Residency Winterhafen Linz 2010
Der Kunstmarkt boomt mit der Krise. Kapital will gut angelegt werden, um nicht weniger zu werden. Wenn Werte schwinden schafft man Kunstwerte. Ein alternatives Kapitalsicherungssystem abseits vom Finanzmarkt. Mit genügend Kapital und breit gestreutem Einkauf funktioniert diese Kapitalanlage ohne Risiko. Aber auch Ausstellungen in Museen und Kunsthäusern funktionieren zur Zeit ab einer bestimmten Größe und über ein professionelles Kulturmanagement bestens. Interaktive Installationen beziehen Besucher in die Ausstellungen mit ein, aber zugleich werden die Besucherströme wie Herden über ein ausgeklügeltes Einbahnsystem durch die Ausstellungen getrieben; die Besucherzahlen über Schulklassen und dem Argument der Kunstvermittlung in die Höhe geschraubt. Politik, Handel, AusstellungsmacherInnen und Tagesmedien sind also mit der Kunst im Moment sehr zufrieden. Ein funktionierendes künstliches System zeigt breite Wirkung.
Das »Artists in Residency«-Projekt Horizon will sich im Gegensatz dazu um Kulturschaffende kümmern, die sich mit aktuellen sozio-kulturellen Themen auseinandersetzen. Gerade im Bereich der neuen Medien besteht hier ein immenses Defizit. Die maschinelle Informationsverarbeitung verbessert und beschleunigt logische Konsequenzen, und treibt unter anderem oben genannte Kunstszenerie in schwindelnde Höhen. 10.000ende Menschen befinden sich in einem Höhenrausch der Kunst. Daneben haben die klassisch ausgebildeten KünstlerInnen schon lange aufgegeben sich mit dem Thema Neue Medien auseinanderzusetzen. Studierende werden schlecht ausgebildet, sie können sich gar keine Meinung zu aktuellen Informationsthematiken bilden. Sie sind zu UserInnen degeneriert, und trotten so durch oben genannte Szenerien. Es gibt keinen vernünftigen Lehrplan im Bereich der Neuen Medien. In unseren Universitäten herrscht nach wie vor ein Meisterklassenprinzip, bei dem eine absolute Weltanschauung vertreten wird. Im Bereich der Neuen Medien ist diese Struktur hoffnungslos überaltert, und hat mit der Wirklichkeit nichts mehr zu tun. Unsere diplomierten KünstlerInnen bringen zu aktuellen informationstechnologischen Fragen schon länger keinen Pups mehr hervor – keine Meinung – keine nennenswerte Positionierung.
Als zeitgenössisch und kulturreferezierend könnten am ehesten noch die FreeSoftware- und OpensourceprogrammiererInnen (FLOSS) gezählt werden. Weiters gehören auch AnwenderInnen von FLOSS, sowie Personen mit selbstprogrammierten Programmen und selbstgebastelten Maschinen zu den glaubwürdigsten Personen in diesem Genre. Aber auch sie kommen nach 15 Jahren langsam in die Jahre. Die Informationslawine rollt und kann nicht aufgehalten werden – Aufklärung bis zum bitteren Ende. Aber man findet sie noch vereinzelt: Jene Personen und TechnikerInnen, die sich nicht von der Informations-maschinerie verwalten lassen wollen. Sie ignorieren alle Regeln. Und es mag vielleicht an ihrer Lust an der Sinnfreiheit (frei vom Logos), an spontanen Entscheidungen, an der Musik und Lebensphilosophie liegen, die einen Gegenpol zu unserer sozio-kulturellen Situation erkennen lässt. In Bezugnahme auf die Strukturen des Informationssystems ist ein Wildwuchs einer logischen Vorgehensweise bzw. dem Konstruktivismus vorzuziehen.
