»Pump up the Saatgut«
Im Jahr 2001 verkündete Shu Lea Cheang »Steam the green, Stream the field«. Diese künstlerische Arbeit dient als Folie, um den Kontext und Hintergrund von Cheangs neuestem Projekt auf der Eleonore zu verstehen. Zu einer Zeit als der Mainstream der Medienkunst noch vom Reiz des Neuen an den Medien gebannt schien, schlug Cheang eine Kurskorrektur hin zur Befassung mit konkreten Themen wie z.B. ökologische Nahrungsproduktion vor. Sie verband diese Thematik mit den drahtlosen Bürgernetzen – der Idee eines Commons der Netzwerke –, und sie stellte dabei die Idee der sozialen Selbstorganisation und der Solidarökonomie in den Mittelpunkt.
Etwas mehr als 10 Jahre später haben diese drei Themen – nach dem Crash des Finanzsystems im Jahr 2008 – nur an zusätzlicher Relevanz gewonnen. Der Kapitalismus durchmacht eine seiner tiefen, strukturellen Krisen. Einerseits eröffnet das die Chance, die zentralen Werte und Mechanismen dieses Systems in Frage zu stellen und konkrete Möglichkeiten zu seiner Überwindung zu entwerfen. Währenddessen fährt der informationelle Finanzkapitalismus aber fort, nicht erneuerbare Ressourcen zu zerstören, und sein Regime weiter auszudehnen, indem er sich neue Territorien, Körper und Daseinsformen einverleibt. Mittels Patentrecht und Registrierungspflicht geht es nun dem pflanzlichen Leben an den Kragen, und damit der Basis der Nahrungsproduktion.
Die Rede ist hier von der kontroversen Saatgutverordnung der EU, die vorschlägt, eine »sichere Lebensmittelkette« (http://europa.eu/rapid/press-release_IP-13-400_de.htm) zu schaffen. Ist nur die Frage, wer oder was hier an die Kette genommen wird. Aktivisten wie etwa das Saatguterhalter-Netzwerk Arche Noah glauben, dass davon Großkonzerne bevorzugt und lokale Varianten, Nischenprodukte und alte Sorten benachteiligt werden. Auch wenn der letzte Entwurf, veröffentlicht am 6. Mai 2013, leicht abgeschwächt wurde, droht die Saatgutverordnung zu einer Hürde für Hobbybauern, Klein- und Mittelbetriebe zu werden. Doch der Widerstand wächst.
Im Kampf gegen die Ausbreitungstendenzen des Neoliberalismus rückt zunehmend die Idee des Commons ins Zentrum. Anstatt sich weiter dem Kommando des Kapitals unterzuordnen, wollen die »Commoners« die freiwillige Zusammenarbeit in möglichst hierarchiefreien Selbst-Organisationen und eine nachhaltige, nicht auf Wachstum gerichtete Wirtschaftsweise, wobei Ressourcen als Gemeingüter verwaltet werden. Hatte die unerwartete Wiederkehr des Commons vor 10 Jahren noch sehr viel mit Freier und Open Source Software zu tun, so wird diese Idee nun in die organische Realität zurückgespielt und auf Saatgut angewandt.
Cheangs Projekt von 2001 schien diese Entwicklungen in geradezu prophetischer Manier vorwegzunehmen. Sie verknüpfte die politische Ökonomie der Kommunikation mit jener der Gesellschaft, indem sie die Teilnehmer_innen in eine Tauschwirtschaft on- und offline einband. Steam the green, Stream the field begann damit, dass zur gemeinsamen Ernte von 10.000 organischen Knoblauchknollen eingeladen wurde. Dieser Knoblauch sollte so etwas wie der Goldstandard umgelegt auf die Tauschökonomie sein. In Cheangs Szenario war der Kapitalismus zusammengebrochen, die Währung wertlos und die einzigen elektronischen Netze, die noch funktionierten, waren drahtlose Bürgernetze wie NYC Wireless. Der organische Knoblauch diente als Kreditgarantie für den sozialen Austausch der Teilnehmer_innen in den lokalen und globalen Netzen der Multitudes.
