Graz als Europäische Kulturhauptstadt 2003

Orhan Kipcak über Kulturpolitik, Stadtmarketing, Architekturprojekte von Graz 03

Kulturpolitik in Graz ist mehr als wie sonst üblich den Byzantinismen der Lokalpolitik unterworfen. So waren die kulturpolitischen Meilensteine der letzten Jahrzehnte nicht das Ergebnis strategischer Konzeption, sondern die Produkte politischer Zufälle: der Steirische Herbst entstand aus einer Verdichtungsbewegung verschiedener künstlerischer Initiativen unter der Patronanz eines ÖVP Landesrates, der nicht zuletzt wegen seiner großen Steirerhüte und rustikalen Wetterflecke populär war. Im politischen Schutz dieses liberalen Großbürgers hat sich ein Avantgarde-Festival etabliert, das auch gegen den lokalen Common Sense opponieren durfte. Die Bewerbung von Graz als Europäische Kulturhauptstadt ist ähnlich »verhatscht« passiert – Begonnen hat das Projekt Kulturhauptstadtjahr als persönliche Marotte eines Stadtpolitikers, die sich zur allgemeinen Verblüffung nach einer windungsreichen Vorgeschichte plötzlich zur Tatsache realisiert hat. Anderswo werden kulturpolitische Entscheidungen stringenter und rationaler gefällt.
Linz ist dafür – zumindest von außen betrachtet – ein gutes Beispiel: Kulturpoli-tische Entscheidungen scheinen einer langfristigen Agenda zu folgen. Auch wenn das Tagesgeschäft in Linz wahrscheinlich genauso mühevoll ist wie überall, basiert es hier – siehe die Gründungsgeschichte der Ars Electronica – auf konsistenten Strategien. Früh hat man die Rolle der Kulturpolitik als wichtiges Element im Wettrüsten der Städte um Bedeutung erkannt. Die Rolle von Stadtmarketing im Kulturbetrieb ist in Linz deutlich, fast penetrant sichtbar.
Die Beziehung zwischen Stadtmarketing und Kultur war in Graz dagegen immer in einer unverbindlichen Sphäre belassen: Keine thematischen, inhaltlichen Vorgaben, wenig Einflussnahme der Politik, keine Generallinien.
Die kategorisch neue Qualität, die das Kulturhauptstadtjahr nach Graz gebracht hat, war die Unterwerfung der Kunst- und Kulturproduktion unter das Gesetz des Marketings. Bei einem Ereignis dieser Art ist dies wahrscheinlich unvermeidbar. Für die Grazer Szene war es allerdings eine neue schockierende Erfahrung, mit den Spielregeln des Graz03-Intendanten Wolfgang Lorenz konfrontiert zu werden: Die Forderung, mindestens ein Drittel des Budgets nicht in Projekte sondern in die Bewerbung des Kulturhauptstadtjahres zu stecken, hat irritiert, ebenso wie die als Zumutung empfundenen Projektauswahlprozeduren. Dazu kam die vorprogrammierte Enttäuschung der lokalen Szene, die sich vom Kulturhauptstadtjahr einen Bonus erhofft hat. Die Szene ist mit den Argumenten der Qualität und der Internationalisierung auf Distanz gehalten worden und nicht im erhofften Umfang alimentiert worden.
Womit Lorenz wahrscheinlich am meisten provoziert hat, war seine Weigerung, die Sprachspiele des Kulturbetriebs zu akzeptieren. Lorenz und sein Team haben von Graz03 technokratisch und unideologisch immer von einem Produkt gesprochen, das am Markt lanciert werden muss.
