Mad Max, Fury Road
»Der Mensch unserer Gesellschaft ist ideologisch obdachlos.« (Siegfried Kracauer, Theorie des Films: 375)
Die meisten Rezensionen zu »Mad Max – Fury Road« überschlugen sich in manischer Begeisterung über den filmtechnologischen Fortschritt, die feministischen Inhalte und, obwohl Miller seinen Film kaum dystopischer hätte zeichnen können, sieht das Filmportal »Timeout« in den Ruinen einer von Sand und Wind und Menschen mit Rumpfbewusstsein zersägten Welt sogar das Morgengrauen einer neuen Zivilisation heraufziehen. Diese Rezeption wird selbst zum Problem, das der Film kritisiert: Die Unfähigkeit des Menschen, jenen schönen Morgen zu erreichen, dessen Mittag nicht blutig ist, wie Hegel die letzte Häutung des Geistes zu einem wirklich freien besingt.
Mad Max hat das vermeintliche »Ende der Geschichte« – den Untergang der UDSSR – überdauert. 1980, inmitten des Kalten Krieges geboren, entlarvt seine späte Wiederkehr die Lüge von dessen Ende. Mad Max, das bedeutete stets Gesellschaft nach dem Atomkrieg denken: als postmoderne Anhäufung von fragmentierten Kulturgütern, als Environment aus Trümmern, in dem sich nicht sterben und nicht leben lässt. Wie Kinder von Atompilzen durchtanzen monströse Tornados die Wüste, wo es regnet, zerstört giftiger Schlamm noch den letzten Baum, Menschen auf Stelzen wühlen nach letztem essbarem Leben. Nach dem Tod der Natur werden die Menschen sich selbst endgültig zum Naturzwang. Die Reste von Zivilisation sind deren Gegenteil, beschädigt, krank, durstig, unfrei. Gesellschaft geht in Rackets über, die um die letzten Rohstoffe kämpfen. In »Mad Max – Beyond Thunder Dome« wurde die Abhängigkeit vom Öl durch die Nutzung von Schweinegülle gebrochen. Das gesellschaftliche Prinzip aber blieben Sklaverei und das Opfer, als Spektakel des »Thunder Dome« inszeniert: »Zwei gehen rein, einer kommt raus«. In »Fury Road« wird der Film selbst zum »Thunder Dome«, zwei fahren aus, eine kommt heim, an den Gittern steht das Kinopublikum.
Der Tod Gottes
»In the vacuum left by the disappearance of any principle, the hellish spectacle of swinging post-humans and steampunked vehicles fill our gaze with awe and an uncomfortable feeling of familiarity.« (Celluloid Liberation Front)
Miller dokumentiert den Tod Gottes. Seine Entzauberung der Welt geschieht erstaunlicherweise nicht durch das rationale Anerkennen der Realität aus Durst und Rost, die jeder Hoffnung beraubt und eher in den Wahnsinn als in die Vernunft treibt. Sondern sie vollzieht sich durch die Verwandlung von Anbetung in wechselseitige Liebe. Nux wird von der rothaarigen Schönheit bekehrt, die sich zu ihm herab begibt, um ihn aus seinem religiösen Elend zu erlösen. Gleichwohl ist sie es, die dann den vormals verzweifelt gesuchten Märtyrertod bringt. Das ist implizit eine Kritik des bürgerlichen Egoismus, der als vollends aufgeklärter einen Anti-Märtyrerkult hervorgebracht hat. Wo man weder an »Valhalla« noch an die Liebe mehr glauben kann, wo Aufklärung ihre eigenen Werte als Mythos abgeschafft hat, gilt als wahnsinnig, wer überhaupt noch für die Freiheit Anderer sein Leben riskiert. Kein Unterschied wird mehr gezogen zwischen denen, die am D-Day in einer Mischung aus Erbrochenem, Blut und Wasser ertranken, denen, die in kurdischen Städten gegen den IS ihr Leben einsetzen und den djihadistischen Selbstmordattentätern selbst. Äquidistante Kälte richtet sich als subjektive Rationalität der atomisierten Individuen auf gesellschaftlicher Ebene irrational gegen deren objektiv rationale Interessen. Miller hingegen differenziert den »beautiful death« des »warboy« Nux in schalen Fanatismus und Liebe aus.
