Riot Grrrls im Weinviertel
In Hollabrunn findet heuer von 17. bis 23. August das vierte pink noise Girls Rock Camp (pnGRC) statt. Eine Woche lang entwickeln Mädchen und junge Frauen zwischen 14 und 21 Jahren gemeinsam mit Protagonistinnen der lokalen Independent-Musikszene in Workshops und im Proberaum Bandkonzepte, die geschlechtsspezifischen Schieflagen im Rock entgegenarbeiten sollen. Kristina Pia Hofer hat sich mit drei Organisatorinnen des Camps, Julia Boschmann, Veronica Lion und Ulli Mayer, unterhalten.
Wer steht hinter dem pnGRC, und wie kam es zu dieser Initiative?
Ulli Mayer: Das Camp ist ein Projekt des Vereins pink noise, Verein zur Förderung feministisch popkultureller Aktivitäten. Neben einer Kern-Organisationsgruppe, die das gesamte Jahr an dem Projekt arbeitet, hält die aktive Unterstützung zahlreicher Musiker_innen, Kulturarbeiter_innen, Camp-Begeisterten und Interessierten das Camp am Laufen. Als ein gemeinsames Ziel steht dabei im Vordergrund, an Alternativen zu männlich dominierten Jugendkulturen zu arbeiten und junge musikbegeisterte Frauen darin zu unterstützen, selbst aktiv zu werden. Die Vorbereitungen für das erste Camp in Niederösterreich haben im Frühjahr 2011 begonnen und waren wesentlich inspiriert von eigenen Erfahrungen beim Willie Mae Rock Camp for Girls in New York, und den Erzählungen der Veranstalter_innen des Girls Rock Camp Graz 2010.
Das pnGRC ist Teil einer breiteren, auch global weiter gestreuten Bewegung. Wie sieht diese Bewegung aus, und wie seid ihr in ihr eingebunden?
Ulli Mayer: Wir sind Mitglied der Girls Rock Camp Alliance (GRCA), einer internationalen Vereinigung von Camp-Veranstalter_innen, die heute bis zu 65 Girls Rock Camps weltweit umfasst – von Vancouver über Austin, Brasilien, Schweden oder Polen. Seit März 2011 bin ich dort auch im Vorstand und arbeite im membership departement, wo wir momentan stark auf Austausch- und Kommunikationsmöglichkeiten regionaler Camp-Netzwerke fokussieren. Dabei wurde der Wunsch nach einer stärkeren europäischen Vernetzung deutlich. Im Sommer 2012 haben dann alle bis dahin existierenden Camps in Europa zusammengetan, das GRCA Europe Committee gegründet und Anfang August 2013 die erste Girls Rock Camp Alliance Europe Konferenz in Schweden initiiert, die wir mitorganisiert und -programmiert haben. Seitdem besteht das Committee, trifft sich in regelmäßigen Abständen in der virtuellen Welt und plant die nächste Konferenz, für die als Austragungsort auch Österreich im Gespräch ist.
Darüber hinaus ist die Vernetzung mit und aktive Einbindung von lokalen Communities besonders wichtig. Ohne diese Zusammenhänge wäre das Camp wohl nur schwer vorstell- und umsetzbar. Auch das Orga-Team kommt aus unterschiedlichen Zusammenhängen, und kann daher auch auf vielseitige Initiativen und queer-feministische Netzwerke zurückgreifen. Durch die gezielte Einbindung von ehemaligen Teilnehmerinnen_ in Camp-Aktivitäten oder Kooperationen mit unterschiedlichen Initiativen (bspw. Mädchen_zentren, Festivals, etc.) erweitern sich unsere Allianzen ständig.
Wie läuft eine Camp-Woche typischerweise ab?
