So absurd wie zynisch
In der ersten Augustwoche ging »An jeden Haushalt« in Wien eine Postwurfsendung, versehen mit dem Logo der Österreichischen Volkspartei: »Aufgrund der Vorkommnisse der letzten Wochen im Bezug auf die Flüchtlinge im Servitenkloster sehen wir uns veranlasst, unsere Position als Partei zu kommunizieren.« Darauf folgt eine Chronologie der Abschiebungs-Ereignisse, eine Dokumentation der Rückbesinnung der Partei auf ihrer Werte, der Neueinschätzung der Lage im Abschiebeland Pakistan und der notwendige Schluss: Kein Aufwand werde gescheut, um die abgeschobenen Männer zurückzuholen, die diffamierten Flüchtlinge im Kloster werden rehabilitiert und Innenministerin Mikl-Leitner ihres Amtes enthoben.
Leider – so muss zumindest angenommen werden – handelt es sich nicht um den fälligen Umschwung der ÖVP auf eine christdemokratische Linie, sondern nur um ein Stück gelungener Postwurfguerilla.
Ende Juli wurden nach achtmonatigen Protesten acht Männer vom Flughafen Wien Schwechat aus nach Pakistan und Ungarn abgeschoben. Es waren acht Männer, die seit November letzten Jahres mit Dutzenden anderen einen Kampf führten, wie ihn dieses schläfrige Land schon lange vermisst hat: den Kampf um die eigenen Rechte, mit Einsatz der eigenen Ressourcen, mit viel medialer Aufmerksamkeit, mit produktivem und unproduktivem Dissens und mit Erfahrungen, die einem Großteil der staunenden Bevölkerung und hundert Prozent der sich duckenden Regierungsangehörigen abgeht. Es ist ein Kampf (wobei das englische Wort »struggle« es besser trifft: Denn das bedeutet nicht nur Angriff und Gegenangriff, sondern »sich quälen«, »ringen«, »sich abmühen«) um das eigentlich ganz profane Recht auf ein selbstbestimmtes Leben, das durch vieles, und allem voran durch das österreichische »Fremdenrecht« so unerreichbar wird, wie es sich jene, die per Geburtsurkunde schon privilegiert sind, einen gesicherten Aufenthalt auf der halben Welt zu haben, nicht vorstellen wollen. Und dieser Kampf heißt: Wir haben genug von diesem Dreckslager Traiskirchen, wir haben genug von unverantwortlichen, unprofessionell geführten Asylverfahren, von der Einschränkung der Bewegungsfreiheit,
von der Verhinderung aller Annäherungsversuche an ein Land, das vielleicht zum Leben taugt. Und weil die Institutionen, in deren Verantwortung wir uns begeben müssen, nicht fähig oder Willens sind, uns zu unterstützen, wenden wir uns eben selbst an die Öffentlichkeit.
Solcherart motiviert begann, was als »Refugeebewegung« und als »Votivkirchenbesetzung« in die Geschichte der zweiten Republik eingeht.
Ende Juli wurden also acht dieser »Struggler« ausgeschaltet. Nachdem kein humanitäres Angebot der »Caritas« (die es sich seit Betreten der Votivkirche zum Hauptamt gemacht hat, die Flüchtlinge teils zu behindern, teils zu unterstützen), kein Ducken und keine Drohgebärde von Seiten der amtierenden Politik die Protestierenden zum Schweigen bringen konnte, wurde zum einfachsten Instrumentarium gegriffen, wenn der Aufenthalt des Gegenübers nicht gesichert ist: die Abschiebung. Es muss, so profan das sein mag, festgehalten werden, dass sich mehr als vierzig Leute nicht nur seit Monaten und öffentlich gegen ihre Abschiebung wehren, sondern dass sie trotz ihrer drohenden Abschiebung aufstehen und ihren Mund aufmachen. Ein Beitrag zu den hierzulande sehr gern geführten Debatten über Zivilcourage: Wie viel traue ich mich in Relation zu meiner ökonomischen, sozialen, politisch prekarisierten Position? Man könnte sich, anstatt sich aufzupudeln, direkt was abschauen.
