Wir haben einen Fernsehsender!?

DORF, der offene Rundfunk, ist kurz gesagt sowas wie Radio FRO auf Fernsehen umgelegt. An der Schnittstelle von Internet und klassischem Fernsehen bietet DORF eine TV-Plattform für usergenerierte Inhalte. Einfach. Unkompliziert. Experimentell. Von Astrid Esslinger.

Ich besitze kein TV-Gerät, daher melde ich mich bei Gabi Kepplinger, der Programmverantwortlichen von DORF, zum Fernsehnachmittag an. Wir schalten ein bei Richard Sennets Vortrag bei der Ars Electronica. Souverän gefilmt von der Medienwerkstatt spricht ein alter Mann unaufgeregt mit der monotonen Stimme einer Übersetzerin. Ich kann mich nicht auf den Inhalt konzentrieren, wir zappen durch die dvb-t-Box. Neun Programme, eigentlich ein intimer Raum, irgendwie anachronistisch, mir gefällt das, ich wurde groß in einer Zeit, als sich die gesamte Nation auf zwei Kanälen drängte. Ebenfalls gefällt mir die Sendersignation, die an diesen Anachronismus anknüpft und Testbilder einsetzt, die an eine Zeit erinnern, als es noch Sendepausen gab.
Die Alternativen auf den acht anderen Sendern – Tier- und Sozialdokus sowie diverse »Talks« – bringen uns schnell zurück auf DORF. »Tex the City«, drei Herren schlendern beim Winklerbahnhof herum. Sie sind auf den Spuren des letzten Tipps-Titelblattes »Schandfleck von Linz«. Eine locker geführte Handkamera lässt mich ziemlich nah ran, Peter Arlt und Georg Ritter im zwanglosen Gespräch mit Tex Rubinowitz über das Brachland. Auch beim nächsten Beitrag »Anti Atom Komitee – Mit dem Bus zur Großdemo nach München« von Ufuk Serbest, bin ich als Zuseherin mitten im Geschehen. Noch ein paar Kunstvideos. Ok, meine Fernsehvorlieben waren Sitcoms und ausgewählte Spielfilme, aber die Qualität der Beiträge aus dem ca. 110 minütigen Loop, der von 12 bis 24h läuft, überrascht mich positiv. Die Länge der Beiträge variiert von ein paar Sekunden, wie eine Animation tschechischer KunstschülerInnen, die in Linz zu Gast waren, bis zu 40 Minuten japanischer Kampfkunst gefilmt auf einer Nordico-Veranstaltung. Kunstvideos im Fernsehen treffen bei mir auf fruchtbaren Boden, denn in Ausstellungen mit Kopfhörern vor Monitoren zu stehen, finde ich deprimierend.
Auf der Webseite dorftv.at gibt es sehr übersichtlich Hintergrundinfor-mationen, Programmdetails und stepbystep-Anleitungen sowie das Videoarchiv bereits gesendeter Beiträge. Ich stoße auf die Podiumsdiskussion zwischen Julius Stieber, seit Mai 2010 Kulturdirektor der Stadt Linz, und VertreterInnen der Freien Szene. Das trifft sich gut, habe ich damals versäumt und schaue ich mir sofort an. Dann gibt es bereits einige DORF-Gespräche. DORF agiert als Gastgeberin für eine Gesprächsreihe, die jeden Mittwoch um 20 Uhr zu unterschiedlichen Themen und Fragestellungen vor allem aus dem Kunst- und Kulturbereich live aus dem Studio Schirmmacher am Linzer Hauptplatz ausgestrahlt wird. Publikum ist herzlich willkommen und der Eintritt ist frei. Die DORF-Gespräche sind Diskussionen, Beiträge und Hintergrundinformationen zur vielfältigen Arbeit der Kunst- und Kulturszene aus Oberösterreich, aktuelle Themenschwerpunkte sind Video, öffentlicher Raum und Kulturpolitik. Ich finde bekannte Namen; so unterhalten sich Leo Schatzl und Wolfgang Georgsdorf über Videoproduktion, von den experimentellen Anfänge an der damaligen Kunsthochschule Ende der 70er Jahre, von Super 8, Magnetbändern und Irritation ist da die Rede. Zwischendurch wird die Handkamera eingeblendet, die Georgsdorf während des Gesprächs das »Nachrichtensprecherpult« abtasten lässt. Es lässt die Wunderlichkeit erahnen mit der dieses Medium entdeckt wurde. Leider kommen keine Beispiele von Produktionen aus der Zeit. Spannend das Gespräch mit Edith Stauber, es zeichnet, unterstützt mit filmischen Beispielen, ein komplexes Bild ihrer Arbeit, eine Generation später.
Die »Talk-Gäste« sitzen in der Studioinstallation des Linzer Künstlers Lorenz Estermann. Aus bemalter Pappe ist eine klassische TV-Studiokulisse nachempfunden, die die Gäste gelungen ins Bild setzt und in der Wahl der Mittel auch die Philosophie des Senders unterstreicht, nämlich mit simpler Ausrüstung Qualität zu produzieren.

