Es ist kalt geworden

Christian Diabl über die hiesige Debatte um die Mindestsicherung und den Umgang mit Armutsreisenden.

Die blauen Wahlerfolge haben das Klima in Oberösterreich verändert. Besonders deutlich zeigt sich das im Umgang mit zwei Personengruppen: Flüchtlingen und Armutsreisenden. So unterschiedlich beide auch sind, es lassen sich doch einige Parallelen finden. Zuerst verlieren sie ihre Legitimität, dann ihre Rechte.

Auch Landtagsabgeordnete müssen essen. Während eines langen Sitzungstages tun sie das meist im Steinernen Saal des Landhauses, wo ein ständiges Buffet für das leibliche Wohl sorgt. Hier kann man noch miteinander reden. So war das zumindest einmal, denn das Klima beim Landhausbuffet hat sich spürbar gewandelt. Es sei kälter geworden, erzählt eine junge Abgeordnete, konservativer, älter und männlicher. Nicht nur die Landesregierung kommt neuerdings ohne Frauen aus, auch unter den Abgeordneten ist ihr Anteil deutlich zurückgegangen. Vor allem junge Frauen haben ihr Mandat verloren, dafür sind einige stramm-rechte Männer nachgerückt und das nicht nur auf FPÖ-Tickets. Komplettiert wird die Tristesse durch eine darniederliegende SPÖ, frustrierte Grüne und einen angeschlagenen Landeshauptmann, der vor allem damit beschäftigt ist, sein Erbe zu sichern.

Populistische Politik auf dem Rücken der Schwächsten

Die letzten Wahlen haben die FPÖ endgültig zu einem starken Machtfaktor gemacht. War ihr Einfluss früher vor allem durch Druck auf die Regierenden spürbar, regiert sie heute im Land und in vielen Gemeinden mit, in Wels sogar als Nr. 1. Aus dem Durchschnittsbundesland Oberösterreich ist ein Vorreiter der Anbiederung an rechte Diskurse geworden und dieser neue »oberösterreichische Weg« manifestiert sich in einer Reihe von Maßnahmen auf dem Rücken der Schwächsten. Das reicht von der grotesken Diskussion um eine Deutschpflicht auf dem Schulhof bis zu massiven Angriffen auf die Grundwerte einer solidarischen Gesellschaft, wie sich besonders bei der Kürzung der Mindestsicherung und dem Umgang mit Armutsreisenden zeigt.

Vom Rettungsanker zur Hängematte

Die bedarfsorientierte Mindestsicherung wurde 2011 eingeführt und ist so etwas wie der letzte Rettungsanker für Menschen, die aus verschiedensten Gründen nicht in der Lage sind, ein ausreichendes Einkommen zu erzielen. Fünf Jahre und eine Landtagswahl später wird diese bescheidene Errungenschaft nur mehr einem Teil der Bedürftigen in vollem Umfang zugestanden. Aufgrund der hohen Flüchtlingszahlen –
so die Landesregierung – sollen Asyl- und subsidiär Schutzberechtigte künftig nur mehr 365 Euro plus einen an Auflagen gebundenen Integrationsbonus von 155 (also in Summe 520) statt wie bisher 914 Euro bekommen. So soll es am 16. Juni im Landtag beschlossen werden. Es ist müßig hier auszuführen, dass man von 520 Euro im Monat in Oberösterreich nicht leben kann.