Über die acht Leute, von denen hier die Rede ist, wurde, begründet mit ihrem negativen Asylbescheid, »gelinderes Mittel« verhängt. Das heißt, man wird nicht in Schubhaft genommen, sondern muss sich täglich bei der Polizei melden. Als wäre es »gelinde« oder »noch gelinder«, sich jeden Tag den Behörden stellen zu müssen in der begründeten Angst, nicht mehr nach Hause zu kommen. Das ist, gelinde gesagt, gewalttätig.
Ein Aktivist wurde nach Ungarn abgeschoben, weil die EU-Richtlinie »Dublin II« es so will: Das EU-Land, in dem eine volljährige Person aus einem sogenannten »Drittstaat« (also einem Nicht-EU-Mitgliedsstaat) zuerst eingereist ist, ist für das Asylverfahren verantwortlich. Die Idee von »Dublin II« ist es, offiziell, zu verhindern, dass mehr als ein Asylverfahren gleichzeitig angestrengt wird. Das ist insofern Unsinn, weil ein Asylverfahren in fast jedem EU-Land an ständige Anwesenheit gebunden ist, was es also quasi unmöglich macht, in Griechenland und Österreich, in Ungarn und Schweden oder auch nur (angesichts des immensen Aufgebots an Grenzkontrollen innerhalb der Schengenzone) in Österreich und Deutschland gleichzeitig Verfahren laufen zu haben. Der Sinn von »Dublin II« ist ganz klar, die Verantwortung für als unliebsam erklärte Ankommende aus den Zentren Europas an den Rand zu verschieben. Es gibt nämlich sehr wohl eine rechtliche Möglichkeit, »Dublin II« zu umgehen: Jeder EU-Staat kann durch den sogenannten »Selbsteintritt« ein Asylverfahren annehmen, egal auf welcher Route die Asylsuchenden es über die Grenzen geschafft hat. Das hätte Österreich im Fall des jungen Mannes tun können, der nun im nordostungarischen Anhaltelager in Nyírbátor inhaftiert ist, wo aufgrund der unerträglichen Bedingungen im August ein Hungerstreik initiiert wurde. Von »Inhaftierung« kann deswegen gesprochen werden, weil die (im Moment: rechte) ungarische Regierung das Asylgesetz mit Anfang Juli 2013 dahingehend verschärft hat, dass Asylsuchende bis zu sechs Monaten gesetzeskonform der Freiheit beraubt werden dürfen.
Die anderen sieben wurden nach Pakistan abgeschoben. Ein Land, in dem es keiner Reisewarnung des Außenministeriums bedarf, sondern nur ein bisschen tagesspolitischen Updates, um zu wissen, dass dort kein freies, sicheres Leben möglich ist. Nicht nach »innerstaatlicher« Flucht, wie die Innenministerin so gerne betont, und nicht »mit Schutz der Behörden«, weil es den nicht gibt. Nicht einmal geben könnte, wenn der pakistanische Polizeiapparat darauf ausgerichtet wäre – denn wie soll ein halbes Land unter Personenschutz gestellt werden? Die Idee ist so absurd wie zynisch.
Von den nach Pakistan Abgeschobenen fehlt beinahe jede Spur. Die österreichischen Behörden geben an, die Häftlinge am Flughafen von Islamabad an pakistanische Behörden übergeben zu haben. Das weitere Schicksal ist nicht mehr in Österreichs Hand, so sinngemäß Mikl-Leitner. Das war es aber bis vor kurzem. Und im besten Wissen über die Lebensgefährdung der den österreichischen Behörden Anvertrauten haben diese Behörden beschlossen, keine Unterstützung zu gewähren, keinen Schutz vor Verfolgung, keine Chance. Sondern Wahlkampf. Oder einfach rechte Tagespolitik (wozu es keine Regierung Orbán braucht. Es genügt Faymann).