Wer mit diesem Paradigma gut zu recht gekommen ist, waren naturgemäß Architekten. Es ist auffallend, wie viele Architekturteams bei Graz03 erfolgreich Projekte platzieren konnten. Es hat sich dabei weniger um traditionelle Architekturen gehandelt, sondern um skulpturale und mediale Konzepte. So wurden alle Grazer Autobahneinfahrten mit Medieninstallationen und Plastiken geschmückt. Ein anderes Aufsehen erregendes Projekt, bei dem der Grazer Freiheitsplatz mit einer Spiegelskulptur überzogen worden ist, basiert ebenfalls auf dem Entwurf eines Architekturteams (Kada & Kada). Diese dominante Rolle der Architekten bei Graz03 ist ein Grazer Spezifikum: Die Stadt hat keine Kunsthochschule aber dafür eine Architekturfakultät mit einer starken interdisziplinären Tradition. Die Grazer Architekten machen dann auch gerne mal bildende Kunst. Nicht immer zur Freude der Fachkritik.
Während Architekten Skulpturen und Stadtmöblierungen planten, haben bildende Künstler spektakuläre Architekturprojekte realisiert: Der Uhrturm-schatten vom Bildhauer Markus Wilfling etwa – eine dreidimensionale Verdoppelung des Grazer Uhrturms, der als riesiger pechschwarzer Zwilling des Grazer Wahrzeichens ein Jahr lang über der Stadt hing. Sowie die Murinsel, die der New Yorker Konzeptkünstler Vito Acconci entworfen hat.
Für dieses Projekt, mit einem Produktionsbudget von mehr als 5 Mio. Euro ausgestattet, hat sich Lorenz massiv eingesetzt. Sein Argument: Graz03 braucht ein Leitprojekt, eine visuelle, signifikante Klammer, ein Logo. Die begehbare Skulptur, die ein Cafe und eine Arena beinhaltet, eigentlich für ein wesentlich größeres Gewässer konzipiert, wurde zunächst als temporäre Installation realisiert, aber dann als permanente Einrichtung in der Mur belassen. Die Insel hat den intendierten Zweck sicher erfüllt – allerdings muss festgestellt werden, dass sie im schmalen Gerinne der Mur deplaziert wirkt. Sie liegt hier im Wasser wie eine riesige Gummiente in einer viel zu kleinen Badewanne. Auch bei der Nachnutzung gibt es Probleme: Das Cafe hat zu wenig Besucher, die Arena wird nur sporadisch genutzt.
Um bei der Architektur zu bleiben: Im Kulturhauptstadtjahr konnten Bauvorhaben angegangen werden, die städtebauliche Akzente setzen sollten. Wichtig war vor allem das Kunsthaus Graz, das das unterprivilegierte rechte Murufer aufwerten sollte.
Das Kunsthaus – als Architektur extravagant, als Ausstellungsort schwierig zu bespielen – ist ein städtebaulicher Glücksfall. Das Konzept einer Aufwertung des rechten Murufers und seiner Anbindung ans Stadtzentrum auf der linken Murseite hat auf Anhieb funktioniert.
Was hat das Kulturhauptstadtjahr für Graz gebracht?
Zunächst muss rückblickend konzediert werden, dass Wolfgang Lorenz als Intendant keine ungeschickte Wahl war. Er hat gegenüber der Politik selbstbewusst agiert und ein signifikantes Programm zustande gebracht, über das man zwar geteilter Ansicht sein kann, das aber in beeindruckender Dichte abgelaufen und von einigen Ausrutschern abgesehen als ganzes nicht peinlich aufgefallen ist. Trotz seiner oft unerträglichen Attitüden hat er die lokale Szene, die ja auch einen wesentlichen Teil des Publikums und Multiplikator der öffentlichen Wahrnehmung bildet, nicht in dem Umfang verstimmt, dass sie sich von Graz03 distanziert hätte. Ein Balanceakt, der in Linz wahrscheinlich nicht geglückt ist.
Graz hat als Europäische Kulturhauptstadt einen infrastrukturellen Entwicklungsschub erlebt.
Während des Kulturhauptstadtjahrs selbst hat es eine auffällige Belebung des Lebensgefühls gegeben, einen Schwung, der noch einige Zeit angehalten hat.
Die Situation sechs Jahre später? Eine letztendlich wieder in sich ruhende lokale Szene, die sich als ganzes nicht wesentlich über den Status Quo Ante hinaus dynamisiert hat.

 

Orhan Kipcak ist Mediendesigner und lebt in Graz.

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