Mythos Medienkunst: Gottfried Hattinger
Gottfried Hattinger hatte Mitte der 80er Jahre durch seine kuratorische Tätigkeit bei der ars electronica einen sehr guten Einblick in die Situation der MedienkünstlerInnen. Wie Franz Xaver in einem Nebensatz während dieses Interviews mit dem künstlerischen Leiter des »Festival der Regionen« erfahren hat, schlummern auch bei ihm wertvolle Videodokumente dieses Zeitsabschnitts. Gerade diese Archive dieses Zeitabschnitts könnten uns wertvollen Aufschluss darüber geben, wie sich unsere Medienkultur entwickelt hat, bzw. wie diese von den KünstlerInnen und anderen kritischen Personen wahrgenommen wurde.
Franz Xaver: Ich hab dich und die »ars electronica« Mitte der 80er Jahre kennengelernt. Du hast ja damals die ars electronica mitgeprägt. Die Homecomputer waren gerade mal ein paar Jahre auf dem Markt und für KünstlerInnen gerade noch erschwinglich. Aber es war nicht nur der Computer, der eine Faszination auf mich ausübte. Man spürte auch etwas von einem großen telematischen Netz. Der Telematische Raum – Die LIVE und ONLINE Konzerte und andere Inszenierungen erzeugten eine Aufbruchstimmung. Man glaubte an den Beginn eines neuen Zeitalters, an einen zweiten Futurismus, obwohl weit und breit vom Internet noch nichts zu sehen oder hören war. Ich frage mich nun immer öfter: Warum war das damals so? Und ich finde da keine Antwort.
Gottfried Hattinger: Die 80er Jahre waren meine kuratorischen Lehrjahre, möchte ich sagen. Zu Beginn bin ich für die Initiatoren des Festivals nur ein engagierter Komplize im Brucknerhaus gewesen, der mit der Zeit Programmteile einbringen durfte. Dass wir damals am Beginn einer tiefgreifend neuen Epoche standen, konnten wir wohl nicht wissen, aber ich bilde mir ein, dass es spürbar war. Die Beiträge aus den visuellen Medien muten aus heutiger Sicht betrachtet berührend simpel an; es hat ja sehr lange gedauert, bis sich das Medium Computer in Kunstkreisen etablieren konnte.
Im Gegensatz zur Musik, wo die ersten Werke mit Elektronik schon viel früher entstanden, z.B. die »Kontakte« von Stockhausen Ende der 50er Jahre. Die Faszination, von der du sprichst, ist eigentlich selbstverständlich und in der gesamten Technikgeschichte der Menschheit nachvollziehbar. Immer zwangsläufig, wenn etwas Neues entsteht.
Neben diesen telematischen Innovationen gab es einen sehr interessanten Bereich. Ich nenne ihn mal erweiterte Skulptur. Dabei hieß es vor allem »nix is fix«. Alles in Bewegung und sich ändernd. Der Prozess stand im Mittelpunkt. Dieser Prozess wurde vielfach über Sensorik gesteuert. Aber der Zufall, die KünstlerIn oder die BesucherIn konnten diese Maschinen und Aktionen beeinflussen. Ich glaube, dieser Bereich ist oder war ja dein Fachbereich. Die Zeit wurde in die Skulptur integriert. Mich würde interessieren, wie du zu diesem Bereich der Kunst gekommen bist.
Dieser Aspekt war ja schon damals nichts Neues. Die Fragestellung ist aber insofern interessant, weil die Komponente Zeit in der Skulptur zu einem Zeitpunkt gekommen ist, als zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts praktikable Elektromotoren hergestellt wurden. Für mich ist das ein exemplarisches Beispiel dafür, wie schnell sich die Künstlerschaft auch in vergangenen Zeiten neue Technologien angeeignet hat. In diesem Fall war es Naum Gabo mit seiner »Stehenden Welle« aus dem Jahr 1919, oder später Marcel Duchamp mit seinen »Rotoreliefs«. Jedenfalls hatte sich daraus sehr schnell mit der Kinetischen Kunst eine neue Kunstrichtung entwickelt, die bis heute wirkt. Das Spektrum der kinetischen Möglichkeiten wurde mit den elektronischen Medien in den 70er Jahren erweitert. Als ich 1987 die künstlerische Leitung der ars electronica im Brucknerhaus übernahm, hatte ich mit dem Titel »Freie Klänge – offene Räume« diese Bereiche angesteuert, vor allem im Bezirk der Klanginstallationen und -skulpturen, aber auch mit großen Raumkonzerten und Klangaktionen.