Julia Boschmann: Die Teilnehmerinnen_ finden sich am zweiten Tag im Rahmen eines angeleiteten Prozesses zu Bands zusammen, schreiben in der Woche mit der Unterstützung von Musiker_innen in den sogenannten Bandcoaching-Einheiten einen Song, und präsentieren diesen im Rahmen eines öffentlichen Abschlusskonzerts. Rundherum gibt es ein breites Angebot an Workshops, um die Mädchen_ bei diesem Prozess zu unterstützen. Das Ermöglichen neuer Erfahrungen steht bei uns im Mittelpunkt, deshalb gibt es zusätzlich auch immer ein Angebot, in (andere) männlich_ dominierte jugendkulturelle Bereiche hinein zu schnuppern.
Auf eurer Homepage definiert ihr als wichtige Ziele des Girls Rock Camps sowohl die »Reflexion geschlechtsspezifischer Mechanismen in popkulturellen Erscheinungen« als auch die Förderung »feministisch orientierte[r] Jugendkulturen, die sich dem Empower-ment sowie den widersprüchlichen und vieldeutigen Rollenanforderungen widmen, mit denen Mädchen_ in der heutigen Zeit konfrontiert sind.« Gleichzeitig möchtet ihr einer wiederholten, stereotyp vergeschlechtlichten Zuschreibung von Fähigkeiten oder Mängeln aktiv entgegenarbeiten. Mit welchen Herausforderungen konfrontieren euch diese Zielsetzungen in eurer konkreten Arbeit? Wie geht ihr zB mit dem notwendigen Widerspruch um, dass Geschlechtsidentität und -selbstverständnis eine wesentliche Voraussetzung für die Teilnahme am Camp darstellt?
Veronica Lion: Wir sind uns dessen bewusst, dass wir mit unserem Angebot sehr explizit machen, für wen wir dieses gestalten und somit auch für wen nicht. Ein großer Teil unserer internen Auseinandersetzung widmet sich dem Entwurf einer Gender-Policy(1), die offener sein möchte für Trans_menschen. Unsere Arbeit basiert auf der Analyse, dass es aufgrund bestehender, normativer Strukturen für Mädchen_ schwierig ist, überhaupt und speziell im Popkulturbereich eigens definierte Räume und Identitäten einzunehmen.
Unsere Arbeit soll genau solche Räume schaffen, in denen es für die Teilnehmerinnen_ möglich ist, sich auszuprobieren abseits von Zuschreibungen, die sie aufgrund ihres Geschlechts, ihrer Herkunft (und vieler anderer identitätsstiftender Mechanismen) täglich erfahren. Die Schwierigkeit besteht u.a. darin, Mädchen_ anzusprechen, die noch nicht die Möglichkeit hatten, sich diesem Dilemma bewusst zu stellen, die möglicherweise davor zurückschrecken an einem solchen Projekt teilzunehmen, genau aufgrund der Strukturen, die wir zu verändern suchen. Umso schöner ist es, zu erleben, wenn Mädchen_ durch die Teilnahme am Camp beispielsweise neue Fähigkeiten an sich entdecken und dann wiederkommen, um selbige weiterzugeben. Eine der Grundideen des pink noise Girls Rock Camps ist es dabei, die Teilnehmerinnen_ nachhaltig in das Projekt zu involvieren. Die Atmosphäre horizontaler Wissensvermittlung in einem respektvollen Miteinander regt dazu an, das eigene Wissen und Können als weitergebbar anzuerkennen und zu erleben, welch enorm kreative Räume dies erzeugt. Diese Ideen stehen natürlich in einer queerfeministischen Tradition, Netzwerke neben den existenten weiß-männlich dominierten Strukturen zu schaffen, um einander längerfristig zu unterstützen.
Dem Dilemma zwischen dem bewussten Versuch, Kategorien aufzubrechen, und ihrer wiederholten Festschreibung können allerdings auch wir nicht gänzlich entkommen. Das bedeutet, dass wir diese Problematik in unserer täglichen Arbeit ständig reflektieren – besonders auch dahingehend, was die Zugänglichkeit unseres Angebots betrifft. Solange wir die herrschenden Strukturen als männlich dominiert und heteronormativ empfinden, sehen wir es aber als unablässig an, geschützte Räume zu schaffen, in denen Mädchen_ die Möglichkeit haben über diese Kategorien hinaus sich selbst zu ermächtigen.