Bemerkenswert ist, dass es ÖVP und FPÖ in kurzer Zeit geschafft haben, die Mindestsicherung zu diskreditieren und dieses Sicherheitsnetz in den Köpfen der Menschen in eine »soziale Hängematte« zu verwandeln. Mit der Lebensrealität der BezieherInnen hat das nichts zu tun, mit der von Flüchtlingen schon gar nicht. Das Missverständnis beginnt schon beim Anspruch, denn die Mindestsicherung ist kein Grundeinkommen und schon gar nicht bedingungslos. Sie ist an klare Bedingungen geknüpft: Vermögen wie Sparbücher oder ein Fahrzeug sind bis auf einen Freibetrag von 4.188,80 Euro zu liquidieren. Wer eine zumutbare Arbeit oder Qualifikationsmaßnahmen verweigert, hat mit Sanktionen und Leistungskürzungen zu rechnen. Soviel zur Hängematte. Vollends absurd wird die Neiddebatte, wenn man auf die Menschen hinter den Zahlen blickt. So geht ein Drittel der BezieherInnen ohnehin einer Arbeit nach, nur ist diese so schlecht bezahlt, dass sie im Durchschnitt 350 Euro Zuschuss benötigen, um auf die 914 Euro zu kommen. Ein Viertel ist zudem aus gesundheitlichen Gründen gar nicht voll erwerbsfähig. Vor allem von Armut betroffen sind Frauen und Alleinerziehende. Lediglich ein Viertel waren Ende Jänner Asyl- und subsidiär Schutzberechtigte. Insgesamt machen die Kosten für die Mindestsicherung nur 0,95% des Landesbudgets aus. Ein verkraftbarer Aufwand, angesichts der fatalen Folgen, die sich einstellen, wenn man einen Teil der Bevölkerung der Verelendung preisgibt. Auch das Argument der fehlenden Anreize zu arbeiten ist zynisch und falsch. Denn wer sich ständig Sorgen machen muss, wie er den Tag übersteht, hat keinen Kopf für Ausbildung und Arbeitssuche. Nichts spricht also für eine Kürzung, aber alles dagegen. Trotzdem ist das schwarz-blaue Oberösterreich zum Vorreiter geworden, andere Bundesländer wollen nachziehen und auch auf Bundesebene wird eine Reform diskutiert.

Betteln ist in Linz nicht erwünscht

Schauplatzwechsel nach Linz. Hier werkt keine schwarz-blaue Koalition, sondern eine rot-blaue und auch hier hat der freiheitliche Siegeszug sichtbare Spuren hinterlassen. Besonders deutlich wird das neue Klima im Umgang mit Armutsreisenden. Vor allem Roma nutzen die Reisefreiheit als EU-Bürger und betteln temporär in mitteleuropäischen Städten. Das hat Gründe: Viele von ihnen leben in Ghettos und Elendsquartieren am Rande der Gesellschaft. Sie werden systematisch diskriminiert, müssen mit einer kleinen Sozialhilfe auskommen und haben kaum Perspektiven auf ein besseres Leben. Manche betteln, weil sie sonst die Miete oder eine dringende Operation nicht zahlen können. Andere wollen heiraten. Egal welche Pläne man hat, Betteln ist oft der einzige Weg, zu ein bisschen Geld zu kommen. Deshalb kommen sie auch nach Linz.

Erwünscht sind sie hier nicht. Wie andere Bundesländer hat auch Oberösterreich viel getan, um Armutsreisende fernzuhalten und die Möglichkeiten, legal zu betteln, immer mehr eingeschränkt. Seit 2011 ist »aufdringliches«, »aggressives« und »organisiertes« Betteln sowie Betteln mit Kindern verboten. 2014 ist noch das »gewerbliche« Betteln dazugekommen. Eine eigene Datenbank erfasst seitdem alle bettelnden Menschen, die im Wiederholungsfall als gewerbsmäßig gelten und bestraft werden können. Gemeinden haben außerdem die Möglichkeit zeitlich und örtlich begrenzte – sogenannte sektorale – Bettelverbote zu erlassen. Parallel zu den Gesetzesverschärfungen hat sich ein Diskurs entwickelt, der von Unwissenheit und Vorurteilen, manchmal auch von regelrechter Hetze, geprägt ist. Als trauriger Höhepunkt brannten im Frühjahr dreimal Zeltlager von Armutsreisenden vollständig ab. Die Linzer Politik verurteilte zwar die Gewalt, Hilfe gab es trotzdem keine, ganz im Gegenteil: Neue Zeltlager werden nun unmittelbar nach der Entdeckung geräumt und die Menschen auf die Straße gesetzt. Zudem gilt seit 2. Mai in Teilen der Innenstadt ein sektorales Bettelverbot, das jegliche Form des Bettelns verbietet und zwar genau dort, wo es noch am ehesten ergiebig ist und damit Sinn macht. Es ist die letzte Schraube, die man noch drehen kann, ohne Betteln generell zu verbieten und damit gegen die Verfassung zu verstoßen, die stilles Betteln als freie Meinungsäußerung ausdrücklich erlaubt.