Dann gab es da auch noch die Videokunst – »Würg«. Die Videokunst war auch ein großer wichtiger Teil der damaligen Aufbruchstimmung. Dieser Teil spielte sich großteils im ORF-Landeszentrum ab. Ich als Künstler fand da nie so wirklich einen Zugang. Mich interessierten zwar die computergenerierten Bilder, die über die Sensorik beeinflusst waren (nicht als Techniker), aber einer Argumentation von einer Ästhetik in den Bildern konnte ich nicht folgen. Da muss ich auch gleich noch zu einer Mischform kommen: Die Videoskulptur, diese war im ORF-Landeszen-trum, aber auch im Brucknerhaus zu finden. Fand für Dich auch diese inhaltliche Trennung vom Brucknerhaus zum ORF-Landeszentrum statt?
Ähnlich wie im Falle der Kinetik hatte mit Nam June Paik die Videokunst genau zu dem Zeitpunkt in den 50ern begonnen, als Sony die erste tragbare Videokamera auf den Markt brachte. Nach den ersten medienkritischen Videoarbeiten z.B. von Weibel oder Vostell hat sich eine ziemlich hermetische Szene etabliert, die »Videokunst« produzierte. Das ist nicht zu verwechseln mit den späteren computeranimierten Arbeiten, die im »Prix Ars Electronica« des ORF dokumentiert sind. Jedenfalls sind in den 80er Jahren überall in der Welt Videokunstfestivals wie die Schwammerl aus dem Boden gewachsen, die allesamt nicht mehr existieren. Wie es auch keine »Videokünstler« mehr gibt, obwohl es kaum mehr Ausstellungen der Bildenden Kunst gibt, in denen nicht Arbeiten mit Video zu sehen sind. Das Medium ist eigentlich erst dann interessant geworden, als es als Genrebegriff nicht mehr existierte. Und ich bin überzeugt, dass es dem Begriff der »Medienkunst« ähnlich ergehen wird, wenn er nicht sowieso schon obsolet geworden ist. Die jüngeren und jungen Künstlerinnen und Künstler verwenden die Medien mit einer Selbstverständlichkeit, ohne sich dadurch zu definieren. Die überkommenen Zuordnungen und Genrebegriffe verwenden nur mehr die alten Knacker. Heute haben sich die neuen Medien so sehr im Alltagsleben verankert, dass es schlichtweg vorbei ist mit der anfangs erwähnten Faszination. Obwohl die technische Entwicklung längst nicht zu Ende ist.
Um noch auf die Frage der inhaltlichen Trennung von Brucknerhaus und ORF einzugehen, die eher eine unnötig politische als wirklich inhaltliche war: Die Verbindung zwischen Kulturbetrieb und Medienbetrieb war von Beginn weg eine symbiotische, auf jeden Fall eine neue. Dass sich mit einer derartigen Konstruktion auch Reibeflächen ergeben, ist klar; aber letztlich war es – zumindest in der Pionierphase – eine fruchtbare Konstruktion. Auch die Trennung – die mehr eine Aufgabenteilung war – hat für einige Jahre äußerst spannende Programme hervorgebracht, trotz ihrer Heterogenität, meine ich.
Es war alles sehr klug eingefädelt: Das Fahrwasser von Klangwolke und dem Prix-Ars nutzen, um in Ruhe seine Arbeiten einem wirklichen Fachpublikum zu präsentieren. Ist diese Situation zufällig entstanden, oder war da ein Mastermind dahinter? (Ich persönlich glaube ja da schon fast an eine Verschwörungstheorie).
Also, ich würde strategische Zielsetzungen nicht gleich mit Verschwörungstheorien belasten. Der »Prix« ist bis heute ein wichtiges Forum für einen bestimmten Kreis von Kreateuren, um sich einem großen Fachkreis zu präsentieren. Eine Funktion, wie sie ähnlich eine documenta für die Bildende Kunst hat, jetzt mal nur strukturell gesehen.
