Überwachen und zensieren

Anna Masoner sprach mit der französischen Reporter-ohne-Grenzen-Mitarbeiterin Clothilde Le Coz über Zensur im Internet.

Seit Mitte der 1980er Jahre kämpft die internationale Organisation »Reporter ohne Grenzen« weltweit für Presse- und Meinungsfreiheit. In jährlichen Berichten prangert sie die Zensur in vielen Ländern an und veröffentlicht die Zahl inhaftierter oder toter JournalistInnen. In den letzten Jahren schenkte die Nichtregierungsorganisation ihre Aufmerksamkeit vermehrt dem Internet. Denn vielerorts hat sich die Repression von Meinungs- und Pressefreiheit ins WWW verlagert. In vielen Staaten gehören Internetsperren und Restriktionen gegen Blogger zum Alltag. Wie etwa in China, das sich Anfang Juni wieder einmal als Musterland der Zensur präsentierte: Zum 20. Jahrestag des Massakers auf dem Platz des Himmlischen Friedens waren YouTube, Twitter, Flickr, Hotmail und viele Blogs nicht mehr erreichbar. Ein Gedenken an die Niederwalzung des Studentenprotests sollte so verhindert werden.
Neben China schränken Nordkorea, Vietnam, Saudi-Arabien, Ägypten, der Iran und sechs weitere Ländern ihren Bürgern den freien Internetzugang ein.

Jedes Jahr veröffentlicht »Reporter ohne Grenzen« zwei verschiedene Listen. Auf der einen scheinen die Länder auf, die das Internet überwachen und teilweise zensieren, auf der anderen jene Länder, die für Ihre Organisation als Internetfeinde gelten. Wie wird ein Land für »Reporter ohne Grenzen« zum Internetfeind?

Zwei Kriterien entscheiden, ob ein Land in die Liste der sogenannten Internetfeinde aufgenommen wird. Einerseits das Ausmaß, in dem die Regierung eines Staates das Internet filtert und zensiert. Andererseits die Tatsache, dass Blogger in diesem Land von offiziellen Stellen eingeschüchtert, teilweise auch verhaftet werden. China teilt sich in unserer Liste der Internetfeinde Platz eins mit dem Iran.
Neben China und dem Iran finden sich für das Jahr 2008 aber auch Burma, Ägypten, Kuba, Saudi Arabien, Syrien, sowie Tunesien, Usbekistan und Vietnam auf der Liste der Internetfeinde. Einige Länder werden allerdings schlicht und einfach deshalb aufgeführt, weil sie kein Internet haben. Wie etwa Nordkorea und Turkmenistan. Dort haben die Menschen in der Tat keinen Zugang zum Netz. Generell verfügen in diesen Ländern nur Diplomaten und Regierungsmitglieder über einen Internetzugang. Als einfacher Turkmene oder Nordkoreanerin kennt man das Internet eigentlich nur vom Hörensagen. Der Grund dafür ist kein technisches Problem, sondern eine politische Entscheidung. Die Machthaber wollen das Land isolieren.

Zu den Ländern, die das Internet überwachen und partiell zensierten, gehörten 2008 neben Bahrain, Weißrussland und Eritrea auch zwei demokratische Staaten: Südkorea und Australien. Was ist in diesen Ländern das Problem?

Vor ein paar Monaten veröffentlichte das internationale Aufdeckerportal Wikileaks die Liste der gesperrten Websiten in Australien und sorgte damit für Aufsehen. Denn die Liste enthielt nicht nur die Adressen zahlreicher Kinderpornographieseiten, gegen die sich die Maßnahme offiziell richtete, sondern auch unverdächtige Seiten. Beispielsweise die Internetseiten eines Zahnarztes oder von Abtreibungsgegnern.
Südkorea wiederum weist eine extrem hohe Internetdichte auf. 95 Prozent der Menschen dort haben zu Hause einen ADSL-Anschluss. In Südkorea fürchten die Leute nichts mehr als Gerüchte, die über sie verbreitet werden. Und das Internet ist nun mal ein geeigneter Ort um Gerüchte in die Welt zu setzen. Vergangenes Jahr haben zwei Menschen Selbstmord begangen, weil sie im Internet verleumdet wurden.
Aber auch mit Bloggern wird in Südkorea nicht gerade zimperlich umgegangen. In Seoul verhaftete die Polizei im Jänner den 30-jährigen Blogger Park Dae Sung. Der arbeitslose Akademiker hatte den Zusammenbruch der US-Investmentbank Lehman Brothers und die Auswirkungen der US-Finanzkrise auf die südkoreanische Wirtschaft teilweise richtig vorausgesagt. Die Staatsanwaltschaft warf ihm allerdings vor, falsche Informationen gestreut und so der südkoreanischen Wirtschaft einen Schaden von umgerechnet rund 1,5 Milliarden Euro zugefügt zu haben. Die Situation in Südkorea und Australien zeigt ganz gut, dass es auch in Demokratien starke Tendenzen gibt, das Internet zu regulieren.

Doch wie kontrollieren die Machthaber das Netz eigentlich?

