Das Kapital als Jüngstes Gericht
Zum Unheimlichsten an der Krise gehört, wie wenig die Beobachterin in Deutschland von ihr verspürt. Egal, ob der Zusammenbruch der Eurozone droht oder gar die Wiederholung der Großen Depression von 1929 – was die Öffentlichkeit umtreibt, ist vielmehr ein Bundespräsident, der sich von seinen betuchteren Kumpels ein paar Butterbrote hat zustecken lassen. Selbst die pflichtbewussten Appelle zum gemeinsamen Anpacken klingen eher halbherzig-routiniert. Besser, man redet gar nicht erst darüber; das bringt nur auf dumme Gedanken. Die taz geißelte das Bundesverfassungsgericht, als es beim Europäischen Rettungsschirm auf dem Mitspracherecht des Parlaments bestand, obwohl derlei demokratischer Firlefanz doch nur das »Vertrauen in den Euro erschüttert«1, und als die griechische Regierung gar erwog, die Bevölkerung über die Sparmaßnahmen, die ihnen zugemutet werden, abstimmen zu lassen, galt das allgemein als Affront: Die wollen auch noch mitreden! Selbst die gehobeneren Verlage scheinen sich, wie auf geheimen Befehl, einig, dass es nichts zu diskutieren gibt, und machen – mit Ausnahme der obligatorischen Jammertraktate über Gier, Verantwortung und Deutschlands Rolle als Zahlmeister – ums Thema einen weiten Bogen. Die Massen ziehen derweil, diszipliniert wie bei einer Katastrophenübung, in die Kaufhäuser und sorgen auch 2011 wieder für einen neuen Umsatzrekord beim Weihnachtsgeschäft.
Besonders lautstark schweigen dabei die Linken. Jahrzehntelang waren sie damit beschäftigt zu entlarven, wie sehr doch hinter allem der Kapitalismus stecke und wie schädlich das für die Leute sei. Jetzt, wo das Übel unübersehbar geworden ist, haben sie besseres zu tun. Gerüchteweise sollen sich zwar nach 2007/08 die Verkaufszahlen des Kapitals vervielfacht haben. Aber darüber muss den Herrschenden nicht bange werden. Wer sich jetzt die paar Tausend Seiten Kritik der politischen Ökonomie vornimmt, rechnet für die nächsten Jahre mit ausreichender Muße. Von militanten Demonstrationen gegen Hartz-IV-Schikanen und europaweite Verarmungsprogrammen war bislang jedenfalls nichts zu vernehmen.
Am befremdlichsten daher, dass das allgemeine linke Schweigen zur Krise auch ihre antideutsche Strömung einbeschließt. In den 90ern hatte man noch vor deutschen Großmachtgelüsten gewarnt; seit aber die Landsleute wirklich als beinharte imperialistische Führungsmacht auftreten und gegen Schmarotzer und »Pleitegriechen« in Stellung gehen, ist davon kaum noch etwas zu hören. Deutsche Ideologie, so hatte man dort jahrelang gepredigt, heiße inzwischen rot-grüne Wellnesspolitik und »regressiver Antikapitalismus«. Da will eine Eiserne Kanzlerin, die den »Schuldensündern« die Pauperisierungsprogramme diktiert (und den USA die teure Drecksarbeit des Bail-out überlässt), nicht recht ins Bild passen – selbst wenn die historischen Analogien, etwa zu Brünings Notstandsmaßnahmen, sich förmlich aufdrängen und der deutsche Irrationalismus – Austeritätspolitik, und wenn darüber alles in Scherben fällt – geradezu ins Auge springt.2 Kaum etwas obszöner (und für den Zustand der Welt symbolischer) als die Tatsache, dass Griechenland, nach jahrelangem vergeblichen Ringen um Entschädigung für das Massaker in Distomo, nun als Bittsteller unter deutscher Protektoratsverwaltung steht. Weil das aber hierzulande keinen mehr empört, bleibt antideutsche Kritik wieder dem Ausland überlassen. Was vielleicht ein Segen ist: Das versteht davon einfach mehr.
