Irgendwo auf der Welt...
»...wenn der Sturmwind sein Lied singt,
dann winkt mir der großen Freiheit Glück.«
La Paloma
»Irgendwo auf der Welt gibt‘s ein kleines bisschen Glück«. Diesen langsamen Foxtrott komponierte Werner Richard Heymann für den Ufa-Tonfilm »Der blonde Traum« im Jahr 1932. Während für Lilian Harvey das Glück begann und während die Kritik sie euphorisch lobte, musste Werner Richard Heymann als Jude das Land, sein Heimatland, verlassen. Das Lied allerdings drückt das Zeitgefühl aus. 1933 wurde Heymann wegen seiner jüdischen Abstammung von der UFA gekündigt. Er ging in die Emigration, zuerst nach Paris und später nach Hollywood. In Hollywood komponierte er mit großem Erfolg zahlreiche Filmmusiken, unter anderem 1939 für den Ernst Lubitsch-Film Ninotschka mit Greta Garbo. Lubitsch, einer der ersten und erfolgreichsten deutschen Regisseure in Hollywood, unterstützte mit Salka Viertel und Paul Kohner den European Film Fund, um in die Vereinigten Staaten emigrierte europäische Filmschaffende wie Heymann in finanzieller Notlage zu unterstützen.
Viele der jungen in die Emigration gezwungenen Filmschaffenden allen voran Billy Wilder, der für Ninotschka das Drehbuch geschrieben hatte, suchten und fanden ihr Glück in den Vereinigten Staaten und vor allem in Hollywood. Das kleine Glück in den späten Weimarer Jahren wurde für sie zwar durch die Emigration erschüttert, dann aber durch den amerikanischen Traum, vom großen Glück und durch die Traummaschinerie Hollywoods ersetzt. Billy Wilder hatte mit Robert Siodmak, Fred Zinnemann und Edgar G. Ulmer im Stile der neuen Sachlichkeit das kleine Glück in dem vielgelobten Film »Menschen am Sonntag« genau skizziert. Der Film wurde mit viel Enthusiasmus und sehr wenig Budget in Berlin und Umgebung gedreht. Die Uraufführung am 4. Februar 1930 wurde begeistert aufgenommen. »Menschen am Sonntag« von 1930 und »Der blonde Traum« von 1932 bringen die Idee vom kleinen Glück sehr genau zum Ausdruck.
Während zum Ende der Weimarer Zeit vor dem Hintergrund der Wirtschaftskrisen und der totalitären Drohkulissen der Zeit das kleine Glück erstrebenswert schien, ging kurze Zeit später im Nationalsozialismus das kleine Glück, im inszenierten Glücksrausch der Massen unter. Der einzelne Glückssuchende wurde, wie Manes Sperber es beschreibt, zur Träne im Ozean. In seinem gleichnamigen Roman beschreibt Sperber die politische Landschaft Europas in den Jahren zwischen 1930 und 1945 und er stellt den Revolutionär, den Kämpfer für das Glück vor. Er kämpft für sich und für die Gesellschaft zuerst für den Kommunismus und schließlich für die Freiheit. Die Freiheit, die John Locke, 1690 in seiner Schrift »An Essay Concerning Humane Understanding« als die Grundlage jeden Glückes ansah. Sperber stellt seinen Helden in die Tradition der großen Revolutionäre, die alle für Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit eintraten und in ihren Verfassungen das Glück als Recht jedes Einzelnen verbrieften. Die Glaubwürdigkeit des Buches liegt nicht zuletzt darin, dass er die echten Werte der revolutionären Idee nicht verleugnet hat.