Alles eine Frage der Legitimität

Sowohl das Vorgehen gegen BettlerInnen, als auch die Kürzung der Mindestsicherung tragen ganz klar blaue Handschrift, ohne SPÖ und ÖVP wäre beides aber nicht umsetzbar. Die Strategie ist klar: Laut FPÖ-Klubobmann Herwig Mahr geht es darum, die Attraktivität Oberösterreichs als Zielland für Flüchtlinge zu senken und genauso argumentiert der Linzer Bürgermeister Klaus Luger, der die Stadt weniger attraktiv für BettlerInnen machen will. Flüchtlinge auf Wasser und Brot zu setzen oder BettlerInnen das Betteln zu verbieten, ist eigentlich undenkbar in einer aufgeklärten Gesellschaft. Abgesehen vom harten Kern der blauen Hassposter, sind solche Maßnahmen nur dann zu vermitteln, wenn es gelingt, den Betroffenen zuvor jegliche Legitimität abzusprechen und das nachhaltig in der Bevölkerung zu verankern. Armut und Not, ja sogar Helfen an sich, kann so in Frage gestellt und diffamiert werden. Bei den Flüchtlingen passiert das, in dem man sie in »Echte« und »Unechte« unterteilt. So entsteht das Bild des mit seinem Leben unzufriedenen Wirtschaftsflüchtlings, der die Gelegenheit nutzt, um sich bei uns ein schönes Leben in der sozialen Hängematte zu machen. Wer einer Kürzung der Mindestsicherung das Wort redet, transportiert dieses Bild gewollt oder ungewollt mit. Ähnlich ist es bei den Armutsreisenden, nur absoluter. Sie gelten generell entweder als arbeitsscheue »Berufsbettler« und damit als Betrüger oder als ausgebeutete Opfer, denen man am besten hilft, indem man nichts gibt. Organisierung wird mit Kriminalität gleichgesetzt, Familie mit Mafia, Armut mit Faulheit. Der Begriff »Bettelbande« ist fester Bestandteil des Diskurses geworden.
Wie bei den Flüchtlingen hat auch bei den Armutsreisenden die Realität wenig bis gar nichts mit dem Bild zu tun, aber es fragt niemand nach, und auch das hat einen Grund. Wenn sowohl Flüchtlinge als auch BettlerInnen gar nicht »echt« sind, dann besteht auch keine Verpflichtung zu helfen, weder moralisch noch rechtlich. Die Delegitimierung der Betroffenen ist bequem, befreiend und rechtfertigt den beruhigenden Zustand, wonach man sich selbst weiterhin der Nächste sein kann. Und genau darum funktioniert das Ganze. Wie tief die Ressentiments sitzen, zeigte sich in den ersten Wochen der Willkommenskultur am Linzer Bahnhof, als Flüchtlinge und Armutsreisende erstmals aufeinander trafen. Dass sich auch Armutsreisende bei den vielen Hilfsgütern bedient haben, ist nicht bei allen »Refugees welcome«-AktivistInnen auf Verständnis gestoßen. Kriegsflüchtlingen wolle man helfen, organisierten BettlerInnen aber nicht.

Trotz der neuen Kälte in Oberösterreich werden weder die Armutsreisenden in die Hoffnungslosigkeit- und schon gar nicht die Flüchtlinge in den Bombenhagel zurückkehren. Die Kürzung der Mindestsicherung wird nur eines bewirken: Zu den Armutsreisenden werden sich schon bald viele »neue« BettlerInnen hinzugesellen, nämlich jene Flüchtlinge, die es nicht schaffen von 520 Euro im Monat zu leben. Und es werden viele sein.

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»Bettelverbot durchgesetzt« – vom Mob exekutiert (Foto: Bettellobby)

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