Gitarrengröße, Not-So-Confidential
Sich als Fan zu identifizieren, bedeutet in popkulturellen Zusammenhängen oft, sich zur zweiten Liga zu bekennen. Fans, das sind die, die zuhören, bewundern, und unten vor der Bühne im verschütteten Bier1 und in der Schlange zum Merch anstehen müssen; die Werk und Werkschaffende fetischisieren und interpretieren, ohne ihnen jemals wirklich nah zu kommen; die sich in eine Traumwelt hineintheatern, in der kollektive Wahnvorstellungen wie Mayonnaise über die spitzzackige Erbärmlichkeit der eigenen, in der Glitzerwelt der kleinen und großen Musiköffentlichkeit letztendlich unerheblichen Existenz gepatzt werden. Das Leben und Wirken der Starpersönlichkeit scheint diesem demutsvollen Dasein diametral entgegengesetzt. Stars sind nicht nur immer ganz oben (Wertigkeit) und ganz mittendrin (Unmittelbarkeit) anzutreffen, sondern sind darüber hinaus vor allem mit der Macht der Schöpfung ausgestattet: aus ihrem Inneren, aus ihrem Selbst, aus ihrem Talent und Genie perlen jene Ästhetiken und Inhalte, die das Publikum erst in den Wahnsinn treiben. So zumindest die übliche Lesart der musikalischen Arbeitsteilung. Dass diese Version auf äußerst heimtückische Weise vergeschlechtlicht ist, liegt auf der Hand. Schöpfung und Genie, genauso wie der unmittelbare Zugang zu Action, Öffentlichkeit, und dem Bewusstsein, auch außerhalb der eigenen, privaten Gefühlswelt was Bedeutendes zu sagen zu haben (und dabei nicht als »hysterisch« oder »emotional« gelabelt zu werden), sind spätestens seit der berühmten »Polarisierung der Geschlechtscharaktere« (immer noch topaktuell: Karin Hausen 1976) in der bürgerlichen Moderne ausgesprochen männliche Privilegien. In Übersetzung: Es gilt die Gleichung Fan = Mädchen, Star = Mann.
Umso wichtiger war es in Riot Grrrl Kontexten der 1990er Jahre, die Dichotomie zwischen Fantum und Startum zu sprengen. Die Idee, dass es nicht unbedingt abgehobene Berühmtheiten braucht, um aufregende Musikbewegungen loszutreten, war aus diversen vorausgegangenen und zeitgenössichen Punk-/Indie-/Hardcorezusammenhängen hinlänglich bekannt. Neu war allerdings der Fokus auf die Aufwertung der vermeintlich passiven, weichen, uninnovativen, abkünftigen, in der Masse verschwindenden Fanposition. Wie historische Publikationen wie Annette Baldaufs und Katharina Weingartners Lips. Tits. Hits. Power? (1998) zeigen, ist es genau die Betonung des sozialen Moments, das Fan-Sein produktiv und bedeutend macht: als Fans verbinden Riot Grrrls ihr Streben nach Selbstverwirklichung mit einem ehrlichen Interesse an jenen ethischen und politischen Fragen, die sich im gemeinsamen, selbstverwalteten Arbeiten an Kultur in den sich um Bands und Venues bildenden Gruppen zwangsläufig stellen. Als Fans produzieren musikmachende Riot Grrrls bewusst auf Augenhöhe und als Teil des Kollektivs, nicht aus der Vogelperspektive des sich über das mindere, uninspiriertere Fußvolk erhebenden Genies. Als Fans können Riot Grrrl Musiker_innen andere Bands hingebungsvoll unterstützen, ohne dabei ihren eigenen Status als Produzierende zu untergraben. Oder so zumindest die übliche Legende über die Revolution-Grrrl-Style-Now!-90er.
Carrie Brownstein, ihres Zeichens langgediente gerade-noch-nicht-post-Riot-Grrrl Gitarrenikone (Excuse 17! Sleater-Kinney! Wild Flag!), wählt genau diesen Einstieg in ihre – zugegebenermaßen ziemlich früh (sie wird 42) auf den derzeit boomenden Markt gebombte – Autobiografie. Brownstein ortet ihren Einstieg in die kulturelle Produktion in der frühpubertären Aufname von Fan-Arbeit: im genauen Beobachten der Bühnenmoves von Kate Pierson von den B-52s, in der sorgfältigen Planung des perfekten Outfits für ein Madonna-Konzert, im nachmittagelangen Posieren (und Lipsynchen) zu Van-Halen-Nummern vor dem Spiegel im Kinderzimmer. Sie beschreibt diese Arbeit als ein Aufspüren der tausend vielversprechenden Potentialitäten, die so dicht unter der Oberfläche von Mainstream-Acts der 1980er Jahre zu schlummern schienen: was wird der Zuhörerin hier geboten, und wie kann sie es für sich selbst verwerten – wie kann sie selbst es bewohnen, auslegen, verdrehen, verkörpern, wie kann sie ihre Existenz damit transformieren? Die Schau-Genau-Fanarbeit setzt Brownstein nach der Entdeckung von lokalen Punk- und Rockacts (Beat Happening, Huggy Bear, Team Dresch) in ihren späten Teenagerjahren fort. Aufgrund der größeren Nähe zu den Performenden ist hier noch mehr zu holen: Der jungen Gitarristin erschließen sich durch Beobachtung am lebenden Objekt zahlreiche Möglichkeiten der Handhabung von Instrumenten, Effektboxen, Setlisten, und Mixern.