Was Stapelfeldts monumentale Abhandlung über die Kapitalistische Weltökonomie meilenweit aus anderen Veröffentlichungen zum Thema heraushebt, ist genau die Tatsache, dass Stapelfeldt, fast als einziger, den Zusammenhang von politischer Ökonomie und deutscher Ideologie entfaltet. Indem er die neoliberale Formation des Weltmarkts bis zurück zu Lists nationalem Handelsstaat und Hayeks Ordoliberalismus verfolgt, rekonstituiert er Ökonomie- als Ideologiekritik. Freilich hat er es damit schwerer, als Marx es hatte. Dessen Protagonisten, Smith und Ricardo, ließen sich an ihren Widersprüchen packen; Hayek und seine Schule aber kennen, Kennzeichen jeder deutschen Ideologie, gar keinen Wahrheits-anspruch mehr, an dem sie zu messen wären. Ihre Grundbegriffe erklären heutige Volkswissenschaftler offen zu nicht weiter hinterfragbaren Mysterien; sie leugnen, wie in Maggie Thatchers berühmten Satz, eine Gesellschaft gäbe es nicht, nichts weniger als ihren ureigenen Untersuchungsgegenstand. Indem das ökonomische Denken sich ganz der Irrationalität der Verhältnisse einpasst, wird es, wie Stapelfeldt verzweifelt feststellen muss, recht eigentlich unkritisierbar.
Lustigerweise könnte sich das als Schlüssel erweisen, ein Phänomen wie das der Ratingagenturen zu verstehen. Von denen hört man, seit die EU in die Schuldenkrise gestürzt ist, viel, und meistens wenig Gutes. Dank Christoph Pragers handlicher kleiner Studie kann man nun auch wissen, wie diese ominösen Institutionen funktionieren. Überzeugend weist er nach, dass ihr rasant gewachsener Einfluss nicht einfach im Sinne ökonomischer Rationalität zu erklären ist. Wer auf den Finanzmärkten tätig ist, hält sich ohnehin seine hauseigenen Analysten, und seltener falsch als diese liegen auch die Ratingagenturen in der Regel nicht. Prager vermutet, es müsse daher etwas mit »Habitus« und »symbolischem Kapital« zu tun haben; aber das bleibt doch arg befangen in der Vorstellung, die herrschende Klasse konstituiere sich vor allem aus einer Ansammlung mächtiger Männer. Der wirkliche Grund dürfte in dem liegen, woran sich auch die Kritikerin die Zähne ausbeißt: dass ökonomische Theorie an ihrem Gegenstand verrückt werden muss. Während sich die Akademie mit Verleugnung helfen kann, haben es die Praktiker nicht so leicht. Joseph Vogl referiert in seiner Studie über Das Gespenst des Kapitals die beiden vorherrschenden, sich wechselseitig ausschließenden Schulen, wie der Sinn von Börsenkursen zu erfassen sei: Die einen sind überzeugt, deren Stand zeige, weil sie alle verfügbaren Informationen verarbeiteten, den exakten Wert des notierten Unternehmens an; die anderen wiederum fordern, sich jedes außermathematischen Wissens zu entschlagen, um deren zukünftigen Verlauf statistisch zu extrapolieren. Funktionieren tun selbstverständlich beide nicht. (Paul Mattick wiederum berichtet von einem Ökonomen, der in den 1930ern die Kursschwankungen auf Sonnenflecken zurückführte, was auch nicht schlechter liegen dürfte.) – Wenn aber ohnehin niemand sagen kann, was an der Börse passiert, dann sind die meisten wahrscheinlich froh, die Verantwortung an eine komische Agentur delegieren zu können: Einer muss ja das Orakel machen.
