Teilzeitarbeit für alle!

Genau! Teilzeitarbeit für alle als eine zeitgemäße Unterwanderung festgefahrener Politik, gewohnter Vorstellungen, eingerosteter Identitäten, Ungleichzeitigkeiten und Ungerechtigkeiten.[1] So lautet eine der Forderungen der deutschen Philosophin, Mutter und Soziologin Frigga Haug. Die Professorin und langjährige Frauenaktivistin ist seit ihrer Gründung Mitglied der Partei »Die Linke«, Mitglied im wissenschaftlichen Beirat von attac, Vorsitzende des Berliner Instituts für kritische Theorie, u.v.m. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen auf Frauenpolitik, Arbeit und sozialwissenschaftlichen Methoden. 2009 hat sie viele ihrer Überlegungen der letzten Jahrzehnte zusammengeführt zur »Vier-in-einem-Perspektive«, die nicht nur Impulse für eine Politik von Frauen für eine neue Linke liefert, sondern auch für neue Lebens- und Gesellschaftsentwürfe.

Die Vier-in-einem-Perspektive

Was ist die Vier-in-einem-Perspektive, welche vier Bereiche gilt es da als Ganzes zu denken? Frigga Haug meint die vier Arbeitsbereiche Erwerbsarbeit, Familienarbeit, politische Arbeit und kulturelle Arbeit. Erwerbsarbeit meint die Lohnarbeit, mit der wir unseren Lebens-unterhalt bestreiten; Familienarbeit ist Sorgearbeit, die von der Betreuung von Kindern oder Eltern bis hin zur Nachbarschaftshilfe reicht. Politische Arbeit meint Gemeinwesensarbeit bzw. gesellschaftspolitisches Engagement, und der Bereich der kulturellen Arbeit umfasst vor allem persönliche Entfaltung und Entwicklungschancen.
Diese vier Bereiche sind gleichermaßen notwendig, bzw. elementar für das Funktionieren unserer Gesellschaft und sollten daher gleichberechtigt – auf zeitlich gleicher Ebene – angeordnet werden, anstatt sie einander über- und unterzuordnen; anstatt den Bereich der Lohnarbeit in der Hierarchie über alle anderen Tätigkeitsbereiche zu stellen. Denn: Wer soll das schaffen, sich neben einer 40-Stunden-Woche noch aufmerksam und liebevoll um die Kinder zu kümmern, sich politisch einzumischen bzw. gesellschaftspolitische Aufgaben zu übernehmen und dann noch, wie schön, ein neues Instrument lernen, sich mit Philosophie beschäftigen oder gar eine eigene Talksendung über dieses und jenes im Freien Radio zu machen? Als Antwort können wir nur einen Stoßseufzer ausstoßen. Es soll solche Menschen geben, die das alles auf die Reihe kriegen, doch auch die werden nicht immer vom Burnout verschont. Das Leitmotiv unseres Lebensalltags, wir alle kennen es: »Wenn ich mal Zeit hätte…«.

Kampf um Zeit

An der Basis unserer Gesellschaft spielt sich ein Kampf um Zeit ab. Wer hat die Möglichkeit, wie viel Zeit für welche Tätigkeiten aufzubringen? Wer kümmert sich um die Kinder? Wer macht Politik? Wer verbringt den Großteil der Zeit mit Lohnarbeit und verdient Geld? Es liegt auf der Hand: Die ungerechte Verteilung von Zeit in unserer Gesellschaft ist eine wichtige Ursache für die Ungleichberechtigung von Frauen. Oder, mit den Worten Frigga Haugs: Geschlechterverhältnisse sind Produktionsverhältnisse; sie sind nicht bloß Zutat zu den Produktionsverhältnissen, sondern diesen selbst konstitutiv eingeschrieben.[3] Nach Frigga Haug ist eine Gleichstellung von Frauen nur dann möglich, wenn wir unser arbeitsteiliges Gesellschaftssystem dahingehend verändern, dass alle vier Arbeitsbereiche gerecht unter den Geschlechtern aufgeteilt werden.
Als konkreten ersten Schritt in diese Richtung schlägt sie die 20-Stunden-Woche für alle vor. 20 Stunden Lohnarbeit wäre dann Vollzeit. Und wir alle hätten voll (viel) Zeit und wären befreit von der Einseitigkeit - bei so einer Vision gehen gleich die Reime mit mir durch. Politik wäre dann keine Angelegenheit einer korrupten Elite mehr, sondern Teil unseres Lebens, Teil unserer Arbeit. Männern wäre der Zugang zur Sorgearbeit und Kinderbetreuung nicht mehr, so wie jetzt, mehrheitlich verwehrt. Wir könnten unser Gemüse wieder selber anbauen. Und unsere Medien selber machen. Womöglich würden dann auch mehr Frauen bei Radio FRO eine eigene Radiosendung machen – im Moment sind rund zwei Drittel der Programmmachenden bei Radio FRO Männer, nur rund ein Drittel sind Frauen. Immerhin.

