My Lost City Of Erinnerungsfetzen

»Einmal noch an Linz abarbeiten, das letzte Mal! Grafik, setz’ das in blutrot, nein, blassrosa, giftgrün, himmelblau, monochrom …«. Von Rainer Krispel.

Es muss nämlich wirklich immer was geben. Ich habe etwas geschrieben, einen längeren Text. Dann habe ich diesen Text eingelesen, ein bizarrer Prozess. Dieser Text ist nahe bei mir und nahe bei Linz, in Linz.
Jetzt, mit der Eigenwerbung aus dem Weg, kommen wir dann schön langsam zur Sache. Nein, die Geschichte erspare ich Ihnen, wie ich, bevor ich das Manuskript abgeschickt habe, nicht mehr tippen konnte, weil die rechte Hand weh getan hat, als wäre ein längst verdrängter Tennisarm aus meiner Jugend in sie gefahren, wie ein entfesselter Geist der Rache – wofür auch immer. (Verstehen Sie das jetzt nicht falsch. Das ist kein Hinweis auf Kunst kommt von Leiden. Erstens sowieso keine Kunst und zweitens niemand!, nichts! soll leiden, für niemanden und nichts!)

Ich habe tatsächlich Tennis gespielt, als jüngerer Mensch. Nicht gut, aber eifrig, in einem Unionsverein. In einem Unionsverein! So eine Stadtgeographie kann einen schon korrumpieren, er war halt gleich über der Straße, dieser Tennisplatz. Damals war mir die ÖVP noch egal, das ist sie mir jetzt nicht mehr. Spätestens seit bei einem Konzert mit den Chuzpe aus Wien und einer Linzer Band im Volkshaus Dornach ein Funktionsträger der jungen ÖVP, die das Konzert veranstaltete, mit einer Gaspistole in die Luft geschossen hat. Weil ein kleiner Haufen Punx das Konzert ohne zu bezahlen stürmen wollte. Die Musik gehört allen! So sind die, wenn es um ihr Geld geht, gnadenlos bei der Wahl ihrer Mittel. Ich sage nur Dollfuß! Überhaupt: »Junge ÖVP«! Das geht sich einfach nicht aus, wie so vieles, für mich als Ende der 60er Geborenen, der in den 70ern mit der beiläufig rinnenden Fernsehmilch aufgesogen hat, wie sich der Kasperl und das Krokodil befetzt haben, Bruno Kreisky und Josef Taus. Taus war dabei immer der älteste Mensch der Welt, Kleidung, Habitus, Brille, alles. Als ich ihn unlängst leibhaftig im Zug gesehen habe, im Speisewagen – das blühende Leben! Wer weiß, über welche medizinische Technologie die ÖVP verfügt … Und uns über die SVA ausbluten …

Dazu hat mir der Landeshauptmann eine meiner Lieblingserinnerungen beschert. Als Hilfskraft verdiente ich in den Sommerferien ein schlechtes Geld in einem von der ÖVP – fragen Sie nicht, lesen Sie einfach den Satz über das Korrumpieren – organisierten Linzer Sommerkindergarten. Auftritt Pühringer mit Assistent und Fotograf. Rasch im Garten ein Foto, macht sich gut, ein dokumentiertes Herz für die Kleinen. Die, tatsächlich entzückend waren und dabei gleichzeitig einen Blick auf ihre Eltern und die Tragödien inmitten der Stadt Linz ermöglichten, vom religiösen Wahn über Überforderung bis zur völligen Beziehungslosigkeit zwischen Eltern und Kindern. How shall these kids ever be alright?
Es war schlimm, wirklich schlimm. Bevor der Landespapa weitereilte, überreichte er noch eine Steige mit Obst. Kein benutzer- oder bedienerfreundliches Obst, nein, supersaftige Nektarinen, was heißt Hände- und Gesichtwaschen nach der Fütterung mit dem viel zu großen Kinder-Trupp. Die wirkliche Arbeit machen sie immer nur den anderen, diese Typen. Später dann als Landeshauptmänner Musiktheater bauen lassen! Wer keine Kultur hat, tut so als ob, indem er ein Haus betreibt, dass so tut, als ob es mit Kultur zu tun hätte. Verdienen die Kumpel von der Bauwirtschaft, prächtig! Schlagen wir doch bei Thomas Bernhards »Die Auslöschung« nach, die Passage über die in Reisebussen – die müssen auch leben, die Busunternehmer! – nach Linz gekarrten Menschen vom Land, die das komplette Kulturpaket im Landestheater besorgt bekommen.

Und der andere Feudalherr, der ewige SPÖ-Bürgermeister Dobusch – im Amt seit den 50ern, oder? Linz hat es halt nicht mit Veränderungen. Würde mensch gerne irgendwie sympathisieren wollen mit den Roten von wegen kleines, gallisches Dorf inmitten des tiefschwarzen Landes Oberösterreich, sind mit der Blamage mit der Stadtwache die letzten Sympathien vergeigt. »Vermeidung strafbarer Handlungen durch Anwesenheit« steht in der Broschüre, die ich bei meiner Mutter gesehen habe. Ich scheiß´ mich an!