Die Scheu davor, etwas zu sagen zu haben, beschränkt sich nicht nur auf die Finanzsphäre. Politiker erfüllen in der Ägide des Sachzwangs die gleiche Rolle wie Fußballtrainer: jemanden zu haben, den man absetzen kann, wenn es nicht läuft. Spiegelbildlich die Linke. Wie überflüssig sie sich wähnt, plaudert eine ihrer hysterisch-optimistischsten Strömungen, der so genannten Postoperaismus, aus. Früher führte er in italienischen Fabriken einen ehrenwerten Kampf gegen die Arbeit; heute verkünden die Vordenker (im deutschsprachigen Raum vertreten durch Christian Marrazi und den Autoren des Sammelbands Die Krise denken) die Frohe Botschaft, dass es den Sozialismus eigentlich schon gäbe: Die Finanzkrise beweise unwiderruflich, dass das Kapital nur noch ein unproduktives Rentiersdasein führe, das an der Selbstverwertung der Arbeit schmarotze. Was aber würde passieren, würfe die Gesellschaft diese tote Hülle ab? Es gäbe ein (großspurig »Biorevenue« genanntes) Grundeinkommen und die Politik würde »von unten neu anfangen« (Marazzi). Es würde sich, mit anderen Worten, eigentlich gar nichts ändern.3
Die allgegenwärtig zu beobachtende Unfähigkeit, sich auszumalen, wofür es sich zu herrschen (oder eben auch zu opponieren) lohnt, ist Ausdruck einer Gesellschaft, der nur, ob in der Politik oder in der Kulturindustrie, das unablässige Recycling der Gegenwart bleibt, weil sie die Zukunft längst hinter sich, nämlich ganz wortwörtlich: verpfändet hat. Das macht es auch so schwer zu entscheiden, ob die Ruhe, welche die Deutschen in der Krise an den Tag legen, auf Zuversicht beruht oder auf Fatalismus: auf dem Wissen, dass sie aus dem Schlamassel als Gewinner herauskommen werden oder auf der Überzeugung, dass es ohnehin nichts gibt, auf das es sich zu hoffen lohnt. Wahrscheinlich bedeutet das eh keinen großen Unterschied. – In seiner klugen kleinen Studie über die zeitgenössischen kulturindustriellen Gruselphantasien bemerkt Calder Williams an einer Stelle, der Reiz von Zombies oder Aliens läge nicht zuletzt darin, dass sie einen Verantwortlichen fürs Elend fassbar machen. Vielleicht aber sind die Untoten im Film vor allem eine willkommene Ablenkung von den Untoten in der Wirklichkeit. Der wahre Horror besteht darin, um Benjamin zu paraphrasieren, dass selbst der Untergang die Leute nicht daran hindert, mit ihrem Leben einfach immer so weiter zu machen.
Im Zusammenhang mit den lebenden Toten auf Wolfgang Pohrt zu sprechen kommen, drängt sich in mehr als einer Hinsicht auf. Nicht nur, weil von Pohrt die luzidesten Analysen stammen, wie das Bedürfnis nach staatlicher Komplettfürsorge, Absicherung durch Herrschaft, nur im Massenselbstmord seine Erfüllung finden kann. Sondern auch, weil sein eigener Nekrolog gar nicht so lange zurückliegt. Noch 2004, anlässlich des Erscheinens von FAQ, hatte Pohrt noch erklärt, er habe den Vorschlag seines Verlegers nach einem Auswahlband der besten Aufsätze abgelehnt, weil ihm derlei Nachrufe zu Lebzeiten nicht behagten. Sechs Jahre später erschien dieser dann doch, und wirklich als eine Art Testament: Mehr als in »Jonestown, Guyana«, in den Polemiken gegen die völkische Sehnsucht der Alternativen und die »Untergangsvision als Stahlbad«, den Essays zum Nachleben des Nationalsozialismus oder zur »Folter als Erlebnis« gibt es über die Epoche seit 1968 nicht zu sagen. Umso überraschender daher, dass Pohrt nun einen neuen Band, einen assoziativen Großessay namens Kapitalismus Forever vorlegt.
Sichtbar genießt er darin seine neu gefundene Rolle als leutseliger Rentner, der gerne spazieren geht, sich über seine Illusionen von früher lustig macht, im Plauderton (»eine Geschichte noch«) Beobachtungen vorträgt und sich ansonsten nicht so wichtig nimmt. Aus seiner alten Einsicht, dass der geschichtliche Moment der proletarischen Revolution versäumt wurde, zieht er nunmehr die Konsequenz, sich ein für allemal damit abzufinden: Den Kapitalismus, so Pohrt, könne man nur dafür bewundern, dass alles, was die Menschen tun, ihm bloß zum weiteren Gedeihen anschlägt. Schon Marx hätte eigentlich gewusst, dass er unbezwingbar sei.
