How To Make A Monster
Wissenschaftliche Disziplinen organisieren sich gerne in Gesellschaften und Verbänden. Das hauptsächliche Anliegen dieser Zusammenschlüsse liegt darin, dem eigenen Fach Gewicht zu verleihen: über die Vernetzung zwischen einzelnen Standorten von Forschung und Lehre, über regelmäßigen Austausch über state of the art in Theorien und Methoden, über Erarbeitung von Kriterien zur Qualitätssicherung von Forschung und Lehre aus dem Fach, über Entwicklung zukünftiger Perspektiven und Fragestellungen, über Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses, über Erarbeitung von Strategien zur Vertretung fachspezifischer Interessen in (hochschul- und wissenschafts)politischen Debatten und bei Geldervergaben, und über Kommunikation wesentlicher Anliegen und Erkenntnisse des Fachs an eine interessierte Öffentlichkeit.
Widerspenstige Entwicklung
In Österreich hat sich nun auch die Geschlechterforschung eine solche wissenschaftliche Interessensgemeinschaft geschaffen. Wesentliche Impulse gingen dabei auch von einer Gründung in Deutschland, bzw. einer Neuausrichtung in der Schweiz aus: Die neue deutsche Fachgesellschaft Geschlechterstudien Gender e.V. konstituiert sich im Jänner 2010 in Berlin, die bereits seit 1997 bestehende Schweizerische Gesellschaft für Geschlechterforschung SGGF gab sich zeitgleich neue Statuten, einen neuen Vorstand, und formulierte den Wunsch nach einer frischen, stärker wissenschaftspolitisch engagierten Ausrichtung. Dass wissenschaftliche Gesellschaften für Geschlechterforschung überhaupt existieren, ist keineswegs selbstverständlich. Anders als ‚klassische‘ Disziplinen wie etwa Geschichte, Physik oder Soziologie definierte sich die Geschlechterforschung lange Zeit nicht als eigentliches Fach. Dies ist zwei Gründen geschuldet. Erstens entwickelte sich Geschlechterforschung ab den 1960er Jahren innerhalb etablierter Fächer und aus ihnen heraus. Viele Geschlechterforscher_innen und Gender Studies-Betreibende verstehen sich nach wie vor als Vertreter_innen einer ‚Stammdisziplin‘ - wie Maschinenbau, Volkswirtschaftslehre oder Filmwissenschaften - im Rahmen derer sie an Fragen aus geschlechterforschender Perspektive arbeiten. Zweitens verortet sich Geschlechterforschung von Beginn an explizit inter- und transdisziplinär, und sieht in dieser Verortung auch eine ihrer größten Stärken. Eine kritische Haltung gegenüber einem Wissenschaftsbetrieb, in dem unter Ausblendung von Entwicklungen in anderen Disziplinen streng nach einem Set von facheinschlägig üblichen Theorien und Methoden vorgegangen wird, zeichnete die Geschlechterforschung von Anfang an aus. Es gehört in den Gender Studies durchaus zum guten Ton, ein Problem innerhalb des selben Projekts aus verschiedenen disziplinären Perspektiven zu bearbeiten, ohne diese Assemblage gleich als kanonische Grundlage eines neuen Faches zemetieren zu wollen. Die zunehmende Institutionalisierung von Geschlechterforschung vor allem an den Universitäten, wie sie im deutschsprachigen Raum seit den 1990er Jahren zu beobachten ist, produziert ‚Gender‘ aber gleichzeitig als de-facto Fach. In Österreich gibt es inzwischen Professuren, Universitätsinstitute/abteilungen, und Master-Studiengänge für Geschlechterforschung/Gender Studies. Viele andere Studiengänge der unterschiedlichsten Disziplinen verankern Gender Studies als Pflicht- oder Wahlfach in ihren Curricula. Ein wichtiges Produkt dieser Institutionalisierung - und damit auch ein wichtiges Argument für die Gründung der Gesellschaft - sind jene neuen Wissenschafter_innen, die Curricula aus Gender Studies abschließen, unter diesem Label publizieren, und Promotionen und Habilitationen in diesem Bereich anstreben. Da sie ihre Ausbildung und Qualifikation als von ‚Stammdisziplinen‘ unabhängige Gender-Forscher_innen erworben haben, verstehen sie sich durchaus als Nachwuchs eines eigenen Faches. Problematisch dabei ist, dass dieses Fach ihnen bisweilen noch nicht jene Infrastruktur und Vernetzungsperspektiven bieten kann, die in etablierten Disziplinen selbstverständlich sind.
