Der Gibling ist ein Treibling
Ein Projekt, das versucht, Erscheinungen des Finanzkapitalismus praktisch, aktionistisch und symbolisch zu konterkarieren ist die Communitywährung »Gibling«, – initiiert von AktivistInnen im Umfeld der Stadtwerkstatt Linz und mitgetragen von nun schon vielen Kultur- und Szeneeinrichtungen. Geistiger Ausgangspunkt für derartige Konzepte von Regionalwährung, in diesem Fall Sektoralwährung, ist die Freiwirtschaftslehre von Silvio Gesell, die in den ersten Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts in verschiedener Weise Einfluss auf das wirtschaftliche Denken hatte.
Der Zins sei das Übel…
Als Kern des Übels wurde von Gesell der Zins ausgemacht – die wirtschaftlichen Krisen seien die Folge davon. Wegen des Zinses wird Geld gehortet und es wird dadurch zu einem Einkommen ohne Leistung, das unter schlechten Investitionsbedingungen wie höheren Zinsen nicht in den Produktions- und Konsumtionskreislauf eingespeist wird, was Produktion und Handel zum Erliegen bringt, Arbeitslosigkeit und soziale Verelendung nach sich zieht. Darum sei ein zinsfreies Geld notwendig, das das Zaubermittel für eine prosperierende Wirtschaft sei. Die Geldbesitzer, die mit den Zinsen Geld verdienen ohne was zu leisten, haben darüber hinaus auch noch eine besonders privilegierte Machtstellung; weil alle Menschen Geld brauchen, um Waren zu tauschen, sind sie auf das Geld angewiesen und müssen den entsprechenden Zins zahlen. Mit dem zinsfreien Geld wird ihre Machtstellung gebrochen; das Geld kann zinsfrei in die Produktion und den Konsum laufen; es wird investiert und konsumiert; die »Wirtschaft« floriert, so die Ideologen der Freiwirtschaft.
Analog zum Gesellschen Freigeld steckt im Gibling die Idee: Geld muss ausgegeben werden, nicht gehortet werden, in Umlauf gebracht werden, um den Kultur- und Szenesektor anzukurbeln und darüberhinaus identitäre Prozesse mit zu initiieren. Der Gibling ist mit einem jährlichen Ablaufdatum versehen; für den Gibling-Besitzer besteht der Zwang, innerhalb eines Jahres, den Gibling auszugeben, sonst verfällt er. Warum der Gibling, wie die InitiatorInnen behaupten, deswegen in Widerspruch zum kapitalistischen Wettbewerbssystem stehen sollte, ist nicht nachvollziehbar. Intendiert ist mit der Euro-Parallelwährung Gibling ja ein Hinlenken von Geldströmen in Form des Giblings auf die Kultur- und Szenewirtschaft, eine Ankurbelung dieses Sektors und damit ein Wachstum, das ja für die meisten ein Übel des kapitalistischen Systems darstellt. Und da im Kapitalismus Konkurrenz – die private Produktion – jeder gegen jeden, als Freiheitsprinzip beschönigt, vorherrscht, wird der Wettbewerb unter der Szenewirtschaft verschärft und nicht verhindert, wie es die Giblinge in ihrer guten Absicht bewerkstelligen wollen. Der Gibling ist ein Treibling, ein Antreiber der Produktion und der Konkurrenz und nicht ein Verhinderer des Wettbewerbs. Natürlich hat der Gibling praktisch kaum eine Relevanz, als solcher wurde er wahrscheinlich auch nicht konzipiert, aber gedanklich ist er nicht so harmlos und gut wie er vorgibt. Auch von Gesell war das zinsfreie Geld als Antreiberin in der Produktion und in weiterer Folge auch des Marktes gedacht, sogar soweit gehend, dass sich die Fittesten, biologisch die Bestausgestatteten durchsetzen würden und die Schwachen selektiert werden.
Die Paradoxie des Freigeldes, der Regionalwährungen, würden sie auf das System insgesamt angewendet werden, ist ja, dass die beabsichtigte Abschaffung des Zinses, der anscheinend der hauptsächliche Verursacher der Krise ist, im Produktionsbereich das Wachstum und die Konkurrenz geradezu entfesseln würde, weil es z.B »billiges« zinsfreies Kreditgeld für betriebliche Investitionen gibt. Jeder kapitalistische Unternehmer würde freudig zugreifen und auf Teufel komm raus investieren, so die Logiker des Freigeldes: die Wirtschaft würde wachsen, die Leute hätten über die Lohneinkommen wieder Geld, auch der Staat hätte über die Steuern mehr Einnahmen; die Zeiten würden wegen des zinsfreien Geldes rosig werden. Diese schöne Rechnung wird aber ohne den kapitalistischen Wirt gemacht; denn die Konkurrenz und die blinde Privatproduktion sind ja deswegen nicht ausgeschaltet. Der ganze kapitalistische Schwachsinn würde sich mit dem zinsfreien Freigeld ähnlich reproduzieren, weil der Zins nicht das Problem ist. Heute sind die Zinsen niedrig wie noch nie, es wird sogar von Negativzinsen gesprochen, d.h. es werden Zinsen für das Leihen von Geld bezahlt, und trotzdem liegen ganze Volkswirtschaften darnieder und Unternehmen investieren nicht, obwohl ihnen das Geld billigst zur Verfügung stünde: Weil das Kriterium für produktive Investitionen nicht der Zins ist, sondern der zu erwartende Profit, der wiederum auf der möglichst billigen Arbeitskraftvernutzung, dem Produktivitätsvorsprung gegenüber der Konkurrenz und der möglichen Absetzbarkeit der Waren beruht.