Auf zwei Wegen: Entweder sie bringen lästige Autoren zum Schweigen – oder sie sperren deren Seiten. Technisch am weitesten fortgeschritten ist die chinesische Regierung. Fast 40.000 Beamte sind damit beschäftigt, das Internet und seine rund 300 Millionen Nutzer im Lande zu überwachen. Schlagwörter wie »Aufstand«, »Rebellion« und »Studentenbewegung '89« werden automatisch herausgefiltert. Allein in Zusammenhang mit den blutig niedergeschlagenen Protesten auf dem Platz des Himmlischen Friedens im Juni 1989 stehen mehr als 400 Wörter auf dem Index. Es ist in China üblich, die Adresse und damit die ganze Website zu sperren, die verdächtige Inhalte aufweist. Außerdem werden mit Hilfe von eigenen Programmen automatisch Listen von Seiten erstellt, die bestimmte Reizwörter enthalten,
wie beispielsweise Tienanmen, Tibet oder Freiheit. Darüber hinaus blockieren die Behörden auch nur bestimmte Passagen oder Artikel auf einer Seite, wenn darin gesuchte Schlagwörter vorkommen.

Die Zensurbehörden in China und in anderen Ländern sind mächtig. Doch ausländische, meist US-amerikanischer Unternehmen scheinen nicht ganz unbeteiligt zu sein.

Firmen wie Microsoft, die Suchmaschinen Google und Yahoo und der Telekommunikationsriese Cisco unterstützen tatsächlich die Regimes bei ihren Zensurmaßnahmen, indem sie etwa Suchergebnisse filtern oder persönliche Nutzerdaten herausgeben. Das Problem liegt darin, dass diese Firmen sich darauf ausreden, sich an die nationalen Gesetze halten zu müssen.
Aus diesem Grund wollen wir von »Reporter ohne Grenzen« den amerikanischen Kongress überzeugen, den sogenannten »Global Online Freedom Act« (GOFA) zu verabschieden. Das Gesetz erlaubt Firmen unter anderem, die Herausgabe von persönlichen Daten zu verweigern. Die Firmen sind damit nicht mehr zwangsläufig den Gesetzen des jeweiligen Landes verpflichtet, in dem sie Geschäfte machen.

Es ist immer die Rede von Zensoren und Überwachern. Wie reagiert denn die Blogosphäre auf die staatlichen Zensur?

Für Blogger und Internetsurfer ist es am wichtigsten, ihre digitale Identität zu verschleiern. Eine der Möglichkeiten sind sogenannte Proxy-Server, die im Ausland platziert sind. Sie funktionieren als eine Art »Umleitung im Internet« und erlauben es, auf zensierte Inhalte über eine andere IP-Adresse zuzugreifen. Allerdings blockieren viele Staaten bereits einschlägig bekannte Proxy-Adressen. Ein wirkungsvolleres Mittel im Netz anonym zu bleiben, ist die Software Tor, die an der Universität Cambridge entwickelt wurde. Inkognito kann man mit dem Tor-Netzwerk surfen, weil die Verbindungen zwischen den einzelnen Servern nach dem Zufallsprinzip verschlüsselt werden.
Die zensierten Internetuser schlagen aber nicht nur mit technischen Mitteln zurück. Sie greifen auch zu kreativeren Lösungen. Seit Anfang des Jahres kursiert auf YouTube ein chinesisches Kinderlied, das es mittlerweile in zig Versionen gibt. Es besingt die Abenteuer eines so genannten Schlamm-Pferdes, auf Mandarin Cao Ni Ma.
Das fiktive Tier wurde innerhalb weniger Wochen zur Ikone des Protests. Möglich machte das die Mehrdeutigkeit des Mandarin. Denn der Name klingt, wenn man ihn ausspricht, so ähnlich wie eine obszöne Beschimpfung: sie fordert zum Geschlechtsverkehr mit der eigenen Mutter auf. Das mutierte Lama muss außerdem regelmäßig gegen gemeine Flusskrebse kämpfen, die auf Mandarin ausgesprochen so ähnlich klingen wie »Zensur«.
Die chinesischen Blogger wissen, dass die Regierung bestimmte Wörter und Zeichen filtert. Also sagen sie der Zensur auf der phonetischen Ebene den Kampf an. Dafür eignet sich das Chinesische besonders gut, denn viele Wörter bekommen rein durch die Aussprache eine völlig andere Bedeutung. Solche Aktionen legen natürlich die Zensur nicht lahm. Aber die chinesische Regierung weiß jetzt, dass so eine Attacke immer wieder passieren kann. Und das beste Mittel gegen die Zensur zu kämpfen, ist zu zeigen, dass man sie umgehen kann.

Wie sieht eigentlich die Zukunft in Sachen Meinungs- und Pressefreiheit im Internet aus?

Was die Freiheit im Netz anbelangt, sieht sie nicht rosig aus. 2009 sind zwar weltweit weniger Blogger im Gefängnis als in den Jahren zuvor. Ca. 80 sind es laut unseren Informationen. Dafür finden die Behörden andere Schikanen, etwa regelmäßige Gerichtstermine oder Hausarrest.
Überwachungs- und Zensurmaßnahmen sind weltweit auf dem Vormarsch. Nicht nur in Ländern, die bekannt dafür sind, Meinungs- und Pressefreiheit mit den Füßen zu treten, sondern zunehmend auch in Staaten die Meinungsfreiheit als eines ihrer Grundprinzipien haben.

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