Mythos Medienkunst

Für seine Interview-Reihe mailte Franz Xaver mit dem in Lissabon lebenden Künstler Herwig Turk.

Franz Xaver: Hallo Herwig, Anfang der 90er Jahren warst Du in Wien ja sehr umtriebig. Ihr hattet damals die Gruppe HILUS und ich glaube, eine Veranstaltungsreihe, unit n. In meinen Interviews, die ich bis jetzt geführt habe, geht es auch um diesen Zeitabschnitt. Rückblickend habe ich den Eindruck, dass der Begriff »Medien-kunst« zu dieser Zeit an Grenzen gestoßen ist. Und gleichzeitig entstand ein neues Genre »Netzkunst«. Wie siehst Du das?

Herwig Turk: Ich bin mir nach wie vor nicht darüber klar, was Medienkunst sein soll, obwohl ich schon sehr viele Definitionen gelesen habe. Wir sind auch bei HILUS nie wirklich mit Medienkunst zurechtgekommen und haben uns als Plattform für intermediale Projektforschung bezeichnet. Intermediale Projektforschung konnte alle für uns wichtigen Themen, Verfahrensweisen und Technologien integrieren.
Wir haben bei unit n 1993 mit der Hilfe von Patrick Maun einen virtuellen Raum im mediamoo am MIT eingerichtet. Das Ganze war schriftbasiert, aber multi-user-tauglich und man konnte mit Live-Events experimentieren und User (Robots) programmieren, die schwer von Echten unterscheidbar waren. Obwohl das damals von den technologischen Anforderungen her sehr abenteuerlich war, sind dennoch das Ereignis oder der performative Event und die kollektive Erfahrung im Vordergrund gestanden. Das Internet als objektorientierte Oberfläche existierte zu dem Zeitpunkt noch gar nicht. Dass das Netzkunst sein könnte, wäre uns damals nicht in den Sinn gekommen, obwohl natürlich die spezifischen Anforderungen dieser virtuellen Umgebung sehr wichtig waren. In unserer Auffassung der künstlerischen Forschung war das Netz ein nicht unwichtiger Schauplatz aber keine Genregrenze. Bis heute finde ich den Begriff der Netzkunst unscharf …
 
Franz Xaver: Ja, natürlich sind diese Bezeichnungen Medienkunst und Netzkunst sehr seltsam. Es ist auch legitim, wenn nun viele der KünstlerInnen, die damals in diesem Bereich tätig waren, heute sagen: »Das Genre Netz- und Medienkunst war irgendwo in den virtuellen Räumen verortet und ich hatte damit nichts zu tun«. Fakt ist aber nun mal, dass sogar die öffentlichen Stellen auf die Medien- u. später Netzkunst reagiert haben und eigene Abteilungen dafür geschaffen haben. Dass nun viele KünstlerInnen von damals sagen, aber ich war‘s nicht, lasse ich nicht gelten. Bei Dir mach ich natürlich eine Ausnahme, damit wir uns jetzt nicht verzetteln. Wie Du schon gesagt hast, das mit den virtuellen Räumen z.B. »mediamoo« im MIT war eigentlich vor dem Zeitalter des WWW. Ich würde diese Arbeitsfelder auch zu einem Bereich zählen, der sich über Technologie und »ECHTZEIT« neue Räume geschaffen hat. Eben diese Räume, die für mich später durch den Begriff Netzkunst besetzt wurden. Ich habe zu dieser Zeit auch ein Netzwerk, »Die Elektronische Galerie«, betrieben. Für mich war mit Eintritt des WWW vieles zu Ende. Ich vergleiche es öfter mit einem kurzen Zwischenstopp, bei der jedes Genre und die verschiedensten KünstlerInnen auf diese technologischen Entwicklungen aufspringen konnten. Dieses WWW brachte für mich viel Veränderung. Wie war das für dich?