Freunde macht er sich damit nicht. Die einen beklagen eine ›Naturalisierung gesellschaftlicher Verhältnisse‹; die anderen, Pohrt habe nicht den Islam als neuen Hauptfeind erkannt. Aber darin, sich keine Freunde zu machen, ist Pohrt nun wahrlich geübt. Überhaupt wirkt die Kontinuität, sieht man etwas genauer hin, größer, als es zunächst den Anschein macht. Zwar macht es, anders als in früheren Texten, wenig Mühe, dem Autor seine bizarren Spekulationen, peinlichen Schnitzer und offenbaren Widersprüche vorzurechnen: etwa, wenn er, der von der Ewigkeit des Kapitals überzeugt sein will, zugleich (und ganz zurecht) die Leute verspottet, die wegen der Staatsschuld vor Sorge um ihre Kinder nicht mehr schlafen können und also suggerieren, in fünfzig Jahren werde die Welt immer noch dieselbe sein wie heute. Immer, wenn er apologetisch werden will, verheddert Pohrt sich in seinen kosmischen Perspektiven. Die Landsleute sähen, bloß weil es ihnen schlechter geht, immer gleich die Welt untergehen, aber anderswo ginge es den Leuten ja dafür besser.4 Dumm nur, dass man davon in Afrika und Lateinamerika (oder auch unter den chinesischen Massen) nicht viel mitbekommt. Der Kapitalismus ist nun einmal kein Nullsummenspiel.
Wahr ist nur der erste Teil des Gedankens, der bösartige: dass mit der Krise genau die neoliberalen Armutsprogramme in die Metropolen zurückkehren, die man jahrzehntelang den Ländern in den hungernden Kontinenten aufgezwungen hat. In der Freude über derlei grimmige Gerechtigkeit (die freilich die, die sie am meisten verdient hätten, am wenigsten zu spüren bekommen) zeigt Pohrt, was Denken in der Krise heißen kann: ein ärmeres und gröberes vielleicht als in den guten alten Zeiten, aber darin auch ein befreiendes. Treffend ist Pohrts Lob des Kapitalismus dort, wo es auf dessen vorgeblichen Gegner zielt, auf das oppositionelle Krisengejammer, das anzeigt, wie wenig man im Grunde gegen Herrschaft hat, wenn es nur einem selbst nicht an den Kragen geht. Er mag sie alle nicht, die Wagenknechts, die Chavez und all die anderen »kleineren Übel«, und wer will ihm da widersprechen.
Sie alle haben für ihre Feigheit, ihren Kleinmut und ihren Opportunismus nichts besseres verdient als das Kapital, und nicht nur sie. Schlau, schreibt Pohrt, seien die Kommunisten nur ein einziges Mal in ihrer Geschichte gewesen, 1989 nämlich, als sie den Klassenfeind mit dessen eigenen Waffen schlugen: »Zwanzig Jahre Mauerfall, und der Westen steht vor dem Staatsbankrott.« Ohne die Idee der Höllenstrafe, hieß es in einem seiner früheren Texte, müssten die Menschen am Leben verzweifeln. Das Fazit seines neuen Buches lautet: »Im Kapitalismus gibt es nur einen Gewinner, nämlich das Kapital. Der Verlierer sind immer die Menschen, und zwar alle, egal ob im Ghetto oder der Gated Community. Offensichtlich mögen sie das. Dagegen kann man nichts machen.« Der Kapitalismus als das säkularisierte Jüngste Gericht: Vielleicht ist das wirklich die letzte Hoffnung, die die Menschheit noch hat.