Zoologie der Dinge – Hybriden und Masken
»Mad Max – Fury Road« zieht seinen Reiz nicht aus dem spartanischen Plot, sondern aus grotesk überfrachteten Bildern, seiner Symbolisierungsgewalt. Kunst und Krieg sind selten trennbar. Die Kubisten übten ihr Handwerk der Auflösung der Form an der Entwicklung von Tarnmustern für Militärfahrzeuge. George Grosz zeichnete die Vielfalt der Verstümmelungsmöglichkeiten, Wesen, die den Knochenmühlen mit absurden Prothesen und Masken entstiegen. Auch Millers überaus kreative Künstlerkrieger entspringen einer Realität der Toyota-Kriege, die im Film nur untertrieben werden kann. In Sierra Leone und Liberia fanden Kindersoldaten, Jugendkultur, Drogen und blutige Rituale zu drastischsten Stilblüten des Grauens zusammen.
Miller belebte alle Requisiten in »Fury Road« detailgetreu mit Geschichte. Der metaphysische Rest von Leben, der den Dingen noch als Waren anhaftet, verwandelt sie hier in mythologische Fabelwesen. Das generiert eine animistische Welt aus Hybriden, in der Fahrzeuge mit ihren Menschen und diese mit ihren Masken und Prothesen verwachsen.
Wie auch die modernen bionischen Militärfahrzeuge alle nach Tieren benannt werden, kreiert Miller eine Zoologie, in deren Adern Öl zirkuliert: Motorradhyänen, Igel aus Rost, Kriegselefanten von Monstertrucks. Eines der gelungensten Bilder Millers ist die rollende Propagandamaschine. Sie liefert den Sound zum Krieg, der Gitarrensklave schwingt vor einer Mauer aus Lautsprechern zum War-Metal an seinen Gummiseilen herum in jenem Doppelspiel aus Freiheit und Disziplinierung, in dem Kulturindustrie die Geschmäcker ihrer Kunden elastisch, aber um so unerbittlicher an sich bindet. Ewig grinsen die Masken aus ihren Autos und ewig stampft die Metal-Maschine. Für den fahrenden Altar und Thron »Giga-Horse« wurden zwei Cadillacs übereinander geschweißt, weil, wie der Kommentar der Regie verrät, ein Mann, der schon alles hat, sich nur noch dadurch beweisen kann, dass er zwei von allem hat. Hier fährt der leibhaftige amerikanische Traum der 60er herum, als Wohlstand nicht den Wunsch weckte, endlich Philosophie zu studieren, sondern erst einen Fernseher, dann zwei, erst ein Auto und dann zwei und schließlich einen Atombunker im Garten zu haben.
Merkwürdigster und mächtigster der Hybriden: das unverwüstliche, in samtigem Schwarz gehaltene »War-Rig«. Sein Bauch versteckt Menschen, speichert Öl, aus einem Hahn quillt die vom Kinopublikum natürlich mit Ekel kommentierte Muttermilch. Zu erkennen, dass dieser schnaubende Drache wie Jim Knopfs Lokomotive Emma mütterliche Attribute trage, sagt noch nichts. Die Zerstörung des »War-Rig« symbolisiert die gewaltsame Ablösung von der überflüssig gewordenen Mutter, sie erlaubt an die Stelle des gleichsam zerstörten Vaters zu treten. Auf dem »Gigahorse« fährt Furiosa, die Amputierte, Kastrierte, Beschädigte, schließlich zur Hebebühne, die sie zum Thron emporhebt. Zerstörung, Internalisierung und Autonomie sind eins. Das aber ist ein recht dürrer Plot, der der Ikonographie nicht gerecht wird. Symbolisierung geht immer über das Symbolisierte hinaus und würde Kunst etwas sagen, was sich anders sagen ließe, wäre sie keine Kunst.