Herwig Turk: Du hast vollkommen recht, dass zumindest Medienkunst und Netzkunst wichtige Kategorien für die Förderungsgeber und auch für die technologieaffinen KünstlerInnen war.
Für HILUS und mich persönlich war das Schaffen von neuen Räumen, Schnittstellen und temporären Konstellationen vorrangig. Du selbst hast ja immer wieder an Kanälen gearbeitet, um auch die Statik und Hermetik der Kunsträume zu umgehen oder zu perforieren. Letztlich haben wir ja alle (im HILUS-Umfeld) gehofft, dass wir eine breitere Öffentlichkeit durch die elektronischen Medien für prozessorientierte und experimentelle Arbeiten im Kunstbereich finden würden. Das WWW war für mich auch eine Zäsur. Einerseits hatte ich all die Hoffnungen einer Demokratisierung und Dezentralisierung im gesellschaftlichen und im künstlerischen Bereich im Kopf, andererseits merkte ich sehr bald, dass ich Probleme hatte, eine echtes Interesse für Kunstprojekte im WWW zu entwickeln und es mir oft an Empathie fehlte, wenn ich nicht die Personen kannte, die die Projekte entwickelten.
Es kam aber vielleicht auch dazu, dass mit den Kunstprojekten im WWW eine andere Gruppe von KünstlerInnen einstieg, die einerseits ökonomisch sehr unabhängig war (wer 1995 HTML ansatzweise dominiert hat, konnte jederzeit gut bezahlte Jobs bekommen), und die sich sehr an den Technologiefestivals orientierten (Ars Electronica, DEAF, WRO...), die 1995 schon ziemlich etabliert waren.
 
Die Promotion, die »Medienkunst« für die Etablierung des Internets und neuer Technologien betrieben hat, war gern gesehen von Politik und Industrie zu dieser Zeit. Auch insofern war das WWW eine Zäsur. Das textbasierte Internet und die elektronischen Mailboxsysteme waren ja relativ kompliziert und nicht gerade benutzerInnenfreundlich und daher sehr wenig verbreitet. Die Euphorie, die das objektbasierte WWW auch im Kunstbereich auslöste und die letztlich durch Technologiefestivals und Medienkunstzentren verstärkt vermittelt wurde, war ein perfekter Legitimationsdiskurs für globale Werkzeuge, die erst in den letzten Jahren ihre volle Wirkung entfalten.
 
Franz Xaver: Ich habe die Arbeit von HILUS auch so gesehen. Ich glaube, das Internet brachte auch einen anderen Blickwinkel des Kunstkontextes. Alle Eckpfeiler der klassischen Medienkunst – interaktiv, interdisziplinär, spartenübergreifend, dezentral-demokratisch – wurden mit dem Internet eingelöst, und es kam zum Begriff der »Netzkunst«. Dieser Begriff ist ja noch unklarer als der Begriff »Medienkunst«. Einige AktivistInnen gingen einen Alleingang, andere haben sich organisiert z.B.: im Chaoscomputerclub, der internationalen Stadt, Thing, public netbase, mur.at, servus.at und V2 usw. Es tauchte aber auch in dieser Zeit eine neue AkteurIn im Netz auf: Der/die HackerIn, der/die nichts mehr mit der Kunst zu tun haben wollte. Es war für mich ein wenig wie die Befreiung der Techniker. Das Zeitalter der KünstlerInnen, die sich TechnikerInnen in einem Pool gehalten haben, um dann die »Visionen und Kreativität« mit ihnen umzusetzen, waren nun endgültig vorbei. Es entstand eine selbstbewusste opensource-Programmierszene mit einem neuen Copyrightgedanken, die viele KünstlerInnen nervös machte. Ich habe HILUS hier auch genau im Zwischenbereich von Medien- u. Netzkunst sowie einem allgemeinen Kunst- und Copyrightkontext gesehen. Du hast damals in St. Veit ein kleines Festival organisiert, wo du dann eigentlich die urbane Szene in eine relativ kleine Stadt transformiert hast. Ich glaube, das Festival hat auch Transformator geheißen? Das war kurz vor dem ganzen Internetboom.
 
