Mythos Medienkunst: Margarete Jahrmann
Margarete Jahrmann und Max Moswitzer starteten ihren Erfolg Mitte der 1990er Jahre. In den Jahren, in denen sich die Medienkunst mit dem Internet mischten. Ein Berührungspunkt war 1994 als Margarete Jahrmann bei der Arbeitsgemeinschaft »freie Frequenzen offene Kanäle« mitgearbeitet hat.
Hallo Margarete, in unserem Gespräch soll es um die digitalen Werkzeuge in der Kunst gehen. Ich habe meinen ersten Rechner in den ersten Jahren noch ohne Speicherungsmöglichkeit für Programme und natürlich auch ohne Drucker betrieben. Kannst du dich erinnern, wie du deinen ersten Computer eingesetzt hast?
Jahrmann: Ja sicher – das war ein hübscher Sinclair QL mit Magnetband Cartridges... und ich habe ein »turtle«-Programm darauf geschrieben und mich wie narrisch gefreut, als bei execute dann der »TV-Bildschirm« – ein alter weißer 70er-Fernseher – voll mit blauen Vierecken wurde. Die hab ich dann mit einer Spiegelreflexkamera abfotografiert und Stoffmuster damit gemacht.
Zumindest hattest du ja schon eine Cartridge, um die Programme zu speichern. Kannst du dich noch erinnern, was das Faszinierende daran war? War es das Bild am Fernsehapparat oder die Logik, die das Bild erzeugte?
Jahrmann: Das Faszinierende war sicher nicht das Bild an sich. Es war die Art und Weise wie es zustande kam – dass ich eine formale Beschreibung geben musste – mouse up, down, if... und ganz am Schluss erst print – da gab es dann irgendeinen Output. Das ist aber geblieben, dass mich formale Strukturen mehr fasziniert haben, als das Bild an sich.
Es gab ja relativ rasch auch Anwenderprogramme. Z.B. Mal- und Zeichenprogramme, Textverarbeitungen und Spiele, hast du diese Programme auch für deine künstlerische Arbeit verwendet?
Jahrmann: Zeichenprogramme eigentlich nicht – Spiele, ja schon. Ja – eben um damit Netzwerk-Installationen zu erstellen. Wie du weißt, hab ich ja viel game art seit ca. 2000 gemacht; die shooter game Modifikationen in Verbindung mit linux Programmen, mit Serverstrukturen – das fand ich konkret mit dem nybble engine projekt 2003-04 in Zusammenarbeit mit Max Moswitzer sehr spannend. Wir haben da ja in einer Residency im V2 lab Rotterdam den unreal game engine verwendet, um dort in Zusammenarbeit mit einer professionellen Programmiererin die game engine-Funktionen zu verändern, um eben z.B. Mails aus einem Game »schießen« zu können - was für Kunstinstallationen gut war!
Dann wäre auch noch eine Frage zu den Textverarbeitungsprogrammen: Durch die Möglichkeit von Korrekturen bzw. dem Copy/Paste-Mechanismus haben sich relativ leicht Texte entwickeln lassen. Wie war das bei dir?
Jahrmann: lol - als ob es copy paste nicht schon seit cut up und Borroughs in der Literatur und Kunst gäbe. Ein eigener Text entsteht nicht verstärkt durch copy/ paste.
Ich kann mich noch an die Schreibmaschine und den Rechenschieber in der Schule erinnern (Taschenrechnerverbot beim Schulabschluss 1976), es war grauenhaft.
Jahrmann: Ich nicht – da bin ich erst in die Volksschule gekommen und wir mussten schon Taschenrechner haben.
Jetzt müssen wir langsam zum Haupteil des Interviews kommen.
Also mich beschäftigt seit langem diese Zeit, in der der Prozessor begonnen hat die Kunst zu beeinflussen. Es war da unschwer vorauszusehen, dass der Computer die »prozessorientierte Kunst« beeinflussen wird. Interaktive Eingriffe in Prozesse waren genau so wichtig wie die Möglichkeit, verschiedene Disziplinen zusammenzuführen. (Bilder konnten Töne machen und umgekehrt). Genau so wichtig war die Telepräsenz. LIVE-Konzerte über Telefon und Bildtelefone zählten zur Avantgarde der Medienkunst. Es zentrierte sich jedoch alles noch auf einen Aufführungsort – die Zukunft eines dezentralen Netzes war aber bereits spürbar.
Kannst du mir da zustimmen?
Jahrmann: Was meinst du da genau damit? Ob man das »emerging network« »gespürt« hat? Telepräsenzarbeiten waren ja sicher schon Netzwerkarbeiten – obwohl ich die als eine Generation vor mir sehe, wenn es dir um eine Historisierung geht. Ich selbst habe ja 95/96 begonnen mit Max Moswitzer den Konsum-Server aufzubauen und dann mit dem Gedanken einer sozialen Gruppe jenseits monetärer Systeme zu spielen; darum haben wir den Namen und die Domain »Konsum« gewählt. Alle »worker« waren Genossenschafter auf unserem Server.