Ihr Vorhaben wurde mit einer Email an die Mailingliste von Indymedia NYC angekündigt. Das internationale Netzwerk von Websites entstand 1999, anlässlich der sogenannten Battle of Seattle, als eine Regenbo-genkoalition von Gegner_innen der kapitalistischen Globalisierung erfolgreich die Konferenz der Welthandelsorganisation unterbrach. Damals wurde ein Independent Media Centre (IMC) eingerichtet, wo Aktivist_innen von der Straße hinkommen konnten, um ihre Video-, Foto- und Tonaufnahmen schnell und unzensiert ins Netz zu stellen.
Eine Schlüsselperson bei der Einrichtung des IMC war die Medienaktivistin DeeDee Halleck. Diese hatte 1980 Paper Tiger TV gegründet, eine wöchentliche Sendung im New Yorker Kabel-TV, die bis heute existiert und so etwas wie das Grundmodell für »Tactical Media« lieferte. Die Fernsehprojekte von Stadtwerkstatt TV in den 1980er- und 1990er-Jahren können ebenfalls in dieser Tradition eines sozialaktivistischen und emanzipatorischen Mediengebrauchs gesehen werden.
Die in Taiwan geborene Shu Lea Cheang kam Ende der 1970er Jahre auf der Basis eines Stipendiums nach New York, um an der berühmten New York Film School zu studieren. In den 1980er Jahren schloss sie sich Paper Tiger TV an, das damals eine Art Ersatzfamilie war. 1994 stellte Cheang ihren ersten abendfüllenden Spielfilm, Fresh Kill, fertig, der Cyberpunk-Ästhetik, Medienaktivismus und apokalyptische Umweltbedrohungen in Szene setzte. Kurze Zeit später realisierte sie ihre erste interaktive Medieninstallation Bowling Alley als Auftragsarbeit des Walker Art Centres.
Seither oszilliert ihre Arbeit zwischen den Polen der Ausarbeitung von filmischen Stoffen, die einerseits das große Format der Leinwand und eine tiefgehende Bearbeitung der Problematik verlangen, und andererseits der schnellen, politischen Guerrilla-Aktion. Die Lösung, die sie gefunden hat, um diese Kluft zu überbrücken, nennt sich »sozio-politische Echtzeit-Fiktion«. Dabei handelt es sich um die Erzeugung eines fiktiven Szenarios, wie in einem Film, nur dass sich dieser in der Wirklichkeit und den Köpfen der Teilnehmer_innen ereignet.
In ihrer E-Mail an Indymedia forderte sie die Leute auf, sich für die »Online-Tauschökonomie in einem digitalen Commons« zu registrieren, und »Bilder, Code, Texte« beizusteuern. Als Inspiration dienten die argentinischen Truque-Clubs. Nach dem Zusammenbruch der argentinischen Währung 2001 bildeten Menschen Clubs um sogenannte »Truque«-Tauschbons, die anstelle einer Währung das Fortbestehen eines lokalen Wirtschaftslebens ermöglichten.
Für die Abschluss-Aktion des Greenfields-Projekts 2002 fuhren Cheang und ihre Unterstützer wie z.B. die Performance-Künstler Reverend Billy und Ricardo Dominguez drei Tage lang mit einem Pick-up Truck durch Manhattan, auf dessen Ladefläche sich mehrere hundert Kilo frisch geernteten Knoblauchs befanden, so wie in knalligen, großen Buchstaben der Schriftzug: GET GARLIC. GO WIRELESS.
Die frühen 2000er Jahre waren die Pionierphase der drahtlosen Bürgernetze. Initiativen wie Consume in London, Personal Telco in Portland, oder Funkfeuer in .AT bauten mittels WLAN Statdtteil übergreifende Netze. Ihnen ging es weniger um die Technik als um deren soziale Einbettung und Rolle im Kontext sozialer Gemeinschaften (siehe auch das Buch »Freie Netze« des Autors aus dem Jahr 2003; freier Download: http://www.heise.de/tp/buch/buch_11.html).
An verschiedensten Plätzen wie Wall Street oder vor dem Museum of Modern Art parkten Cheang und ihre Mitstreiter_innen den Truck und forderten diese Institutionen auf, ihre Bandbreite mit der Öffentlichkeit zu teilen. Dann offerierten sie den Passanten, sich in die drahtlose Tauschökonomie einzubringen. Wer etwas beisteuerte, ob Texte, Bilder, einen Haarschnitt oder eine Story erhielt Coupons, die vor Ort gegen organischen Knoblauch eingetauscht werden konnten. Diese Aktion, die sich zugleich im Stadtraum wie im Datenraum abspielte, schuf das Grund-muster für weitere Arbeiten in den folgenden Jahren, die gemeinsam mit dem Kollektiv Take2030 verwirklicht wurden. Das sind im Kern neben Cheang der Elektronik-Spezialist Alexei Blinov und die Kuratorin Ilze Black.