Mit ihrer Darlegung der Aneignung von Skills als beinahe osmotischem Prozess – Volumen aufsaugen, weiterarbeiten, und zur tragenden Grundlage des eigenen Systems machen – konterkariert Brownstein die ärgerliche Konzeption von Rockmusik als Geniegnade. Hier kommt nix aus einem himmlischen Äther heraus in ein auserwähltes Subjekt hineingefahren. Musik schaffen können ist hier eine Frage des Lernens, Abschauens und Ausprobierens; der Sozialisation im besten Sinn: es ist ein Produkt von Erfahrungen, die im Sozialen gemacht werden, im direkten und engen Austausch mit anderen Akteur_innen. Brownstein macht deutlich, dass diese Vorgehensweise keine derivative ist, für die man sich schämen müsste, sondern beschreibt vielmehr das viszerale Vergüngen, das sich einstellt, wenn bereits bestehende Musik mit dem eigenen Körper nachgebaut wird – und liefert damit ein anschauliches Praxisbeispiel für jene Performancetheorie, die Judith Butler Ende der 1990er etwa zeitgleich in die feministische Akademia speist.
Hunger Makes Me A Modern Girl ist dennoch kein Riot Grrrl Manifesto2. Brownstein versteht sich zwar sehr wohl als Nutznießerin und Erbin jener ersten Generation von amerikanischen Punkbands, die Sexismus in der eigenen Szene überhaupt erst als Thema aufbrachten, und bis dato nichtextistente eigene Räume erkämpfen mussten. Als äußerst ungeduldige (ist dies der Hunger aus dem Titel?) Akteurin lässt sie allerdings auch erkennen, wie wenig schnell genug ihr die Durchsetzung dieser Veränderungen in ihrem Umfeld geht. Anstatt die eigene Differenz plakativ-strategisch als Waffe einzusetzen (wie es im frühen Riot Grrrl durchaus der Fall war), sprechen Brownsteins Memoiren eher von einer massiven Frustration über die verheerende Toxizität, die dem Label »Frau« in der kommerziellen Rockmusik bis weit in die 2000er immer noch anhaftet. Über Strecken liest sich Sleater-Kinneys Arbeitsalltag wie ein Best Of des »Women in Rock«-Bullshitbingo: Es finden sich z.B. ein unautorisiertes Outing von Brownstein und Bandkollegin Corine Tucker als Lovers durch das Magazin Spin im Jahr 1996; die permanente Exotisierung der eigenen Fähigkeit am Instrument; ‚Show your tits!’-Rufe auf Festivals; der Klassiker: die Interviewfrage danach, wie es wohl wäre, ‚als Frau in einer Band zu spielen’; und schließlich ein Support Slot für John Spencer Blues Explosion, bei dem (es klingt fast wie eine Urban Legend, und könnte sogar fast lustig sein, wenn es nicht wirklich passiert wäre) die Band aufgrund ihres Geschlechts von den Securities nicht ins eigene Backstage gelassen wurde (Logik: Frauen hinter der Bühne müssen Groupies sein). Brownstein berichtet distanziert, und findet das Ganze offensichtlich einfach nur deppert.
Generell hält der in Hunger angeschlagene Ton diese Lebensgeschichte in einiger Entfernung. Anders als andere rezente Musikerinnen-Memoiren (wie z.B. das in der Versorgerin #108 rezensierte Clothes Music Boys von Viv Albertine) wirkt Brownsteins Buch oft zugeknöpft, hochgradig kontrolliert, und von Auslassungen durchlöchert. Hier schüttet niemand ihr Herz aus; und wesentliche Teile des Lebens der Autorin, man ahnt es, spielen sich ganz woanders ab (Brownsteins Erfolgsserie Portlandia z.B. findet in genau einem Satz Erwähnung). Angesichts der weitverbreiteten Erwartung, dass Frauen nur Kunst machen könnten, indem sie ihr Privates vorbehaltlos nach Außen stülpen würden, eigentlich kein schlechter Move.
Carrie Brownstein (2015): Hunger Makes Me A Modern Girl. A Memoir. London: Virago Press.