Diktatorpuppe zerstört, Schaden gering
Sie schreiben im Vorwort über einen Vorfall in den 30er Jahren, wo Schlurfs ein Hitlerjugendlokal verwüsteten. In den Aufzeichnungen der NS-Machthaber hieß es dann: »Führerportrait zerstört, Schaden gering«. Weiters berichten Sie von einem Vorfall aus dem Jahre 2008:
Im Berliner Wachsfigurenkabinett wurde einer Hitler-Figur wenige Minuten nach der Eröffnung von einem Besucher der Kopf abgerissen – mit den Worten »Nie wieder Krieg«. Die Figur wurde später repariert und unter Glas gestellt. Diese beinahe anekdotische Klammer hat Ihrem Buch den Titel gegeben und erzählt bereits sehr viel, nicht?
Lisa Bolyos, Katharina Morawek: Den Bezugspunkt Schlurfs haben wir gewählt, um von vornherein klar zu machen, was wir auch im Vorwort schreiben: dass eine Auseinandersetzung mit dem Postnazismus immer auch eine mit dem Nazismus sein muss; und dass ein heutiges Verständnis von kritischer Geschichtspolitik bis hin zu aktivistischer Antifa anknüpfen muss an der historischen Notwendigkeit, sich dem realen Nazismus zu stellen – und nicht mit ihr verwechselt werden darf. Aber natürlich hat uns auch die Ironie darin überzeugt. Das Wachshitlerattentat hingegen ist für uns ein gutes Beispiel, wie Postnazimus konfrontiert werden kann: Da wird eine höchst seltsame Gedenkpolitik betrieben – oder ist es eine Grusel-kabinettspolitik? – und jemand kommt, der diese Situation im Alleingang und, wir könnten beinahe sagen, im politisierten Affekt, stört. Dafür haben wir natürlich erst einmal große Achtung, denn Teil unseres Credos ist sicherlich, mensch soll dort eingreifen, wo mensch gerade steht. Andererseits lässt sich anhand dieser Aktion, wenn wir sie zu Ende denken, schon die Frage stellen: Wen stört’s? Also im Sinne unseres Titels: Wessen Schaden ist gering? Ist es ein geringer Schaden, weil es um die Hitlerpuppe nicht schade ist, oder ist es ein geringer Schaden, weil dem Postnazismus damit maximal ein oberflächlicher Kratzer zugefügt wird?
Nicht zuletzt wollten wir dem Buch einen Titel geben, der in seiner Ernsthaftigkeit auch Spaß macht. Damit sind auch nicht alle Protagonist_innen einverstanden: Der Titel wurde schon in der Produktion von einer Autorin des Buches in Frage gestellt – er werde eventuell der Schwere des Themas nicht gerecht – und zwar von einer Autorin, die selbst Verfolgung durch die Nazis erfahren hat. Die Kritik hatte für uns demnach umso mehr Gewicht, wir haben mit der Autorin auch Rücksprache gehalten. Letztlich sind wir bei dem Titel geblieben, weil wir ihn repräsentativ für das ganze Buch finden: Wie lässt sich der Postnazismus konfrontieren, sodass den Erfahrungen der Betroffenen Respekt gezollt wird und die Strategien der Konfrontation gleichzeitig weit genug gehen, um wirksam zu sein? Wir sehen ja, dass große Teile der Gedenk- und Mahnkultur sehr konservativ bleiben, unter anderem aus Angst, ansonsten anmaßend zu werden. Eine Aufgabe, die wir uns mit dem Buch gestellt haben, ist es, Beispiele dafür zu finden und strategisch zu diskutieren, dass eine lustvolle Auseinander-setzung mit dem Postnazismus und damit auch mit dem Nazismus selbst keine Frage von Respektlosigkeit gegenüber gemachten Erfahrungen sein muss. Bei der Buchvorstellung beim Festival »Hip im Exil« in Mainz wurden wir von einem Vorstandsmitglied der israelitischen Kultusgemeinde auf genau diesen Aspekt angesprochen: Er sei schon lange auf der Suche nach erinnerungspolitischen Formaten, die sich dem entgegenstellen, was wir als »Erinnerungsstolz« kennen: spektakulär inszeniertes, konfliktfreies und europakompatibles Gedenken ohne Blick auf die Gegenwart. Davon habe er in unserem Buch nun eine Menge gefunden. Das war mithin eines der schönsten Komplimente.
Kunst und Geschichtspolitik im Postnazismus – das ist der Untertitel Ihres Buches. Können Sie kurz umreißen, welche Themenfelder Ihnen hier wichtig waren, wie Sie Postnazismus definieren, bzw. welche Projekte sie hier beispielgebend ausgewählt haben?
Als Postnazismus benennen wir diejenige Mehrfachsituation, in der mit dem Nationalsozialismus gebrochen wurde, er aber dennoch fortwirken kann und gleichzeitig ein Umgang mit seinem Erbe gefunden werden muss. Post-, weil diese Vorsilbe erlaubt, ein zeitliches Danach zu beschreiben, das nicht ohne Einfluss des Vorangegangenen bleibt. Wir haben nach Themen-feldern gesucht, die exemplarisch für die so beschriebene Situation stehen: In denen also sowohl der Bruch mit dem NS, als auch sein Fortwirken und die Konfrontation dieses Fortwirkens spürbar sind. Aber wir haben auch Situationen beschrieben, in denen es an Eingriffen fehlt, wo wir sozusagen dem Buch einen leisen Aufrufcharakter geben: Ähm, hallo, hier wäre noch was zu tun.