Literatur
Wolfgang Pohrt, Gewalt und Politik. Ausgewählte Schriften. Ed. Tiamat, 2010, 447 S., € 22,-
Ders., Kapitalismus Forever. Über Krise, Krieg, Revolution, Evolution, Christentum. Ed. Tiamat, 2012, 111 S., € 13,-
Christian Marazzi, Sozialismus des Kapitals. Diaphanes, 2012, 157 S., € 14,90
Joseph Vogl, Das Gespenst des Kapitals. Diaphanes, 2010/12, 223 S., € 14,90
Sandro Mezzada / Andrea Fumagalli (Hg.), Die Krise denken. Finanzmärkte, soziale Kämpfe und neue politische Szenarien. Unrast, 2010, 176 S., € 14,-
Christoph Prager, Ratingagenturen. Funktionsweisen eines neuen politischen Herrschaftsinstruments. Mandelbaum, 2012, € 14,90
Paul Mattick, Business as Usual. The Economic Crisis and the Failure of Capitalism. Reaktion Books, 126 S., £ 12,90
Evan Calder Williams, Combined and Uneven Apocalypse. Zero Books, 2010, 252 S., $ 24,95
Zum Weiterlesen: Die beste und materialreichste, ökonomie- wie ideologiekritisch fundierteste Analyse zu den Vorbedingungen der Krise findet sich in: Gerhard Stapelfeldt, Kapitalistische Weltökonomie. Vom Staatsinterventionismus zum Neoliberalismus. Kritik der ökonomischen Rationalität, Bd. 4, Buch 1 u. 2. Kovac 2009, 710 / 506 S., € 78,- / 88,-
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[1] http://www.taz.de/Kommentar-zum-Eurorettungsschirm/!82792/
[2] Der Zusammenhang ist alles andere als willkürlich. Bereits vor dem Ersten Weltkrieg betrug in Deutschland der Anteil des Außenhandels am Volkseinkommen, der hochgradig vertrusteten Wirtschaft gemäß, ziemlich genau ein Drittel. Nach den beiden gescheiterten Anläufen zur Weltherrschaft zog man in der neu gegründeten Bundesbank den Schluss, beim dritten Mal die Feinde lieber mit einem »währungs- und fiskalpolitischen Merkantilismus« niederzuwerfen zu versuchen. Getreu der modernisierten Verzichts- und Opferbereitschaft, derzufolge um des Exports willen »die inneren Dinge knapp« zu halten wären, stieg in Deutschland die Binnennachfrage im neuen Jahrtausend um gerade mal 1,7 %; in Japan, den USA und der Rest-EU liegen die entsprechenden Raten zwischen 5 und 13 %. Ähnliche eklatante Unterschiede gibt es auch in der Reallohnentwicklung zu verzeichnen. Unter dem Unwillen der deutschen Arbeiterklasse, für höhere Löhne zu kämpfen, haben so die Proletarier anderswo zu leiden.
[3] Auch der oben zitierte Joseph Vogl steht dieser Strömung nahe. Als Literaturwissenschaftler ist er allerdings, zu seinem Vorteil, weniger für die unmittelbaren Programmschriften verantwortlich. Stattdessen zeigt er in seiner Analyse des ökonomischen Schrifttums, wie dieses die Theologie als Muster der Weltdeutung ablöst. Das kommt zwar ein wenig schöngeistig daher (und wird entsprechend vom Feuilleton, das lieber von ›Oikozidee‹ hört als von Arbeitsbedingungen in Sweatshops, gepriesen), ist aber als Ideologiekritik
trotzdem lesenswert.
[4] Vorn ferne erinnert das an Peter Hacks‘ Fazit über das Ende des Realsozialismus, das ja auch das Ende des fordistischen, auf Massenkonsum basierenden Kapitalismus bedeutete: Wie immer habe man gedacht, es gehe die Menschheit unter, und wie immer habe es sich nur als Untergang der Zivilisation entpuppt. Während Hacks aber heiter den Blick über die Epochen schweifen lässt (»Gut, das Jahrtausend war nichts. Sprechen wir / Von Nummer drei, Genossen, oder vier«), macht Pohrt exakt das, was er anderen so gerne vorwirft, nämlich sich zum Maßstab: Weil er aller Voraussicht nach das Ende des Kapitals nicht mehr erleben wird, wird es keiner.