Herwig Turk: Der erste Teil deiner Frage ist sehr komplex und würde fünf Antworten brauchen, daher lasse ich das mal so stehen.
Einfacher ist für mich über das Festival Transformator 91 in St. Veit a. d. Glan zu sprechen. Ich wollte ursprünglich eine kleine Ausstellung in der Stadtgalerie kuratieren und hatte ein Gespräch mit dem damals recht jungen Bürgermeister (den gibt es übrigens noch immer dort), der sofort interessiert war. Auf der Suche nach lokalen Partnern hat sich die Firma Funder angeboten, und auch dort fand ich einen sehr offenen Ansprechpartner, und so wurde in wenigen Monaten aus einer kleinen Ausstellung ein ziemlich ambitioniertes Projekt, das ich mit Hemma Schmutz und Corinna Besold produzierte. Wieder war es das generelle Interesse an neuen Räumen und einer experimentellen Konfiguration das mich antrieb. Ich wollte Kunst in den öffentlichen Raum bringen und das Projekt gleichzeitig als elektronischen Raum denken. Die Kollision von spröder elektronischer Kunst mit dem kleinstädtischen Alltag hat mich fasziniert und war beabsichtigt. Es hat damals viele Installationen in verschiedenen Geschäftslokalen und Auslagen gegeben, aber auch Performances und Symposien in den Industriehallen. Die Künstlerinnen, die alle Ihre Projekte betreuten und daher vor Ort anwesend waren, erschienen in St. Veit wie von einem anderem Stern. Die inhaltliche Auseinandersetzung der lokalen Bevölkerung mit den Kunstwerken war enden wollend. Allerdings waren so viele Geschäftsleute und Angestellte involviert, dass sie sich immer wieder zu Erklärungen und Vermittlungsversuchen durchringen mussten. Der damalige BAWAG- Direktor musste sogar zum Rapport nach Wien, weil Muki Pakesch einen Banküberfall in der Filiale gedreht hatte, der dann im Schaufenster zu sehen war. Von Dir war eine U-Bahnstation am Hauptplatz aufgebaut, die mit der Wiener U-Bahn verbunden war. Im Großen und Ganzen konnten sich die Leute in St. Veit dem Ganzen nicht entziehen. Spannenderweise und natürlich etwas verklärt - aber doch, war das Projekt noch lange Zeit ein Thema vor Ort.
 
Franz Xaver: Dieser Zeitraum (Anfang/Mitte der 90er Jahre), als das Internet kurz zwischenlandete und jedermann/frau über das WWW in das Flugzeug »Zukunft« zusteigen konnte, war das eine besondere Zeitspanne für Dich? Hatte das Auswirkungen auf Deine Arbeit? Mich würde auch interessieren, wie es dann bei Dir weiterging. Die Begriffe Medienkunst und Netzkunst sind ja immer mehr in Vergessenheit geraten.
 
Herwig Turk: Für mich war das eine wichtige Zeit, weil ich ja damals die ersten größeren Kunstprojekte und Ausstellungen realisiert habe. Nach dem Studium an der damals außergewöhnlich fortschrittlichen Angewandten mit Oswald Oberhuber als Rektor sowie Peter Weibel, Christina Reder und Daniela Hammer Tugendhart als wichtige Referenzen in den 80ern, fand ich mich in einem Kreis von wirklich spannenden Leuten wieder, in einem Wien, das sich gerade stark veränderte (Ende des eisernen Vorhangs). Mit Scholten als Kunstminister kamen damals Leute wie Ernst Strouhal ins Ministerium und die umstrittenen Bundeskuratoren wurden aktiv. Auch wenn man vieles nachträglich kritisch betrachten kann war das eine sehr dynamische und privilegierte Situation speziell im internationalen Vergleich. Ich habe damals wenig Gedanken daran verschwendet, was gut für die Karriere wäre, ich hab einfach mit den spannenden Leuten und Projekten kooperiert, die ähnliche Interessen hatten und mit denen ich lernen konnte. Leute wie Reinhard Braun, Christoph Nebel, Max Kossatz, Christine Meierhofer, Kathy Rae Huffman, Kurt Hentschläger, Matthias Michalka, Barbara Steiner, Andreas Spiegel aber auch Gruppierungen wie Pyramedia, The Thing Vienna, Literatur+Medien, Feuerstein und Strickner, Elektronische Galerie, Granular Synthesis, Vor der Information, The Spring Project usw. haben mich entscheidend beeinflusst. Natürlich war mir damals nicht bewusst, wie außergewöhnlich meine Situation und die Arbeitsbedingungen zu der Zeit in Wien waren. Die Medienkunst oder Netzkunst war dabei nur ein Teil des Spektrums an spannenden interdisziplinären experimentellen Kunstprojekten, die mich interessierten. Innerhalb der HILUS-Plattform waren die Beiträge von Büro Bert, Ronald Alton Scheidels Kul/Pol/Art, Ariane Müller, Josef Strau/Baschutan Buzari und der Medienwerkstatt Wien für mich wichtige politische und kritische Positionen, die auf die Technologie-Euphorie ein anderes Licht warfen und mir längerfristig zu denken gaben.