Wie nachhaltig bleiben Teilnehmer_innen dem Verein und seiner Tätigkeit in der Regel erhalten?
Julia Boschmann und Veronica Lion: Wir überlegen sehr viel, wie wir ehemalige Teilnehmerinnen_ darin unterstützen können, selbst »Leitungsfunktionen« zu übernehmen. So fragen wir beispielsweise oft ehemalige Teilnehmerinnen_ bei Projekten mitzumachen, die wir mit unserem Verein pink noise abseits des Camps organisieren. Oft kommen diese selbst auf uns zu und suchen nach Möglichkeiten, Teil des Netzwerkes, der Organisation, des Camps zu sein. Natürlich braucht es dafür auch einen entsprechenden Support. Dieses Jahr bieten wir zB einen Workshop zu gruppendynamischen Prozessen an, um den ehemaligen Teilnehmerinnen_ entsprechende »Werkzeuge« für »Leitungsfunktionen« mitzugeben.
Welches Feedback bekommt ihr für eure Arbeit? Ihr habt letztes Jahr auch Preise erhalten.
Ulli Mayer: Mein ganz persönliches, schönstes Feedback ist es, den Camp-Abschlussabend miterleben zu dürfen, die jungen Musikerinnen_ auf der Bühne stehen zu sehen, ihnen zuzujubeln, mitzueuphorisieren… das ist nach dieser Woche eine ganz besondere und jedes Jahr einzigartige und bestärkende Erfahrung, die wir uns in den (Camp-)Alltag mitnehmen und noch lange davon zehren. Aber auch Feedback seitens der Eltern, Mitwirkenden oder Unterstützer_innen sind ein ganz wichtiger Teil.
Auf offizieller Anerkennungsebene haben wir uns im letzten Jahr gleich über zwei Auszeichnungen freuen dürfen: über die Prämie für den Outstanding Artist Award 2013 für Kinder- und Jugendkultur des bm:ukk sowie über den Anerkennungspreis für Volkskultur und Kulturinitiativen 2013 des Landes Niederösterreich! Beides, so hoffen wir, wirkt sich auch positiv auf die zukünftigen Fördergeber_innen aus.
Wie kann man selbst mitmachen?
Veronica Lion: Grundsätzlich sind wir immer auf der Suche nach interessierten und inspirierten Menschen, die sich an unseren Projekten beteiligen wollen. Angefangen von der kontinuierlichen Arbeit im Organisationsteam, als auch als Bandcoach_in, Workshopleiter_in, Techniker_in, helfende Hand während der Campwoche, etc. Wir arbeiten speziell darauf hin, mehr Diversität in unser Team hineinzubringen, damit wir so viele unterschiedliche Identitäten und Lebensentwürfe in die interne Struktur hineinfließen lassen können wie möglich.
Natürlich bedeutet das, sich mit unserem Grundverständnis an queerfeministischer Arbeit zur Erweiterung von Handlungsräumen für Mädchen_ einverstanden zu erklären.
Bei Interesse freuen wir uns über ein Mail an: info@pinknoise.ar.at
[1] Momentan sprechen wir all jene Menschen an, die sich als Mädchen_ bzw. Frauen_ verstehen. Damit sind alle Menschen gemeint, die sich als solche verstehen bzw. wahrnehmen (wollen). Der »_« kennzeichnet dabei die Konstruktion der Geschlechterkategorie, verdeutlicht aber auch das »Widersprüchliche und über die Zweigeschlechtlichkeit Hinausweisende«. Siehe Mart Busche und Ellen Wesemüller, »Mit Widersprüchen für neue Wirklichkeiten. Ein Manifest für Mädchen_arbeit«, in Feministische Mädchenarbeit weiterdenken. Zur Aktualität einer bildungspolitischen Praxis, hg. von Mart Busche, Laura Maikowski, Ines Pohlkamp und Ellen Wesemüller (Bielefeld: transcript, 2010), 316.