Streitbares Miteinander
Trotz ihrer fortschreitenden Institutionalisierung bleibt der Status der Gender Studies in der österreichischen Lehr- und Forschungslandschaft ein ungesicherter. Bereits Erreichtes, wie etwa gender-denominierte Professuren oder verpflichtend verankerte Gender-Lehre in nicht-geschlechterforschenden Curricula, ist oft durch finanzielle Austrocknung im Zuge von universitären Sparmaßnahmen oder der Infragestellung von bestehenden Richtlinien wie Frauenförderplänen geschwächt oder gefährdet. Vielerorts sind äußerst widersprüchliche Prozesse zu beobachten: ‚Gender‘ gilt an vielen Hochschulen und anderen Forschungseinrichtungen als ‚Innovationstrumpfkarte‘ - während die Leistungen, welche Gender Studies Expert_innen in ihren Institutionen erbringen, intern oft von Ressourcenkürzung und Marginalisierung bedroht bleiben. Ausgehend von diesen produktiv-problematischen Entwicklungen bildeten Mitglieder der Genderplattform (‚Plattform der Einrichtungen für Frauenförderung und Geschlechterforschung an den österreichischen Universitäten‘) im Herbst 2010 eine Arbeitsgruppe, welche die Gründung einer wissenschaftlichen Gesellschaft für Geschlechterforschung als Interessensvertretung von einschlägig tätigen Personen, Verbänden, Netzwerken und Institutionen zum Ziel hatte. Die Arbeitsgruppe entschied sich für einen möglichst offenen, partizipativen Gründungsprozess. Grundlegende inhaltliche und organisatorische Belange, wie die Formulierung der Ziele und Statuten des Vereins, wurden über zwei Jahre lang in Redaktionsgruppen in wechselnder Besetzung, welche je nach Aufgabe zwischen fünfzehn und fünfzig Aktive zählten, erarbeitet. Die Gründer_innen spiegeln das breite Spektrum der österreichischen Forschungslandschaft aus Gender Studies wider: Professor_innen und freie Wissenschafter_innen sind genauso vertreten wie Studierende und der akademische Mittelbau. Die relativ lange Vorlaufzeit ist unter anderem auch der Tatsache geschuldet, dass jenen inhaltlichen Diskussionen, welche Organisierungsunternehmungen in einem so heterogenen wissenschaftlichen Feld notwendiger Weise begleiten, im Gründungsprozess viel Platz eingeräumt wurde. Von vorne herein war klar, dass eine Gesellschaft für Geschlechterforschung kein ‚Konsensverein‘ werden sollte, sondern ein strategisches Kollektiv, welches Konflikte und Verschiedenheiten sowohl aushält, als auch zum Motor für die kritische Weiterentwicklung der eigenen Politik macht. Das Organisationsteam formulierte zur Bezeichnung dieses Prozesses den Begriff des ‚streitbaren Miteinander‘.
Am 22. November 2012 vollzog das streitbare Kollektiv den feierlichen Gründungsakt der ÖGGF an der Universität in Salzburg.
Aufruf zum Mitmachen
Die Österreichische Gesellschaft für Geschlechterforschung hat Anfang Mai 2013 ihre Tätigkeit im vollen Umfang aufgenommen. Ein Beitritt als ordentliches Mitglied ist jederzeit online möglich. Von 5. - 7. Dezember 2013 findet an der Akademie der bildenden Künste in Wien die erste Jahrestagung unter dem Titel ‚Konstrukt Geschlecht disziplinär/interdisziplinär/transdisziplinär. Ergebnisse, Herausforderungen und Perspektiven‘ statt. Derzeit lädt die Gesellschaft zur Einreichung von Abstracts für 20-minütige Papers zur Tagung. Der Call richtet sich an Wissenschafter_innen aller Qualifikationsstufen, welche in universitären und außeruniversitären Kontexten Geschlechterforschung betreiben, und ihre Rahmung von Geschlecht als Konstruktion zur Diskussion stellen möchten. Die Deadline für alle Einreichungen ist der 15. Juni 2013. Vorstand und Mitglieder freuen sich auf spannenden Austausch und weite Vernetzung. Wir wünschen allen Gründer_innen und neuen Mitgliedern alles Gute!
Links
Österreichische Gesellschaft für Geschlechterforschung – Gender Studies Association Austria: http://www.oeggf.at
Fachgesellschaft Gender e.V. (Deutschland): http://www.fg-gender.de/
Schweizerische Gesellschaft für Geschlechterforschung SGGF: http://genregeschlecht.ch
Plattform der Einrichtungen für Frauenförderung und Geschlechterforschung an den österreichischen Universitäten: http://www.genderplattform.at/
Call for Papers 1. Jahrestagung der ÖGGF: http://www.oeggf.at/cms/index.php/jahrestagungen.html