Persönlich hatte ich ja schon 1991 den Entschluss gefasst, meine Arbeit für die ars zu beenden. Ich bin zu sehr an künstlerischen Inhalten interessiert, weshalb ich den Fokus auf die Avanciertheit des Mediums bald nur noch als Einschränkung empfunden habe. Ohne diese Einschränkung konnten sich meine Ambitionen viel freier entwickeln; ich bin heute sehr dankbar dafür, dass ich instinktiv zur richtigen Zeit eine richtige Entscheidung getroffen hatte. Bald danach ist ja das Ars Electronica Center gebaut worden, das Brucknerhaus war als Partner für einige Zeit ausgeschlossen. Und das Festival selbst hat sich folgerichtig von der Kunst entfernt und ist ein Forum geworden für avancierte Technologie, für wissenschaftliche Forschungspräsentationen und für gesellschaftsrelevante Belange im Zusammenhang mit technischen Entwicklungen. So ist es, so kann ich es auch gelassen respektieren.
Zu deinen Antworten drängt sich nun eine Frage auf, die mich schon länger beschäftigt. Und wegen der ich auch diese Interviewreihe »Mythos Medienkunst« eigentlich mache. Es geht um die Informationstechnologie. Es schärft sich immer mehr die Kontur eines Paradigmenwechsels mit dem Aufkommen des Internets Anfang bis Mitte der 90er Jahre. Unsere Kultur änderte sich damit, und alle Bereiche unseres Alltags. Es war ein Touch-down des Umgangs mit neuen Medien, mit sofortigem Druchstarten von allen Motoren, die zur Verfügung standen. Jedes Genre konnte ohne Vorkenntnis in das Flugzeug der neuen Medien zusteigen. Plötzlich funktionierten all die Installationen und Online-Skulpturen, die in den 80er Jahren meist nur gefaked waren. Aber der Preis war hoch.
Über die Layertechnologie des Internets konnte die KünstlerIn meist nur mehr am obersten User-layer arbeiten. Dadurch gerieten aber alle Interventionen in Abhängigkeit der unteren Layer. Für mich als Künstler eine untragbare Situation, in Abhängigkeit arbeiten zu müssen. Weiters wurden mit dem TCP-IP Protokoll des Internets alle großen Ecksteine der 80er Jahre Medienkunst wie Interaktivität, Interdisziplinarität und dezentrale Konstrukte eingelöst. Dazu kam noch das freie Betriebssystem Linux, das einen folgerichtigen Copyright-Diskurs auslöste, und das die Möglichkeit bot, sich mit der Informationstechnologie genauer zu beschäftigen. Durch diesen Touch-down stieg – neben allen anderen Bereichen – auch noch die New Economy in das Flugzeug der Kunst-Technologie-Medien. Netzkunst löste Medienkunst ab. Medienkunst wurde ab diesem Zeitpunkt immer mehr mit alter Analogtechnologie verwechselt. Also jede Menge Argumente, einen Paradigmenwechsel zu belegen. Aber was blieb über: Eine Informationstechnologie und eine Krise. Hier sehe ich nicht nur eine Wirtschaftskrise, sondern auch eine Schwierigkeit bei Individuen, sich über die Medien (nur im obersten Nutzerlayer) eine Meinung zu bilden. Also konkret: ein Schwinden des Intellekts.
Nun zurück zu einer Verschwörungstheorie: Herr Hattinger, wie kann es sein, dass die Eckpfeiler des Internets in den 80er Jahren den KünstlerInnen damals schon bekannt waren? Oder war es umgekehrt? Mit Blick auf die Situation, dass diese Informationstechnologie vom Militär entwickelt wurde, beziehungsweise diese auch als weltweites Informationsprotokoll geplant und umgesetzt wurde: Könnte der Gedanke aufkommen, dass es eine breit angelegte Strategie war, und die Kunst dazu benutzt wurde, das Internet in unser sozioökonomisches Zentrum
einzupflanzen?
Neben dieser Verschwörungstheorie sehe ich die Möglichkeit, dass die Information eine physikalische, noch nicht erfasste Größe im Universum ist. Und die Information ein Wesen ist, dass sich immer weiter entwickeln muss. Kunst kann dieses Wesen intuitiv spiegeln.