Vor diesen Hintergründen wurden die KünsterInnen zu unserem »Artist in Residence«-Programm im Linzer Winterhafen eingeladen. Erste Künstlerin dieses Sommers war Eleonora Oriegga (Eleonora@Eleonore). Geboren in der Nähe von Mailand, lebte sie lange in Amsterdam. Sie arbeitete viel mit Dyne.org. Eine Kooperative von Personen, die eine Live-CD herausgibt. Als Live-CD bezeichnet man eine CD auf der das gesamte Betriebssystem und Anwenderprogramme bootfähig vorhanden sind. Fremdmanipulationen sind ausgeschlossen, da beim nächsten Start der Computer wieder am Anfangszustand ist. Neben der Opensourcearbeit war Eleonora auch in der Amsterdamer Squattingszene aktiv – schaffte so physische Räume für intellektuelle Personen und TechnikerInnen. Im Linzer Winterhafen arbeitete sie an analogen Schaltkreisen, die über Umwelteinflüsse, vor allem über Licht, Sound generierten. Aber auch das Unterwassermikrofon der Forschungsboje, die von der Stadtwerkstatt bei der Linzer Nibelungenbrücke betrieben wird, wurde für die abschließende Soundperformance im Café Strom verwendet. Über Stroboskope wurden Rhythmen und Sounds vorgegeben, die dann von Eleonora und Künstlerfreunden aus Mailand analog bearbeitet wurden.
Nach Eleonora kam Armin Medosch auf das Schiff. Armin – ein Urgestein der Medienkunst. Seit dem Zeitalter des Standalone-Homecomputers (Mitte der 80er Jahre) ist er ein Mitstreiter für Transdisziplinarität und Demokratisierung der Medien. Mit Radio Subcom trat er bereits vor 25 Jahren in der Stadtwerkstatt Linz und im Rahmen der Ars Electronica auf. Vielleicht spürte er Anfang der 1990er Jahre die automatische Demokratisierung über das Internetz, und ließ sich deshalb auf auf das Mega-Projekt Kunstschiff Stubnitz ein. Die Stubnitz, ein Kunst- und Kulturschiff mit 5.000 Bruttoregistertonnen (Vergleiche die Eleonore mit 42T). Als einer der Hauptinitiatoren trug er damals einen Großteil der Verantwortung, und die lastet noch heute auf seinen breiten Schultern. Seine Erfahrungen mit insulierten sozialen Systemen flossen in langen Gesprächen in die Potenziale der Eleonore ein. Nach der Stubnitz war Armin in der Welt der Netze tätig. Telepolis, heise.de, Opensource und Funknetze prägten ihn als Aktivist und Kurator von Netzkunst und Netzkultur. Einer der ganz wenigen »alten« Medienkünstler, der seine Weltanschauung trotz Internet und Copyleftbewegung nicht aufzugeben brauchte. Sie passte in sein Schaffen wie das Bit ins Byte. Die Zeit in Linz nutzte er, um im Archiv der Ars Electronica nach den Medienkunstereignissen vor dem globalen Netz zu forschen. Eine ganz wichtige Arbeit, die er hier leistete, denn diese Dokumente prägten die Vergangenheit. Über verschieden gewichtete Archivbeiträge ließen sich Positonsverschiebungen aufspüren, die aus einer Globalisierung und Kommerzialisierung der neuen Medien resultieren.
Nach Armin kam die Cooperative Girl.tv aus Hamburg an Bord. In Vertretung von Girl.tv waren Michael Heering und Elena Getzieh in Linz. Girl.tv ist einer der wenigen FLOSS-Server, die von KünstlerInnen betrieben werden. Oft beschäftigen die KünstlerInnen dafür Techniker – falls sie sich das leisten können. Bei Girl.tv ist das nicht so. Girl.tv sieht sich als Living Webpage. Sie arbeiten viel mit der Vermischung von realem mit virtuellen Leben. Unter anderem wurde die Treppe vor der Stadtwerkstatt mit der Treppe von Panzerkreuzer Potemkin zu filmischen Skizzierungen verarbeitet, wobei auch Schiffscamouflagen mit einbezogen wurden. Die Eleonore wurde über die Sicht der Webcam mit Schiffscamouflagen getarnt.
Als vorerst letzte Künstlerin kam Theresa Schubert aus Weimar. Sie lebt und arbeitet zur Zeit in Linz im Ars Electronica Center, und wohnte deshalb nicht auf dem Schiff. Theresa beschäftigt sich mit Schleimpilzen. Ein interessantes Thema, da sich der Schleimpilz in keine Gattung einordnen lässt. Der Schleimpilz hat Potenzial, in der natürlichen Informationsentwicklung eine besondere Rolle einzunehmen. Sich mit Informationsverarbeitung auseinandersetzen zu wollen, ohne dass man auf die Natur sieht, macht wenig Sinn. Nicht im Sinn der Bionik, bei der man meist nur auf effektivere Maschinen und Tragwerkskonstruktionen bedacht ist, sondern um die Informationentwicklung in der Evolution besser verstehen zu können.