Aber zurück zu: »Wir haben einen Fernsehsender!?«
my space, your space, her space, his space, our space verkündet der jingle.
DORF sendet im Beta-Betrieb, d.h. es versteht sich als die erste »Ausgabe«. Der Sender befindet sich im Aufbau, Logistik und Programm werden schrittweise entwickelt, der Übergang zum Vollprogramm erfolgt fließend.
Der freie Sendeplatz wartet auf seine NutzerInnen.
Aktuell gibt es die Möglichkeit vorhandene televisiuelle Produktionen im »open space« zu platzieren. Du brauchst hier kein eigenes Fomat und kein Sendekonzept. Ein offener Raum für alle, die unregelmäßig senden wollen. Für die Übermittlung von Videos, Filmen oder kurzen Beiträgen steht das Upload Interface der Website zur Verfügung. Die Beiträge werden in die Playlist eingefügt und laufen beim nächsten Loop bereits am Sender, kostenneutral, Werbung wird aussortiert.
In Planung ist das Format »Open Channel«, das fixe Sendeplätze vergibt. Du brauchst ein Grundkonzept und sendest in nachvollziehbarem Rhythmus. Fixstarter sind derzeit Kupf TV und fiftitu%.
Noch im Entwicklungsstadium ist das Magazin DORF-Sache. Im Fokus steht die Philosophie der kurzen, spontanen »Beiträge« und nicht das Gestalten gesamter Sendungen oder Magazine. Die Idee hinter der DORF-Sache lautet: Einfach und schnell produzieren. Z.B. mit der Videofunktion deiner Digitalkamera oder deines Handys. Die Länge der Beiträge ist begrenzt mit maximal drei Minuten. Als redaktionelles Netzwerk werden BotschafterInnen etabliert, die als ProduzentInnen, KommunikatorInnen und AdministratorInnen fungieren. In Summe entsteht eine fortlaufende Geschichte des regionalen Lebens aus vielen unterschiedlichen Blickwinkeln, ein televisueller Dialog.

Wie sich die redaktionelle Arbeit entwickeln wird, ist die zentrale Frage, denn die eingespeisten Beiträge aufzubereiten, zu ordnen, in thematische oder formale Beziehungen zu setzen, fragwürdige Qualität auszuschließen, etc. ist entscheidend für das Erscheinungsbild, das einen TV-Sender ausmacht und ihn von einer playlist in einem Internetforum unterscheidet.
Die Chance, dass sich ohne Quotendruck in einem experimentierfreudigen »work in progess«-Verfahren Formate entwickeln, die ein Senderprofil prägen und den Gewohnheitsrezipienten und die abgelutschte Fernsehoberfläche verlassen, ist durchaus gegeben.
Unabhängigen Organisationen und Personen, die in der oberösterreichischen Kultur- und Medienlandschaft fix verankert sind, unterstützen die Entwicklung von DORF mit ihren Ressourcen und ihrem Know-how und tragen auch die DORF TV GmbH.
Kernpartnerin ist die Kunstuniversität Linz. Sie hat televisuelle Aspekte seit Jahren in der Lehre verankert, und war Mitstreiterin von Pilotprojekten und Sendeversuchen. Angedacht ist, dass der praktischen Teil der Lehre in Zukunft »hands on« im DORF-Studio stattfindet. Das Studio im Schirmmacher wird in Kooperation von DORF, Kunstuniversität und ÖH als offener Studio- und Begegnungsraum bespielt. Studierende nutzen den »Schirmmacher« für Ausstellungen, Installationen und Präsentationen, und erweitern die Konzeption der künstlerischen Präsentation um die Komponente des Mediums Fernsehen.

»Die Medien sind abhängig von Informationen, die von der Politik und der Wirtschaft geliefert werden sowie von Experten, die ihrerseits auf Anerkennung und Finanzierung durch diese primären Organe und Quellen der Macht angewiesen sind.«, analysiert Naom Chomsky die Situation der Massenmedien, »Die großen Medien sind Konzerne, die ihren Kunden ein Produkt auf dem Markt verkaufen. Ihr Markt ist die Werbung, ihre Kunden sind die Auftraggeber für Anzeigen, ihr ‘Produkt sind die Konsumenten.«
Abseits dieses Handels stellt DORF ein Experimentierfeld für eine zivilgesellschaftliche Öffentlichkeit zur Verfügung. Die Erfolgsgeschichte von Radio FRO lässt annehmen, dass die Region das Potenzial besitzt, es zu nutzen.

Info

Zu empfangen ist DORF über Antenne zu Hause auf dem Fernseher mit DVB-T Box oder DVB-T fähigem TV-Gerät; oder mobil mit PC und Laptop mit DVB-T Karte oder USB-Stick.
Kanal 51, 714 MHz im Großraum Linz-Wels-Steyr.
Bei Empfangsproblemen ist zu beachten, dass die DVB-T Antenne über eine ausreichende Signalverstärkung verfügt, denn Dorf sendet mit einem Bruchteil der Leistung anderer Sender.

Über die Netzadresse www.dorftv.at verbinden, registrieren, anmelden, hochladen.
Für persönliche Kontakte: Studio Schirmmacher im Brückenkopfgebäude Ost am Linzer Hauptplatz, Montag bis
Freitag von 11.00 bis 13.00 Uhr.
E-Mail: office@dorftv.at
0699/17244870 (Otto Tremetzberger, kaufmännische Leitung)
0699/17244880 (Gabriele Kepplinger, Programmleitung)

Astrid Esslinger lebt als freischaffende Künstlerin in Linz. Einige ihrer Bilder sind auf http://esslinger.servus.at zu bewundern.

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