Immer wieder das böse Finanzkapital
Es war kein Zufall, dass die Ansichten von Gesell in der Krise der 1930er Jahre bei verkürzten antikapitalistischen Strömungen auf fruchtbaren Boden fielen. Das Zinskapital wurde als das raffende Kapital hingestellt und das »gute« Kapital als das »schaffende«, das unter der Zinsknechtschaft der Juden erwürgt würde.
Die Wut auf den Finanzkapitalismus ist heute weit verbreitet. Von vielen wird er für die Krise verantwortlich gemacht. Der aufgeblähte sich gegenüber der »Wirtschaft«, Produktion verselbständigte Finanzüberbau drohe diese zu erdrosseln, fehlzuleiten, auszuweiden und die Finanzkapitalisten fielen wie die Heuschrecken über die »braven«, wirklich Arbeit schaffenden Unternehmen her. Die Logik des warenproduzierenden Systems, des Kapitalismus ist ja mit dem aufgeblähten Finanzkosmos nicht außer Kraft gesetzt, vielmehr ist das System Ware, Geld, Lohn, Kapital, Staat, Markt damit an seine absolute Grenze gestoßen; das System hat die Welt erobert, ist global geworden, eine weitere Ausdehnung ist nicht mehr möglich. Die Wachstums- und Rentabilitätsmöglichkeiten in der Produktion und damit des Profits daraus sind zum Erliegen gekommen, einerseits durch den riesigen Produktivitätsschub durch neue Technologien, insbesondere Mikroelektronik und der Begrenztheit des Globus selbst. Die abstrakte, wertschaffende Arbeit verlor durch die rasante technologische Intensivierung des Produktionsprozesses dramatisch an Bedeutung gegenüber dem Sachkapital bzw. fixen Kapital – diese Arbeit aber ist entscheidend für den Mehrwert und im Weiteren für den Unternehmensgewinn. Die Quelle des Mehrwerts, die abstrakte Arbeit als wertproduktive Arbeit versiegt immer mehr.
...und immer wieder die menschliche Gier
Schnell sind dann auch die Schuldigen gefunden, die gierigen Banker, verantwortungslose Finanzhaie, Abzocker, Spekulanten, die schwachen Politiker, die nicht Grenzen setzen usw. Schuld wird personalisiert, was natürlich zur Konsequenz hat, sich an diesen Personen, Personengruppen, abzureagieren, wenn der Krise Einhalt geboten werden soll. Dass Personen, insbesondere wenn sie ausgesprochene Träger von Kapitalfunktionen sind, zuerst einmal Charaktermasken dieser sind, nicht individuell schuld sind, mag den mit dem üblichen Gefühlshaushalt ausgestatteten Menschen im Kapitalismus nicht gefallen, die mit ihren moralischen Kategorien dagegen ankämpfen. Eigenschaften wie Neid, Gier, Rücksichtslosigkeit, Verantwortungslosigkeit, Verkommenheit usw. werden der dunklen Seite des Menschseins angedichtet, statt zu begreifen, dass die Hervorbringung dieser Eigenschaften den systemischen Kategorien wie Konkurrenz, blinder unpersönlicher Vermittlung der Menschen untereinander durch abstrakte Arbeit, Geld und Kapital geschuldet sind. Die Menschen werden vom System gezwungen, Arschlöcher zu werden und es ist nicht zuerst eine Frage des ungustiösen moralischen Haushalts der Menschen an sich. Die vielbeschworene »unsichtbare Hand«, die anscheinend letztendlich alles irgendwie zum Guten für die Menschheit steuern soll, war von Anfang an eine blind um sich schlagende Hand, heute ist sie eine monströse Pranke, die die Welt zerschlägt. Mehr Elend und ungeheuerliche Vernichtung als dieses System des Kapitalismus hat noch nie eine Gesellschaftsformation vorher zustande gebracht; eingeredet werden soll uns das Gegenteil.
Da der Glaube, über mehr guten politischen Einfluss, oder es müssten halt die guten Leute an die Macht kommen, was zu verändern, verloren gegangen ist – und auch mit gutem Grund –, entstehen vielfach Initiativen, die der Logik des Systems der selbstzweckhaften Geldverwertung etwas entgegensetzen wollen. In diesem Sinne kann im Gibling der positive moralische Überschuss, dem System etwas entgegenzusetzen, höher bewertet werden als seine logischen Inkonsequenzen.