Eigentlich hab ich schon an die Generation vor Dir(/Euch) gedacht. An alle Arbeiten vor dem Internet, die mit Telepräsenz (als Netzwerkarbeiten wie du sie ansprichst) und Interaktion sowie transdisziplinäre Verflechtungen ---->
Jahrmann: Ich drucke in letzter Zeit Stoffe mit Quickreadcodes drauf und nähe damit »Code-Dresses« – da finde ich gut, dass das Netzwerk außerhalb des Objekts ist – also sprich über die Alltagstechnologie von QR-readern am mobile phone funktioniert. Gerade in Südafrika können wir da gerade auch ganz gute suberversive performances als »Urban Games« realisieren.
-----> in den Mittelpunkt rückten. Mich interessiert wie du diese »alten« Arbeiten einordnest. Denn all diese »Eckpfeiler der Medienkunst« ----->
Jahrmann: Ich ordne nicht gerne ein.
----->funktionierten ja erst dann mit dem Internet zuverlässlich, vorher war ja jedes »OnlineLIVE-Konzert« ein Abenteuer.
Jahrmann: Ja. Kunst muss immer Abenteuer sein.
Mich interessiert wie du diese Generation gesehen hast. Inwieweit hatten diese Arbeiten einen Einfluss auf Dich/Euch?
Jahrmann: Also ich verstehe nicht genau, was du mit diesem Generationen-Begriff meinst. Es kommt mir sehr eigenartig vor – denn ich habe immer erlebt, dass ich relativ anders als »Gleichaltrige gearbeitet« habe – dann später haben einige Studenten und Studentinnen von mir ähnliches gemacht (gerade elektronische Objekte – oder auch experimentelle Circuitboards als Kunstobjekte – die habe ich dann New Bachelor Machines genannt – siehe http://www.ludic-society.net/desire/)
Ähnlich war es mit den game-engine Installationen – um 2000 war das eigentlich noch sehr mit Vorurteilen betrachtet worden – und damals haben nicht so viele Kollegen im selben Alter (meinst du das mit Generation?)
Ich habe also nicht sehr viel auf »Generationen-Trennung gehalten« und kann das nicht so nachvollziehen, was bei dieser Fragestellung das relevante ist oder wirklich gemeint ist.
Als nächster Entwicklungsschritt kam das Netz. Ein Zeitalter der Modems und der BBSn. Das Netz hatte den Namen: FIDONET. Es war aber leider ein System, dass die geforderte Interaktivität und die Interdisziplinarität nicht bedienen konnte. Erst das Internet löste diese dann Mitte der 90er ein. Zusätzlich war das Internet mit seiner Layertechnologie nicht zu übertreffen, mit dem WorldWideWeb konnten wieder alle KünstlerInnen an einer zeitgemäßen Technik partizipieren.
Wie siehst du das?
Jahrmann: Ja den Hund aus Fidonet gibt es ja noch im Fetch-Programm ;) und verstehe ich dich richtig, dass du sagst, WWW hat die Teilnahme für Kunst ermöglicht?
Ich sehe das eher nicht so, denn die Layer habe ich immer als »Verschleierungs-Taktik« gesehen. Es hat eine bestimmte html-Ästhetik vorgegeben, die mich eher gestört hat. wir haben extra pages gemacht, die man als source code gleich wie als webpage ansehen konnte.
Verschleierungstaktik? Mich störte auf jeden Fall, dass die KünstlerIn nur am obersten Layer des Netzes manipulieren durfte. Je tiefer die KünstlerIn in der Layer-Technologie vordrangen, desto schwierger wurde für sie die Kunstvermittlung ------>
Jahrmann: Ich denke, dass ich das genau in meiner vorherigen Anwort gesagt habe. Ich kann mich an keine KünstlerInnen erinnern...
-----> die ein eigenes inkompatibles TCP/IP Protokoll propagiert haben.
Jahrmann: OK. Davon habe ich auch nicht gesprochen. Abgesehen davon, ist das eine technologische Entwicklungsarbeit, die man machen kann, wenn sie einen interessiert.
Kannst du dich noch erinnern als wir Ende der 80er einmal im Böhmischen Prater spazieren waren. Ich hatte einen Ausdruck von Phil Karns NOS – http://www.ka9q.net/code/ka9qnos/ mit - und wir wussten: Das war ganz ein anderes Netzwerk – und – es hatte sicher was mit der Zukunft zu tun. Das Internet war zwar bekannt, aber für den Normalverbraucher unerreichbar.