Die Geschichte der Refugeebewegung ist auch eine Geschichte der medialen Konjunkturen. Die durch Mainstreamberichterstattung produzierte Stimmung erfuhr ihre Höhen und Tiefen. Die Refugeeaktivist_innen wechselten von Sympathieträger_innen zu Störenfrieden, von Ausnützer_innen der christlichen Nächstenliebe zu interreligiösen Botschafter_innen, von »Asylbetrügern« zu Alltagsheld_innen – und retour. Dass viele Medien und viele Journalist_innen sich kein eigenes Bild der Lage machen, dass sie kein originäres, berufliches Interesse daran entwickeln, quer zu den Verhältnissen zu denken (und sei es nur, um ihrem Publikum ein einziges mal was Spannendes, was zum Nachdenken, ein Aha verkaufen zu können), dass sie ihre Rolle nur in der Reproduktion von Presseaussendungen und APA-Meldungen sehen, das kann einer schon Übelkeit verursachen – aber es ist nicht neu, und die Übelkeit nützt sich ab. Eine neue Qualität erfuhr diese Art des recherchefreien Journalismus in dem Moment, als der Peek der politischen Intervention erreicht war: Es wurde ja nicht »nur« abgeschoben. Das hätte womöglich zu Protest geführt, denn »die Bevölkerung« ist längst nicht so bescheuert, wie Presse und Politik sie gern darstellen und wie man annehmen müsste, hätte man als Informationsquelle über die geistige Lage der Nation nur die Postings in den Onlineportalen der Tageszeitungen. Es gibt genügend Sympathien für die durchhaltenden Flüchtlinge. Nicht zuletzt von Meinungsbildnern, wie Kardinal Schönborn einer ist, der aus dem fernen Brasilien, in dem er weilte, während in seiner Heimat eilig abgeschoben wurde, verlautbaren ließ: Schweinerei (auch das nur sinngemäß widergegeben) – und der Verdacht liegt nahe, die Behörden hätten auf seine Abwesenheit gewartet, um aktiv zu werden.
Kurzum, die Sympathien, die da unkontrolliert kursierten, mussten zum Zweifeln gebracht werden. Trick siebzehn: Kriminalisiere deine Gegner_innen. Es wurde also ein zufällig gleichzeitig sich ergebender Schleppereiverdacht gegen Flüchtlinge im Servitenkloster in die Welt gesetzt. Und die Yellow Press stand Habtacht: Sie stellte sich brav in den Dienst der Desinformation. Sie kurbelte die Dreckschleuder an, die die Integrität von Menschen ohne Wimpernzucken verletzt. Es ist der Zweifel an den Herrschenden, der die Pressefreiheit erst zur Freiheit macht, im Journalismus kein flächendeckendes Qualitätskriterium.
Was aus den Schleppereiprozessen gegen drei der Refugees wirklich wird, wird sich zeigen. Die Staatsanwaltschaft gibt sich in ihrem Verdacht verhalten und dreckschleuderkritisch. Die Erinnerung an die politischen Zermürbungsversuche qua Kriminalisierung im letzten Jahrzehnt ist noch frisch: Operation Spring, Tierrechtler_innen, AMS4 sind die Stichworte, die fallen. Wer im Wahlkampf profitiert, ist letztlich nicht so wichtig: Die Asylgesetzgebung der SPÖ ist nicht weniger rassistisch als die Phantasien der FPÖ.
Das Medieninteresse an Pakistan steigt hingegen. Regionale Geschichte wird untersucht, Biographien werden ernstgenommen. Auch das haben die Refugees geschafft: Landeskunde zu lehren. »Die Geschichte ist eine Geschichte der Kämpfe«, dieser bewegungskitschige Spruch bewahrheitet sich wieder einmal. Es bleibt also weiterhin Platz für den nötigen Zweckoptimismus.
Finanzielle Unterstützung der anwaltlichen Kosten für die Refugees: www.respekt.net/projekte-unterstuetzen/details/projekt/588