Einer derjenigen, den Neoliberale immer sehr gerne ins Feld führen, um ihre kapitalistischen Feldzüge zu rechtfertigen, ist John Locke. Locke selbst hätte dies sicher vehement von sich gewiesen. Es ging ihm keinesfalls um eine Rechtfertigung der Raubzüge eines Francis Drake. Vielmehr war er als Vordenker der Aufklärung an der Verbesserung der Lebensumstände des Menschen interessiert. Seine politische Philosophie beeinflusste die Verfasser der Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten 1776 nach eigenen Aussagen wesentlich. Das »pursuit of happiness« ist eine Formulierung von Locke und lässt sich eindeutig auf ihn zurückführen. Die Frage stellt sich, wie kann das Recht auf Glück verbrieft werden, wenn es sich bis heute nicht genau definieren lässt. Locke sah den Gesamtzustand des Genusses der Freiheits- und Besitzrechte und die damit verbundene Selbstverwirklichung als Glück an. Was aber sehen wir heute als Glück an? Der heute gängige Glücksbegriff geht davon aus, dass Glück ein Gefühl oder ein Zustand ist, in dem sich eine Person befindet und sich durch ein allgemeines, oft unbewusstes Wohlbefinden auszeichnet. Nicht objektive Tatsachen geben den Ausschlag, sondern das »Subjektive Wohlbefinden«. Glück kann einerseits nur kurz andauern, wie ein körperliches oder geistiges Hochgefühl, andererseits ist es ein dauerhaftes Glücksgefühl, wie es sich zum Beispiel in einer funktionierenden Beziehung oder in einer Familie einstellen kann. Die Frage, was Glück ist, können wir also nur sehr vage beantworten. [1]
Am Tor des Stammlagers Auschwitz I befindet sich der Schriftzug »Arbeit macht frei«. In den Konzentrationslagern während der Zeit des Nationalsozialismus war die Toraufschrift eine zynische Umschreibung für den vorgeblichen Erziehungszweck der Lager, die in Tat und Wahrheit nach dem Prinzip der Vernichtung durch Arbeit angelegt waren. Was hierbei aus dem Fokus gerät, ist die Herkunft dieser Parole. »Nicht der Glaube macht selig, nicht der Glaube an egoistische Pfaffen- und Adelzwecke, sondern die Arbeit macht selig, denn die Arbeit macht frei. Das ist nicht protestantisch oder katholisch, oder deutsch- oder christkatholisch, nicht liberal oder servil, das ist das allgemein menschliche Gesetz und die Grundbedingung alles Lebens und Strebens, alles Glückes und aller Seligkeit.« [2] Diese Maxime des 19. Jahrhunderts scheint in einer säkularen Welt umso mehr zu gelten. Heute scheint der gesellschaftliche Konsens zu sein: Arbeit ist ein zentraler Wert in dieser Gesellschaft, und nur wer arbeitet wird glücklich, weil er Geld verdient und sich so seine Freiheit erkaufen kann. Seine Freiheit besteht darin, sich Glücksmomente zu erkaufen. Zumindest verspricht dies die Werbung: Konsum macht glücklich! Eben nicht, sagen die Postmaterialisten. Vielmehr gilt es diesen Konsumzwängen zu entgehen, indem man den Konsum einschränkt! Erich Fromm spricht, Glück stelle sich erst dann ein, wenn man frei und illusionslos lebt. Hier stimmt er genau mit John Locke überein, der davon spricht, sich nicht täuschen zu lassen und auf die nur vorgetäuschte Freiheit und künstlichen Bedürfnisse hereinzufallen. Diogenes! Peter Sloterdijk fasst die Überzeugung Diogenes mit heutigen Begriffen zusammen: »Ideale, Pflichtideen, Erlösungsversprechen, Hoffnungen auf Unsterblichkeit, Ziele des Ehrgeizes, Machtpositionen, Karrieren, Künste, Reichtümer. Aus zynischer Sicht sind das alles Kompensationen für etwas, was sich ein Diogenes erst gar nicht rauben lässt: Freiheit, Bewusstheit, Freude am Leben...«.3 Wir sprachen schon darüber im Zusammenhang mit der Eleonore in der letzten Ausgabe der Versorgerin.
Ohne auf die Eleonore wirklich eingehen zu können, möchte ich in diesem Zusammenhang auf zwei Filme von Helmut Käutner verweisen, in denen das Glück eine große Rolle spielt. Der Film Große Freiheit Nr. 7 wurde während des Zweiten Weltkriegs von Mai bis November 1943 im Deutschen Reich von Helmut Käutner gedreht. Er durfte nach der Zensur vom Dezember 1944 in Deutschland nicht gezeigt werden und wurde erst 1945 von den Alliierten freigegeben. Der Star des Films war Hans Albers, der den in die Jahre gekommenen Hannes Kröger spielt. Hannes, Anreißer, Sänger und Musiker im Hippodrom kümmert sich um das junge Mädchen Gisa. In ihr sieht er einen Menschen, der das Leben noch vor sich hat. Sie ist die Metapher für die große Freiheit und das große Glück. Mit dem Film hält Käutner ein unverhohlenes Plädoyer für die Freiheit. Albers darf noch einmal die Ferne beschwören. Er singt von der großen Freiheit und vom großen Glück. Ein halbes Jahr später 1944/45 dreht Käutner im völlig zerstörten Berlin den wunderbaren Film »Unter den Brücken«. Das kleine persönliche und berufliche Glück vor der Kulisse der Spree, fernab von den Heroismus- und Durchhalteparolen seiner Entstehungszeit. Käutner selbst spricht davon: »Wir lebten verträumt neben der Zeit und lenkten uns durch die Arbeit von all dem Schrecken ab«. 1944 schuf er diese »unglaublich dichte, atmosphärische Romanze voller filmischer Einfälle und vor allem voller Leichtigkeit, Zartheit und Poesie.« Käutner schuf mit dem Film eine Metapher für das stille und kleine Glück, das bis heute berührt.
[1] http://www.gutenberg.org/browse/authors/l#a2447
[2] Heinrich Bettziech (Beta): Geld und Geist. Versuch einer Sichtung und Erlösung der arbeitenden Volks-Kraft, A. W. Hayn, Berlin 1845
[3] Peter Sloterdijk: Kritik der zynischen Vernunft. Erster Band. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1983. S. 313.