Jahrmann: Ja ich erinnere mich – muss aber sagen, dass der Prater an sich wesentlich eindrucksvoller war für mich, als der Ausdruck. Das ist dann in meine englische Doktorarbeit »The Art and Politics of Play« gemündet und hat auch einige play-Arbeiten nach sich gezogen, wie die Pongdress Performance im Prater http://www.ludic.priv.at/.
Die Funkamateure hatten für mich in Bezug der elektronischen Vernetzung und ihres rechtlichen Forschungsstatus immer vorbildliche Positionen, die man auf die Kunst anwenden hätte sollen.
Jahrmann: Da magst du wohl recht haben. Mit Funknetzen kenne ich mich aber wirklich zu wenig aus.
Ich seh es nicht aus der technischen, sondern eher aus der politischen Perspektive. Ich mag diese Informationsworker, weil sie autonom agieren. Aber gegen das Internet haben sie natürlich auch keine Chance, obwohl sie ein Class A IP-Netz zur Verfügung haben, und sie der Auffassung sind, sie tunneln das Internet durch ihr Informationsnetz.
Jahrmann: Ja, das verstehe ich und habe ja ganz am Anfang, als ich noch studiert habe, auch mit der ARGE Freie Frequenzen, die politsche Dimension angesprochen.
Klar weiß ich auch, dass du seit Jahren dazu arbeitest. Das ist ja das Interessante an der künstlerischen Arbeit von Franz Xaver – allerdings müsste ich DICH da eher interviewen, was du da gerade aktuell machst.
Welchen Einfluss hatte FLOSS (Freie und Opensource Software) auf deine Arbeiten?
Jahrmann: Ja, das war eine Zeit lang ein wichtiges Thema. Habe mit Richard Stallmann Interviews gemacht (in Spanien) zu GNU und haben seine »evangelist« speeches für eigene Arbeiten verwendet – ganz in deinem Sinne haben mich hier eher die politischen Konzepte sehr interessiert und sie waren sicher wichtig für weitere Entwicklungen in Richtung creative commons, etc.
Letzte Frage: Siehst du im Zeitraum Mitte der 1990er Jahre eine Neuorientierung der Medienkunst? Warum?
Jahrmann: So much looking back – mhm – naja, habe das noch nie so reflektiert. Das war die Zeit, als ich noch studierte habe – und klar, mit dem Beginn der Web-Sache und der Etablierung der Netzkultur für die »Massen« hat sich auch die Kunst, die ja die Lebensrealität reflektiert oder zumindest wiederspiegelt – neu ausgerichtet.
Ich denke aber, dass das Kunsthistoriker sicher gut »bearbeiten« – oder vielleicht auch bearbeitet haben... das ist aber nicht mein Metier.
Danke fürs Interview
Zur Person
Margarete Jahrmann (* 21. Juni 1967 in Pinkafeld) ist eine österreichische Medienkünstlerin und Kunsttheoretikerin.
Margarete Jahrmann studierte an der Universität für Angewandte Kunst in Wien. Zunächst erhielt sie einen Lehrauftrag für Programmiersprachen an dieser Universität. 1999 war sie als Gastprofessorin für Hybridmedien an der Kunstuniversität Linz tätig. Von 2000 bis 2006 lehrte sie als Dozentin am Studienbereich Neue Medien an der Hochschule für Gestaltung und Kunst in Zürich.
Seit September 2006 ist sie Dozentin in der Vertiefungsrichtung IAD (Interaction Design) im Programm Game Design der Hochschule für Gestaltung und Kunst in Zürich.
Als Künstlerin ist sie vor allem im Bereich Medienkunst aktiv. Sie ist unter anderem Mitbegründerin des Kunstservers konsum.net und an zahlreichen Netz- und 3D Game-Projekten beteiligt.
2003 erhielt sie für das Projekt »Nybble Engine« die Auszeichnung Interactive Arts beim Prix Ars Electronica. (wikipedia)
Erratum
In unserer Ausgabe vom September 2010 veröffentlichten wir zum Text von F.E Rakuschan in der Reihe »Mythos Medienunst« das Bild DIE ELEKTRONISCHE GALERIE. F.E Rakuschan legt Wert auf die Bekanntgabe, dass er als damaliges Mitglied von KUNSTLABOR lediglich für die theoretische Rahmung des Projekts DIE ELEKTRONISCHE GALERIE zeichnet (vgl. Kunstlabor: Electronic Gallery, in, Mythos Informatin. Welcome to the Wired World. Katalog der ars electronica 95, S. 271-280). DIE ELEKTRONISCHE GALERIE wurde in Teamarbeit realisiert: Franz Xaver, Max Kossatz, F.E. Rakuschan und Oskar Obereder.