Es werden in mehreren Zusammenhängen Roma und Sinti thematisiert. Sie sind mit Marika Schmiedt vertraut, deren Plakat-Ausstellung »Die Gedanken sind frei« im öffentlichen Raum hier in Linz vor ein paar Monaten wegen Rassismusvorwurf von der Polizei abgenommen wurde (Versorgerin #97) – und die nun im Herbst im neuen Rathaus wieder aufgehängt werden soll. Mich interessieren die Spannungs-felder, bzw. auch, was es bedeutet, wenn man mit einer Ausstellung, bei der es eben um Kunst und Geschichtspolitik geht, in den öffentlichen Raum geht – offensichtlich können sich hier Abgründe auftun?
Am Beispiel von Marika Schmiedts Arbeiten lässt sich unseres Erachtens sehen, dass es einerseits auf die Inhalte ankommt, die in ihrem Fall aufgrund der Aktualität weh tun, andererseits aber auch auf die Zugänglichkeit des Formats und des Raumes, in dem die Arbeit gezeigt wird. Etablierte Ausstellungsräume verschlucken die Kritik ja teilweise, weil sie einfach nur für bestimmte soziale Gruppen zugänglich sind. Für uns war es bei der Suche nach Beispielen im künstlerischen und kulturellen Feld sehr wichtig mitzubedenken, wen die jeweiligen Formate ansprechen können. Das bedeutet nicht, dass eine Intervention im Leopold-Museum weniger wert ist, weil nur ein bürgerliches Kunstpublikum sie zu sehen bekommt – das gehört schließlich auch konfrontiert. Aber es ist natürlich ein wichtiger Teil jeder Strategie, sich zu fragen: Wen möchte ich ansprechen, wen will ich stören, und wo platziere ich darum meine Anliegen? Wenn so eine Konfrontation gelingt, tun sich wahrscheinlich immer »Abgründe« auf – weil sichtbar gemacht wird, was als gesellschaftlicher Konsens daherkommt und wie wahnsinnig der eigentlich ist.
Ich beziehe mich beispielhaft auf eines ihrer Kapitel, auf »Heimaterdrutsch«: Sie schreiben, dass es ein Widerspruch in sich sei, den Heimatbegriff angesichts der nationalsozialistischen Vertreibungen ganz aushebeln zu wollen, dass aber »das verworrene Konglomerat von Heimat und Tradition, Natur und Kultur Stück für Stück auseinandergenommen werden muss«. Wie kann das gehen, bzw. welche Positionen haben sie hier angeführt?
Wir möchten im Heimatbashing auf zweierlei Acht geben: dass nicht der abfällige Blick von der Stadt aufs Land reproduziert wird, und dass wir nicht der Arroganz derer verfallen, die ein sicheres Leben haben. Aus unserer Position zu proklamieren, dass wir keine Heimat brauchen und jede Verunsicherung der Herkunft eine positive ist, ist einfach und für unsere Situation richtig. Aber angesichts der Ängste, die ausgestanden werden mussten, wenn Leute aus den Orten ihres Lebens vertrieben wurden oder ihr Leben gefährdet war, wenn sie dort blieben, ist das Thema ein bisschen sensibler. Dabei aber durchaus keine homogene Generationenfrage: Bei Jean Améry lesen wir, dass er im Versteck den oberösterreichischen Dialekt eines ranghohen Nazis hört und dabei profane Sehnsüchte entwickelt. »Er hätte gerne im Dialekt geantwortet, ‚um dann beim Wein ein Heimat- und Versöhnungsfest zu feiern’, er befand sich ‚in einem paradoxen, beinahe perversen Gefühlszustand von schlotternder Angst und gleichzeitig aufwallender familiärer Herzlichkeit. [...] In diesem Augenblick begriff ich ganz und für immer, daß die Heimat Feindesland war und der gute Kamerad von der Feindheimat hergesandt, mich aus der Welt zu schaffen’« (zitiert nach Schoiswohl in Diktatorpuppe zerstört (...) S. 213). Ruth Klüger wiederum beantwortet die Frage, ob Menschen Heimat brauchen, so: »Nein. Ich glaube nicht. Also ich brauche keine. Wissen Sie, die Welt ist derartig voller Flüchtlinge und Migranten, mehr als je. Wenn alle diese Leute eine Heimat brauchten, dann wären sie noch schlechter dran, als sie sowieso sind. Ich bin kein Baum, ich brauche keine Wurzeln. In diesem übertragenen Sinne, dass die Kindheit Wurzel ist: ja. Aber das ist nicht dasselbe wie ein Boden. Ich habe Füße, keine Wurzeln, ich kann gehen. Sogar Auto fahren.«
Ihr sehr gelungenes und umfangreiches Buch wird am 11. September, 20.00 Uhr, nun in der Stadtwerkstatt präsentiert. Was erwartet die BesucherInnen?
Wir werden einen Überblick darüber geben, aus welchen Fragen und Notwendigkeiten das Buch entstanden ist, und werden anhand von einzelnen Interventionen zur Diskussion stellen, was »gute« Strategien sein können. Es finden sich in dem Buch ja eine ganze Breite an Eingriffen, vom alltagstauglichen Graffiti bis zur selbstgestalteten Gedenkstätte, von umgestalteten Alpenvereinshütten bis zu abgesägten Statuenköpfen... Wir freuen uns jedenfalls sehr, dass wir das Buch in der Stadtwerkstatt vorstellen und diskutieren können und sind neugierige auf die Erfahrungen und Strategien, die die Besucher_innen mitbringen!
Diktatorpuppe zerstört, Schaden gering. Kunst und Geschichtspolitik im Postnazismus
Lisa Bolyos / Katharina Morawek (Hg.)
368 Seiten, 19,90 Euro, mandelbaum verlag, 2012