Vom Führer zu den »neuen Juden«

Stephan Grigat über die FPÖ nach Jörg Haider.

Die Freiheitlichen, die sich in Österreich seit Neustem bekanntlich wie »die neuen Juden« fühlen, haben noch 2009 im Europaparlaments-wahlkampf in einer Anzeige in der Kronenzeitung die antisemitischen Ressentiments der Leserschaft bedient, indem sie sich gegen einen von niemandem ernsthaft diskutierten EU-Beitritt Israels in Pose warfen und die grüne, sozialdemokratische und konservative Konkurrenz auf Grund ihrer vermeintlichen Unterstützung solch eines Beitritts im traditionellen Nazi-Jargon als »Handlanger der Amerikaner« denunzierten. In der aktuellen Krise geraten nun in Europa ganz andere Personen und Institutionen als »Handlanger der Amerikaner« ins Visier des Volkszorns: Hedgefondsmanager und Börsenspekulanten, Ratingagenturen und Investmentbanken. Ende 2011 griff beispielsweise der Haus- und Hofdichter der österreichischen Kronenzeitung, Wolf Martin, die nationalsozialistische Unterscheidung von »raffendem« und »schaffendem« Kapital auf und reimte in der auflagenstärksten Tageszeitung des Landes: »Das Spekulantenpack ist schädlich, doch nicht das Kapital, das redlich.« Und große Teile der Linken geben sich mit ihren Attacken gegen das »Spekulantentum« und gemeinschaftsschädigende »Heuschrecken« größte Mühe, den rechten Kämpfern gegen die »Zinsknechtschaft« in nichts nachzustehen. Dennoch ist auffällig, dass in der wohl größten ökonomischen Krise nach 1945 gerade in Österreich und Deutschland zwar das keineswegs nur für die postnazistischen Gesellschaften obligatorische Ausspielen vom »bösen Markt« gegen den »guten Staat« über alle Parteigrenzen hinweg fröhliche Urstände feiert, aber zumindest bisher keine offen antisemitische Massenpanik ausbricht. Es bleibt allerdings abzuwarten, welches Krisenbewusstsein sich in Deutschland und Österreich letztlich durchsetzen wird, wenn dort die Auswirkungen der Verwertungskrise sich trotz der Versuche Deutschlands, sich an der Krise in anderen, insbesondere den südeuropäischen Ländern zu sanieren, in einer Art bemerkbar machen werden, die heute noch gar nicht abzusehen ist.