Also die Frage ist ja schon fast die Antwort. Mit der Geschichte des Internets habe ich mich nur peripher befasst. Tatsächlich war ja das US-Militär Ende der 60er Jahre Initiator eines Kommunikationsnetzwerkes, das damals noch Arpanet hieß. Als Internet ist es seit den frühen 80ern bekannt, allerdings einem eher kleinen Kreis von Eingeweihten. Kann schon sein, dass Künstlerinnen und Künstler damals schon von dem Projekt wussten; ich jedenfalls nicht. Selbst 1989, als wir das Thema bei der ars mit »Im Netz der Systeme« abhandelten, war davon nichts zu bemerken. Allenfalls vielleicht als Gerücht oder Utopie. Die Verschwörungstheorie, dass mit dem Netzwerk eine störungsfreie Kommunikation im Falle eines Atomkriegs bezweckt war, ist wohl nie bewiesen worden. Zuzutrauen ist es den Militärs ja. Aber dass ausgerechnet so ein kleines Segment »Kunst« als trojanisches Pferd benutzt sein sollte, halte ich für absurd. Letztlich halte ich Information nicht unbedingt für ein »Wesen«, wie Du sagst. Information ist zwar schon im kleinsten Samenkorn als Code enthalten, aber in unserem Sinne ist sie immer noch eine zwischenmenschliche Angelegenheit, oder ein Wissensspeicher, der eben im Netz gigantische Ausmaße angenommen hat. Klar, manipulative Möglichkeiten gibt es zuhauf, aber das liegt nicht an der Technologie, sondern an deren Anwendung. Es ist wie mit der Intelligenz, wie der Philosoph und Medienkritiker Günther Anders formulierte: dass sie ein leichtes Mädchen sei, das mit jedem auf den Strich geht: sie kann Gutes und Böses gleichermaßen hervorbringen.
In der Gegenwart steht die Medienkunst in keinem richtigen Kontext mehr. Es gibt zwar viele Professuren, aber man sieht keinen Faden, der sich durchzieht. Weiters bemerkt man immer mehr eine kritische Position gegenüber der Informationstechnologie. Abseits der Kunst entwickelt sich nun als Modeströmung: Der Steampunk. Eine Richtung die versucht, die Ästhetik der alten Dampfmaschinen mit dem Computerzeitalter zu verbinden. Wo ordnest du diese Richtung ein?
Die kritischen Positionen gegenüber den Informationsmechanismen sind auf jeden Fall wichtig; da sehe ich auch ein künstlerisches Operationsfeld.
Eine Orientierung in der Infoflut ist ja kaum mehr möglich. Es scheint, dass wir hoffnungslos ausgeliefert sind einem »millionenstimmigen Geräusch«, das Günther Anders schon in den 50er Jahren prognostizierte. Jede Überforderung führt irgendwann zur Resistenz, zur Verweigerung. Andererseits gibt es den Zwang zum Mitspielen, weil wir in den diversen Kanälen präsent sein müssen, wenn wir bemerkt werden wollen. Früher jedenfalls ist die elektronische Musik mit elektroakustischer Musik identifiziert worden, für die superteure Studios wie das IRCAM oder EMS und viele andere eingerichtet wurden. Letztlich ist diese Musik nur von einem ganz kleinen, fast schon esoterischen Kreis von Liebhabern rezipiert worden. Das Sinuskurvengejaule habe ich noch ein bisschen im Ohr. Wenn heute von elektronischer Musik die Rede ist, dann hat sich das Bild radikal geändert, sowohl was die Künstlerschaft als auch die Rezipienten betrifft. Einerseits ist sie fixer Bestandteil der Unterhaltungsbranche und Party-Szene geworden, aber es arbeiten auch viele exzellente Musikerinnen und Musiker mit elektronischen Instrumentarien; und finden ein großes Publikum bei kultigen Festivals.
Die Stadtwerkstatt beschäftigt sich im Moment viel mit Natur und Informationstechnologie. Im Vergleich zur Natur wird der Stellenwert vom Traum, des Chaos, der Kunst oder der Intuition betrachtet. Dazu ist es notwendig, eine Grenze von Natur zur Kunst(Künstlichem) zu ziehen. Wo siehst du die diese Grenze?
Jede Technik ist nicht nur ein Eingriff, sondern eine Erweiterung der Natur. Wir haben uns damit jede Menge Prothesen geschaffen, um unsere natürlichen Mängel zu kompensieren. Das hat schon Freud erkannt. Die Beschäftigung mit Natur und Kunst ist im Moment auffällig ein beliebtes Thema im Bereich der Performance, aber auch schon längere
Zeit im Bereich der Computerkunst, seit es Nanotechnologie und Gentechnik gibt. Die Grenze ist ganz einfach abzustecken: »Kultur ist alles nichtbiologische in der Natur«.
Von Gottfried Hattinger erscheint 2012 eine Kunst- und Kulturgeschichte der Apparate »Das Maschinenbuch« im Verlag Christian Brandstätter.
In der Bibliothek der Provinz ist sein Buch »Über die Sinne. Geschichten aus der Wahrnehmungswelt – Eine virtuelle Ausstellung« erschienen.