Aber eigentlich bin ich gekommen, um das glorreiche Linz meiner gar nicht so verschwendeten Jugend zu loben, mit den nachhaltigen Verdiensten der Generationen »Es muss was geben« (als Buch, Film und demnächst als Tonträger erhältlich!) in der mächtigen Hinterhand das heutige andere Linz gescheit zu dissen, die Leerläufe von Kapu und Stadtwerkstatt anzuprangern. Satt hinzudreschen nicht nur auf die Kulturhauptstadt 09, sondern auch auf das Unvermögen der »freien Szene« sich dagegen nachhaltig zu positionieren. Und auf den Kahlschlag danach, den Fallout nach dem großen Kulturhauptstadt-Krieg. (Immerhin war Bill Drummond in der Stadt, das ist ein Mensch, von dem wir uns inspirieren lassen können.) Was ja schon dadurch unmöglich war – sich nachhaltig dagegen positionieren – dass damit ein Geld zu verdienen war für Menschen aus (sub)kulturellen Zusammenhängen, die eben so ein Geld brauchen, weil es ohne Scheißgeld eben nicht geht. Also nix mit erstem Stein, weil ich liege verschüttet unter einem Gebirge!

Geht eben alles nicht, geht sich nicht aus. Weil erstens habe ich doch überhaupt keine Ahnung mehr, was in diesem Linz jetzt so geht und es zweitens völlig vermessen wäre anzunehmen, dass sich mir aus meiner 40+ Sicht überhaupt noch etwas von lokalen (Mikro-)Entwicklungen mitteilt, ich das überhaupt annehmen und wahrnehmen könnte, so sehr ich mir auf die Brust klopfen täte wegen meines offenen Geistes und meiner wachen Wahrnehmung! Dass es der Stadtkeller sein musste, der noch ein Leben, vielleicht sogar ein neues signalisierte, ist »strukturell« ein Hohn, aber dass Menschen unter den widrigsten Umständen etwas bewegen, ist doch die klassische Linzer Geschichte, die kulturelle Notwehr, sich der Fadesse und Gleichförmigkeit durch Handeln entziehen.

Dass die Kapus und Stadtwerkstatts meiner und anderer Jugenden (zu denen die E-Schmids, Anderen Kinos und Landgrafs auch beizutragen hatten, und seis drum, die Posthofs) für mich/uns nicht mehr diese Energie abgeben, auslösen und bündeln können, liegt in der Natur der Sache. Ob sie es für andere Menschen können, kann ich nicht beurteilen. Ob sie es überhaupt müssen ist die interessantere Frage, aber das müssen andere fragen und beantworten, deren »Ding«, deren »Dinge« sich gar nicht mehr in diesen Orten manifestieren können.

Was ich noch ausspucken muss, ist wie tot mir diese Stadt Linz heute immer wieder vorkommt, ab der Unionkreuzung wie ausgeschaltet, nach jeder Probe meiner Band das Dilemma – wo gehen wir hin? Da lebt nichts, das ist alles so grau, so deprimierend. Wie es schon immer war. Es ist nicht so, dass an Linz an sich etwas speziell wäre, auch wenn die eigenen Erfahrungen mit Polizeidummheit natürlich die prägenden waren und die eigene Jugend sich zum Glorifizieren anbietet, nicht zuletzt, weil positive Mythenbildung Menschenpflicht ist. There are millions of Linzes. Gibt es eine Mehrzahl von Linz?

Was mir beim Schreiben klargeworden ist, war, dass es Menschen, einzelne und Gruppen davon waren, wir, ihr, die diese Plätze gefüllt, gebraucht und geformt haben. Um dadurch am Käfig »Der Rest von Linz« zu rütteln und unser eigenes Linz zu bauen, das Aufregendere (Mit dem offiziellen Linz hat das nichts zu tun, genau das bildet das Missverhältnis Kulturamtskultur und »unsere Kultur« ab). Manche mehr, manche konsequenter, manche sind dabei draufgegangen, manche weniger, ich bin sowieso ein Schaumschläger. Scheiß auf die Kapu an sich, scheiß auf die Stadtwerkstatt an sich, wichtig sind die Dinge, die sie beherbergen, die sie ermöglicht haben, die dort stattfinden können. Wofür sie einmal standen ist gegessen, wofür sie heute stehen (mir) unklar, wofür sie stehen können ungeschrieben – that´s one magic fact.

In diesem Sommer bin ich in Linz in der Donau baden gegangen, auf der Urfahraner Seite, am anderen Ufer die Garage, in der ich begonnen habe, mich durch Musik über Linz hinaus zu »erheben«, daran abzuarbeiten und es letztlich zu überwinden. Das Linz in mir. Fahren zwei Frachtschiffe vorbei, das erste heißt »Revolution«, das zweite »Vertrauen«. Die kommen wieder!

Rainer Krispel, 43, geboren in Linz lebt als Schreib- und Musikarbeiter in Wien, als Vater und Punk mit permanentem Kontobrand, zwischen Euphorie, Wut, Kollaps und dringend benötigter Therapie. Sein »längerer Text« »Der Sommer als Joe Strummer kam« erscheint am 10. Jänner 2011 als downloadbares Textfile und als downloadbares Audiofile, gelesen vom Autor. http://mcpublish.com

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