»Geschlechterverhältnisse sind nicht einfach Mann-Frau-Beziehungen, keine Fragen autoritärer oder masochistischer Persönlichkeiten, durch Charakterschulung behebbar, sondern selbst nur als Produktionsverhältnisse zu begreifen. Grundlage ist die Struktur gesellschaftlicher Arbeitsteilung…«[2]

Arbeitszeitpolitik bei Radio FRO

Radio FRO 105.0 versteht sich als Plattform, in der gesellschaftspolitische Alternativen ernsthaft diskutiert werden und als Ort, an dem gerechtere Verhältnisse erprobt werden. In einem aktuellen Projekt, das vom KUPF Innovationstopf und der Österreichischen Gesellschaft für Politische Bildung gefördert wird, setzen wir uns intensiv mit dem Thema Arbeitszeitpolitik auseinander. Frigga Haugs Vier-in-einem-Perspektive dient dabei als Ausgangspunkt. Es wird einen Workshop mit ehrenamtlichen RadiomacherInnen bei Radio FRO geben und selbstverständlich auch Radiosendungen, die sich um die Verteilung von Zeit und Macht drehen.
Wir wollen erarbeiten, welche strukturellen Bedingungen es braucht, dass Menschen ehrenamtliche Kulturarbeit im Radio leisten können. Und herausfinden, wie unsere ProgrammmacherInnen das schaffen und mit anderen Arbeitsbereichen vereinbaren. Denn: Hinter den Stimmen aus dem FRO-Äther stecken – das sei noch gesagt – einzigartige Menschen mit Lebensentwürfen, die die theoretische Vier-in-einem-Perspektive noch erweitern bzw. mit Leben füllen können.

Und zum Schluss noch eine Einladung!

Im Rahmen des Projekts findet auch ein Vortrag im Kepler Salon zum Thema »Eine neue Arbeitszeitpolitik für Frauen und Männer« statt. Die Referentin Katharina Schwabedissen ist Krankenschwester, Magistra Philosophie und Geschichte, Mutter von zwei Söhnen und Landessprecherin DIE LINKE Nordrhein-Westfalen. Sie wird über die Vier-in-einem-Perspektive sprechen und darüber, dass die Zeit denen gehören soll, die sie leben. Also uns!

Wir freuen uns auf euer Kommen!

Veronika Moser

Weiterlesen:

Sabine Gruber, Frigga Haug, Stephan Krull (Hg.): Arbeiten wie
noch nie!? Unterwegs zur kollektiven Handlungsfähigkeit.
Argument Verlag, 2010.

Frigga Haug: Die Vier-in-einem-Perspektive. Politik von Frauen für eine neue Linke.
Argument Verlag, 2. Aufl. 2011.

http://www.friggahaug.inkrit.de/

 

Philosophische Matinee: Eine neue Arbeitszeitpolitik für Frauen und Männer

Sonntag, 10. Juni 2012 um 10.30 Uhr
Kepler Salon, Rathausgasse 5, 4020 Linz

www.kepler-salon.at

Es erwarten euch: Vortrag, Diskussion, Kaffee und Butterbrot vom Biobauern.

Eine Veranstaltung von Radio FRO und dem Kepler Salon, in Kooperation mit der Österreichischen Gesellschaft für Politische Bildung und dem KUPF Innovationstopf 2012.

[1] Frigga Haug: Teilzeitarbeit für alle. Rede zur Eröffnung des dritten deutschen Sozialforums. http://www.friggahaug.inkrit.de/documents/hitzacker091016.pdf
[2] Frigga Haug: Die Geschichte der Vier-in-einem-Perspektive als Schule des Lernens, In: Arbeiten wie noch nie!? Unterwegs zur kollektiven Handlungsfähigkeit. Argument 2010, S.137.
[3] Vgl. Frigga Haug: Die Vier-in-einem-Perspektive als Leitfaden für die Politik. In: Das Argument 291/2011, S. 241 ff.

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