Ich habe dann ab 1996 ein kollektives Projekt über »vergessen« initiiert wo Rike Frank, Christine Meierhofer, Max Kossatz, Gebhard Sengmüller, Marc Ries, Birgit Floss, Vrääth Öhner, Susi Luschin, Lisi Frischengruber, Sabine Schaschl, Christine Böhler und viele andere mitgemacht haben und durch das Technologie in einem anderen Kontext betrachtet wurde. Ab 2003 interessierte mich Technologie vor allem im Zusammenhang mit Technoscience. In den letzten Jahren waren Experimentalsysteme der Molekularbiologie und die »Materialcultur« des Labors das Thema und verschiedene Formate für Ausstellungen und Präsentationen sind entstanden, die zum Großteil in Coimbra und in Lissabon/Portugal produziert wurden. Parallel dazu habe ich eine größere Arbeit zu »Landschaft« seit 1995 am Entstehen, die sich vorwiegend mit Aufnahmen der Salzwüste und den militärischen Sperrgebieten in Utah/USA beschäftigt.

Franz Xaver: Dir war das kollektive Arbeiten sehr wichtig, ich denke nicht, weil Du zu wenig eigene Ideen hattest. Ich würde Deine Tätigkeit als Netzwerken im Kollektiv beschreiben. Warum ist das kollektive Arbeiten dann weniger geworden? Warum hast Du eigentlich Österreich
in der Blüte des Netzwerkens verlassen? Und wo positionierst Du Dich in der Gegenwart?

 
Herwig Turk: Es ist eine gute Frage, die ich mir auch schon oft gestellt habe. Österreich habe ich Ende 2000 mit einer Mischung aus Verdruss über die politischen Verhältnisse vor Ort und einer gewissen Neugierde für das Leben außerhalb der saturierten Metropolen Mitteleuropas verlassen. Ich musste was Neues ausprobieren, um wieder ein Gefühl dafür zu bekommen, was ich in der Zukunft gerne machen würde. Nach ca. dreizehn Jahren komme ich jetzt wieder nach Wien zurück. In einem Kollektiv zu arbeiten ist für mich auf jeden Fall eine Bereicherung, aber natürlich ist die Zeit nicht spurlos vorübergegangen. Die Erfahrung führt zu einer strukturierteren Herangehensweise an Gemeinschaftsprojekte und sie passieren nicht mehr so spontan. Durch das Leben im Ausland habe ich schätzen gelernt, was gemeinsame Sozialisierung und der vertraute Sprachgebrauch für eine differenzierte Zusammenarbeit bedeuten und dass nichts selbstverständlich ist. Nach wie vor interessieren mich der Austausch und die Zusammenarbeit mit NaturwissenschafterInnen, unter anderem weil diese trainiert sind ihre Umwelt sehr nüchtern und analytisch zu betrachten. Das finde ich spannend und es hilft mir meine eigenen Arbeitsweise besser zu verstehen. Das liegt aber eh nicht weit davon entfernt, was seinerzeit mit HILUS für mich anfing.

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