Furioser Feminismus?
»One Man, one Bullett.« (Alte Frau, Fury Road)
Der Feminismus, der »Fury Road« unterstellt wird, ist für die Mad-Max-Reihe weder neu noch ungebrochen. Miller hatte schon eine Öl-Oase von selbstbewussten Frauen mitregieren lassen, der Song »We don‘t need another Hero« der Barbarenkönigin »Aunty Entity« (Tina Turner) trug spöttisch den dritten Teil. Ob Frauen, Sklaven, Öl, Schweinedung oder Wasser, stets ent-brennt um die Rohstoffe Krieg, unabhängig davon, ob eine Frau oder ein Mann, ob Polizei, Christen, Punks, Kinder, Gottkönige oder Barbarenköni-ginnen gerade die Geschichte verwalten. In die doch eher hilflose und suizidale »Emanzipation« der ewigen Flucht – die erst mit dem Eingreifen Mad Max’ gewendet wird – mischt sich Ökofeminismus, den Miller womöglich intendiert. Männer hätten die Welt zerstört, weise Frauen hingegen retten in ihren Täschchen Heilkräutchen, mit ihrer eher hilflosen Parole »one man, one bullett« ist Hegels schöner Morgen gewiss nicht gemeint. An der müt-terlich sanften »Imperatorin Furiosa« zensiert Miller, was sie anderen antun musste, um in ihre Position zu gelangen. Mad Max als sprichwörtlich atomisiertes und über die Filmteile hinweg immer stärker beschädigtes Indivi-duum bleibt unversöhnt und desintegriert. Er flieht vorsorglich vor der heraufziehenden neuen Herrschaft der Frauen, die er mit einzurichten half.
Den besten Kommentar dazu lieferte die Cellulloid Liberation Front: »If a matriarchal society will be, it will be one resting on the same structure of the former patriarchal one. The Charlize Theron character, widely praised as some sort of feminist heroine, is nothing but the phallic and monodimensional pretender to the throne, a sort of Hilary Clinton on wheels. [...] There are no popular causes to fight for, no common interests to be defended; it‘s a bloodthirsty race against enlightenment and order of any kind.«
Das Fundament dieses Filmes ist nicht »Action«, sondern Eintönigkeit, die in Trauer über das ewig verlorene Glücksspiel der Menschen aufgeht.
Mad Max räsoniert an einer Stelle Futter für filmoptimistische Psychoana-lyse: »You know, hope is a mistake. If you can’t fix, what’s broken, you’ll go insane.« Miller ist Realist genug, keine »desaster therapy« anzubieten, an dessen Ende zum »tough baby« erkaltete Helden, die wiederhergestellte Kleinfamilie oder der durch Schocks von seinen unpraktischen Neurosen Geheilte triumphieren. Könnte man die zerbrochene Welt reparieren, wäre Hoffnung kein Fehler. Man kann es nicht und daher bleibt Mad Max der an seiner Geschichte wahnsinnig Gewordene.
Kritische Theorie hat für dieses Problem, wie sich nach dem Weltuntergang und in der ewigen Wiederholung des Immergleichen noch leben lasse, einen eigenen Ausweg gezeigt: Das Trotzdem-Machen aus einer über die eigene Schwäche aufgeklärten Hoffnung heraus. In diesem ewigen Rennen für die Aufklärung bleibt sich die Maske abzufeilen der erste, der Angriff auf den Tyrannen der zweite und der Rückzug von der jubelnden Masse nach dem gelungenen Umsturz der dritte Akt, wenn Herrschaft wieder nur durch Herrschaft ersetzt wird.
Angewandter Kubismus: Kriegsschiff in »Dazzle camouflage« (E. Wadsworth) (Foto: cc)