Der verblichene Meister

Einer, dessen Auftreten und Politik lange Zeit auch für Krisenverwalter aus anderen Parteien Modellcharakter hatte, und der wohl in der aktuellen Situation zur Höchstform aufgelaufen wäre und wie ein Ferment für das regressive und ressentimenthafte Krisenbewusstsein gedient hätte, weilt seit einigen Jahren nicht mehr unter uns. Den österreichischen Fremdenfeinden und dem modernisierten europäischen Rechtsextremismus ist 2008 mit Jörg Haider eine Leitfigur abhanden gekommen, weil sie sich volltrunken hinter das Steuer setzte und nach Walhall raste. Seine früheren Konkurrenten, die ihn schon zu Lebzeiten nicht nur beneidet, sondern immer auch ein wenig bewundert haben, übten sich angesichts dieses Abgangs in »Pietät«, die jedes böse Wort über den Verstorbenen verbiete. Sie kaschierten damit ihre hemmungslose Verklärung und Verharmlosung eines Politikers, dem sie früher nur mit begriffs- und substanzlosen Demokratiebeschwörungen bei gleichzeitiger weitestgehender Übernahme der Politik dieses Lautsprechers der postnazistischen Volksseele begegnen konnten.
Zum Begräbnis Haiders waren dann alle noch einmal nach Klagenfurt gekommen, um vom prototypischen Führer der demokratisierten Volksgemeinschaft Abschied zu nehmen: Zum langjährigen Haider-Freund und Ghaddafi-Sohn mit dem Sympathie verströmenden Vornamen »Schwert des Islam« gesellte sich der Bundespräsident, der Bundeskanzler und sein designierter Nachfolger, Ex-Kanzler und Vizekanzler von der Volkspartei und fast alle Minister der damaligen großen Koalition, sämtliche Landeshauptleute, der Präsident der Wirtschaftskammer und der Vorsitzende der Gewerkschaft, Kameradschaftsbündler, Burschenschaftler in vollem Wichs und 30.000 trauernde Bürger. Das Bundesheer hielt Ehrenwache. So war Österreich noch einmal ganz bei sich – als große postnazistische Familie, in der alle um so fester zusammenstehen, je mehr sie sich alle hassen.
Auch Veteranen der Waffen-SS, die Haider in früheren Jahren als »anständige Menschen« bezeichnet hatte, »die einen Charakter haben, die auch bei größtem Gegenwind zu ihrer Überzeugung stehen und ihrer Überzeugung bis heute treu geblieben sind«, nahmen an den Feierlichkeiten mit der versammelten Staatsspitze teil, und der ORF war sichtlich bemüht, die ordenbehängten Recken nicht ins Bild zu rücken. In den letzten Jahren vor seinem Tod hatte man Lob für die nationalsozialistischen Vernichtungskrieger oder für die »ordentliche Beschäftigungspolitik im Dritten Reich« (Haider vor dem Kärntner Landtag 1991) allerdings nicht mehr gehört, und in einem seiner letzten Interviews kritisierte er die mangelnde Abgrenzung der FPÖ zum offenen Neonazismus. Sein neuestes Projekt dürfte darin bestanden haben, den postfaschistischen Konsens und die postnazistischen Ressentiments gegen jene Nazis zu organisieren, die vom Hitlergruß nicht lassen können, was aber wohl auch nichts daran geändert hätte, dass die alten Kameraden jährlich mit Unterstützung der Landesregierung am Kärntner Ulrichsberg aufmarschieren.
Österreich hat 2008 seinen Führer der Herzen verloren, der sich als Leitfigur für die nach gemeinschaftlicher Wärme lechzenden Opfer seiner Wirtschaftspolitik und für die erfolgreichen, kaltschnäuzigen Eventhopper in Kärnten gleichermaßen etablieren konnte. Haider hat in seinem arisierten Bärental seine letzte Ruhe gefunden, aber es war absehbar, dass sich an der Unerträglichkeit der österreichischen Normalität auch ohne ihn nicht viel ändern würde. Ein Charakteristikum der postnazistischen Gesellschaft in Österreich besteht darin, dass die zwangsdemokratisierten Nazis nicht als solche bezeichnet werden, sondern als »nationales« oder »drittes« Lager neben dem sozialdemokratischen und konservativen zum integralen Bestand der Zweiten Republik zählen. Eine Kooperation mit diesem »dritten Lager« stellt daher stets eine Option dar. Und bekanntlich existieren heute sowohl in der Sozialdemokratie als auch bei den Konservativen maßgebliche Stimmen, die sich die Möglichkeit einer Kooperation mit der FPÖ nach den Nationalratswahlen 2013 unbedingt offen halten wollen.

