsersatz gefunden hat, der jenseits jeder Solidarität umso schauriger respektlos erscheint.
Die Ausstellung wird wegen des beeindruckenden Echos im Februar wiederaufgenommen. Ein Tipp für den Anfahrtsweg: Das Temporäre Museum Hammerweg ist mit öffentlichen Verkehrsmitteln mit dem 43er Bus zu erreichen, die Endstation Stadtfriedhof ist auf bezeichnende Weise möglicher Startpunkt zur Hammerwegsiedlungsreise. Mit dem Auto führen natürlich viele Wege zum Hammerweg, der Weg an der ganz in der Nähe liegenden Pluscity vorbei ist aber auch besonders empfehlenswert: Dort wird durch das Konsumversprechen eine Wirklichkeit entgegengesetzt, die die heutigen Menschen auf einer völlig anderen Ebene der Identität und des Freiraumes empfängt und bereits ganz fest eingeschlossen hat. Beide Stationen leiten »die andere Welt« und den »Zeitsprung« des Hammerweg-Museums jedenfalls besonders gut ein, in dessen kontrapunktischer Lebendigkeit und Freiheit – zumindest in gedanklicher Weise.

Informationen zur Ausstellung gibt es unter http://www.hammerweg.at.

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