Blinov baute 2003 einen tragbaren Computer - »Chiputer« genannt -, der die damals noch sehr experimentellen Mesh-Network-Protokolle für WLAN verarbeiten konnte, und aussah wie eine japanische Sushi-Lunch-box mit Antenne. So ausgerüstet suchte Take2030 Orte wie die Biennale von Venedig heim, um von engelsgleichen Mädchen mit farbigen Lampen im Haar und auf Rollerskates die mobile Bandbreite auf die Straße und in die Museen tragen zu lassen. Die Message lautete »Pump Up the Bandwidth« (siehe auch http://take2030.net/).
Zugleich beschäftigte sich Cheang weiterhin mit organischem Knoblauch und Ökonomie, so z.B. in Agliomania (Knoblauchmanie, URL http://www.agliomania.com) in Anspielung an die Tulpenmanie an der Amsterdamer Börse im 17. Jahrhundert. Cheangs bislang letztes Projekt, Composting the City, Composting the Net (2012) (http://www.compostingthecity.mobi/) stellte wiederum einen Zusammenhang zwischen Netzkultur und Urban Gardening her. Für den Berliner Prinzessinnengarten entwickelte sie ein mobiles Kompostiersystem. Zugleich wurden die Archive der Netzkultur, von Mailinglisten wie Nettime oder Spectre, in einem dem Kompostieren ähnlichen Vorgang remixed.
Im Rahmen ihrer Artist-In-Residency auf der Eleonore in der Reihe »Fieldwork« wird Shu Lea Cheang einen neuen Arbeitszyklus eröffnen. Dabei handelt es sich um zwei miteinander verbundene Arbeiten Accidental Landing (http://accidental-landing.mobi/) und Seeds Underground (http://seedsunderground.net/). Mit ersterem möchte sie einen Freihafen für patentfreies Saatgut schaffen, einen Ort an dem dieses gezüchtet und vermehrt werden kann. Seeds Underground ist eine Versammlung mit dem Zweck, Saatgut zu tauschen. Die erste Seeds Underground Party wird am 12. Juni auf der Eleonore stattfinden, die nächste ist dann am 1. Oktober bei Okno in Brüssel geplant.
Einladung zur Seeds Underground Party
Seeds Underground:
Germinate ! Broadcast ! Trade ! Track !
Eleonore, Am Winterhafen 20
Mittwoch, 12. Juni 2013
von 18.30 bis 21.00 Uhr
http://www.seedsunderground.net/
Bringt selbst geerntetes Saatgut und vorgezogene Pflanzen aller Art für diese Party nach der Arbeit! Einfach vorher bei der Website http://www.seedsunderground.net/ einschreiben, um Saatgut zu tauschen, zu bekommen, es vorzutreiben, auszusähen oder seine Verbreitung nachzuvollziehen. »Wir werden uns Essen und Geschichten teilen, während wir warten, auf dass die Sprossen sich im Morgengrauen öffnen.«
Fieldwork
Eine neue Artist-in-Residency-Reihe der STWST, kuratiert von Armin Medosch
Armin Medosch kuratiert eine Serie von Artist-in-Residencies auf dem Messschiff Eleonore. Im Mittelpunkt stehen sozial engagierte, transdisziplinäre künstlerische Praktiken, die durch ihren modellhaften Charakter Alternativen zum gegenwärtigen Verhältnis von Wirtschaft, Ökologie, Technologie und Gesellschaft aufzeigen. Die Eleonore, ihre Ausstattung und Umfeld sind idealer Nährboden für techno-soziale und partizipative künstlerische Entwicklungen. Die bei den Fieldwork-Residencies entwickelten Arbeiten werden in der Ausstellung Fields gezeigt, 15. Mai bis 3. August 2014 in Riga, als Teil von »Riga Kulturhauptstadt 2014«. Die ersten drei Künstler_innen werden sein: Shu Lea Cheang (TW/USA), 1. bis 15. Juni, Neal White (UK), 19. bis 30. Juni, und Hayley Newman (UK), 19. August bis 1. September.
Aktuelles hierzu: http://donautics.stwst.at/