Haiders Erben

Daran ändert auch das mittlerweile bei den Freiheitlichen dominierende Personal nichts. Barbara Rosenkranz beispielsweise, die FPÖ-Präsidentschaftskandidatin des Jahres 2010, die laut einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte straffrei als »Kellernazi« bezeichnet werden darf. Das »Personenkomitee für Barbara Rosenkranz« pries die FPÖ-Inhalte als Beitrag zu einer »Demokratisierung Österreichs« an. Die Betonung der Demokratie im Sinne des gesunden Volksempfindens, das gegen die republikanischen Institutionen und die staatlichen Vermittlungsinstanzen in Anschlag gebracht wird, steht ganz in der Tradition von Jörg Haider. Der gegenwärtige Einfluss der offen rechtsextremen Parteikader und der deutschnationalen Burschenschaftler auf die FPÖ bedeutet hingegen eine partielle Abkehr vom Modernisierungsprogramm des ehemaligen Vorsitzenden. »Unterm Haider hätt’s das nicht gegeben«, dürften sich bei der Nominierung von Rosenkranz nicht wenige jener Fans des verunglückten Führers gedacht haben, welche die allzu offene NS-Nostalgie schon immer reichlich antiquiert fanden.
Doch ähnlich wie in Deutschland kann auch in Österreich eine Partei mit allzu offener Nähe zum historischen Nationalsozialismus heute offenbar nur mehr einen vergleichsweise geringen Teil der Wähler ansprechen. Das nötigt jene die Partei heute dominierenden Burschenschaftler wie den EU-Parlamentarier Andreas Mölzer, den stellvertretenden Parlamentspräsidenten Martin Graf oder auch den steirischen Parteivorsitzenden Gerhard Kurzmann, der bekennendes Mitglied der Kameradschaft IV der Waffen-SS ist, die vermeintlich »unideologischen Populisten« um Parteichef Strache und Generalsekretär Herbert Kickl weitestgehend das politische Tagesgeschäft bestreiten zu lassen. Bisher bekanntlich mit reichlich Erfolg – was umso bedrohlicher ist, als hierzulande selbst Straches Auftritt beim WKR-Ball kein Grund ist, möglichen Kooperationen mit der FPÖ eine Absage zu erteilen. Das heißt, selbst Vergleiche einer antifaschistischen Demonstration mit den antisemitischen Ausschreitungen in der »Reichskristallnacht« und Straches Eröffnungsrede zum deutsch-völkischen Burschenschaftlerball, in der er verkündete, er sei »stolz auf jeden unserer Alten Herren« (also unter anderem auf Ernst Kaltenbrunner, Irmfried Eberl, einst Kommandant des Vernichtungslagers in Treblinka, und Horst Wessel) können die Koalitionsfähigkeit der FPÖ ernsthaft beschädigen.
Das Problem in diesem Land ist, dass Leute wie Martin Graf oder Harald Stefan in den Medien als ganz normale Diskussionspartner durchgehen. In einem Land, das der auch in Deutschland nur partiell wirksamen reeducation der Alliierten allein schon durch die Lüge von Österreich als erstem Opfer des Nationalsozialismus entging, gehören selbst Politiker zum normalen Inventar der Nation, die in Gruselvereinen wie der Burschenschaft Olympia assoziiert sind, die eine zentrale Rolle als Scharnier zwischen dem gerade noch legalen Rechtsradikalismus und dem offen neonazistischen Milieu spielt.

Postnazismus revisited
Das Nachleben des Nationalsozialismus im 21. Jahrhundert

Buchpräsentation & Diskussion mit dem Herausgeber Stephan Grigat

Der Band Postnazismus revisited versammelt Beiträge, die grundlegende Überlegungen zum Nachleben des Nationalsozialismus in den postfaschistischen Gesellschaften anstellen. Sie setzen sich sowohl mit der modernisierten Vergangenheitspolitik in Deutschland als auch den Erfolgen der FPÖ unter und nach Jörg Haider auseinander. Die Aufsätze beinhalten Gedanken zur Kritik des Postnazismus im Zeitalter des Djihadismus und formulieren eine Kritik am »Islamophobie«-Begriffs vor dem Hintergrund der Diskussionen über den norwegischen Attentäter Anders Behring Breivik.

STADTWERKSTATT Servus Clubraum, 1. Stock
Montag, 28. Mai 2012, 19.00 Uhr

Eine Veranstaltung aus der Reihe antidot von Stadtwerkstatt und libib

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