Günter, das ist Gegenkultur!
Die unumgängliche erste Frage: Warum hast du das Buch geschrieben?
Ich habe mit dem Gedanken schon Jahre gespielt, das aufzuschreiben, was ich 1981 in der STWST erlebt habe … und dann hat es gepasst. Im 2009er Jahr habe ich noch den Karmayr im Landesgericht präsentiert und danach ist der Gedanke wieder aufgetaucht. Man kann sagen, das Vorhaben hat sich schön langsam von selbst entwickelt.
Gleich zum Stichwort Karmayr: Viele kennen dich mit Arbeiten zu diesem Kriminalrichter, vor allem aber mit deinen Brandzinken – die dich im Endeffekt auch zum »Brandzinken Günter« gemacht haben. Willst du vielleicht kurz was dazu sagen?
Die Brandzinken waren Zeichen, mit denen sich die Vaganten und Ganoven des 18. Und 19. Jahrhunderts verständigt haben. Diese ursprünglichen Zeichen waren sozusagen Verständigungsmittel, z.B. wo etwas zu holen ist oder nicht. Das waren ja alles Analphabeten damals. Kajetan Karmayr, der Kriminalrichter von Freistadt, hat zwischen 1820-30 diese Zeichen notiert, genau 1739 Stück. Und er hat auch die damalige Vaganten- und Ganovensprache aufgeschrieben.
Zurück zum Buch: Die beschriebene Zeit als Cafewirt und als Bewohner der frühen STWST dauert von Frühling bis Herbst 1981. War die STWST trotzdem mehr als eine Phase für dich?
Ich bin noch lange dabei gewesen, hauptsächlich aber als Gast. Bis 1992 habe ich mich aber als lebender Bestandteil der Szene gesehen und war auch regelmäßig dort.
Und ab 1992 nicht mehr?
Das Café war dann übergangsmäßig geschlossen. Dann bin ich auf den 50er zugegangen und habe gespürt, dass das jetzt für eine jüngere Generation ist. Ich hatte aber Ausstellungen in der STWST, zum Beispiel 1991 eine zum Noricumprozess. 2005 hatte ich eine Lesung mit dem Buch »A Raubersgschicht«, wo es um Erlebnisse und Erfahrungen zur Noricum-Geschichte geht.
Noricum (Anm.: Ein österreichischer Politskandal rund um die illegalen Waffenlieferungen der Voest-Tochter Noricum) hat dich anscheinend recht ausführlich beschäftigt?
Ich war neun Monate Geschworener im Prozess. Ähnlich wie die Zeit in der STWST auch, war Noricum für meine persönliche, künstlerische und psychische Entwicklung ein Meilenstein. Künstlerisch, weil ich mit der Auseinandersetzung mit diesen Plattingern in ihren Anzügen zu meinen Brandzinken gekommen bin: Aus der direkten Konfrontation mit der so genannten besseren Gesellschaft ist bei mir während des Prozesses im Gerichtssaal die Idee entstanden, mich mit sozialen Außenseitern zu beschäftigen. Ich bin dann auf diese Zinken, die Ganovensprache und diese Zusammenhänge gekommen. Psychologisch gesehen habe ich mir danach mehr zugetraut. Ich habe während des Prozesses und dieser ganzen Auseinandersetzung richtig Courage entwickelt. Zuvor war meine Erziehung nicht grade ermutigend, ich bin aus einer pechschwarzen christlichen Familie aus dem Innviertel gekommen: Dort habe ich mit der bürgerlichen Ideologie richtig gebrochen und war lange mittendrinnen ein Aussteiger.
Das bringt mich wieder auf den Buchtitel zurück: »Gib dem Feuer keine Nahrung!«. Damit trifft nämlich 1981 in Linz der politische Protest der STWST mit deiner persönlichen Entwicklung zusammen. Du schreibst, dass du dem Feuer keine Nahrung geben wolltest, weil du dich nicht wie die meisten deiner Innviertler Nachbarn »zum Leibeigenen der Bank machen wolltest«, um deinen verschuldeten Besitz jahrzehntelang abzuarbeiten. Im Gegensatz dazu wolltest du Freiheit und bist 1981 nach Linz gekommen, um dann in der STWST gleich mal zu wohnen. Und das war ein recht wildes Jahr? Ich denke an die Kaarstraße, wo es am Wachtposten massive Polizeiübergriffe gegen STWST-AktivistInnen gegeben hat, oder die Hausbesetzung in der Rosenstraße …
… oder die Einstürzenden Neubauten, die damals beinahe das ganze Häusl demoliert haben. Dabei hab ich einiges bewusst ausgelassen. Bei der Kaarstraße, diesem Tumult und der Polizeiprügel auf dem Wachtposten, hab ich mich glücklicherweise vorher zurückgezogen. Natürlich wusste ich aber, warum es dazu gekommen ist und wie sich die Dinge zugetragen haben. Auch bei den ärgeren Krawallsachen war ich nicht dabei. Ich habe geschrieben, wie ich es erlebt und gesehen habe. Insgesamt war alles anders als heute. Früher war das viel mehr Plagerei, um überleben zu können. Nach dieser Kaarstraßengeschichte habe ich sowieso gedacht, es ist aus mit der STWST. Aber nicht nur das, nicht nur die Veranstaltungen, sondern auch das Publikum war anders. Zum Beispiel die drei Banklehrlinge, die eigentlich gar nicht ins Café kommen durften, weil es auf der Bank eine Liste mit verbotenen Orten gab. Dass die gekommen sind, war auch damals die Ausnahme. Aus den besseren Kreisen war fast niemand da, die STWST war verschrien, zum Beispiel als anarchistisch. Und da ist schon drauf geachtet worden, dass sich da niemand ansteckt.
Man hat fast auch ein bisschen das Gefühl einer inoffiziellen Parallelgeschichte der STWST, die du erzählst. Es werden die Kunstaktionen nur zum Teil angerissen. Wobei dir, dem damaligen Mosaik-Künstler, so manches Mal über diverse STWST-Aktionen erklärt wird: »Günter, das ist Gegenkultur« oder: »Günter, das ist künstlerische Gestaltung« – und definitiv fügst du dich »nicht immer in dieses soziale Räderwerk, seine Anschauungen und Praktiken« ein, wie es am Klappentext des Buches so schön heißt. Aber gerade mit diesen Reibungsflächen entsteht ein gutes Stimmungsbild, eine so genannte Milieustudie der bespielten und bewohnten Häuser der alten STWST. In einer Zeit, in der es jungen Frauen noch passieren konnte, wegen vorehelichem Sex vom Vater ins Heim gesteckt zu werden, und Burschen vor die Zivildienstkommission mussten. … Ich komme damit auf deine Störaktion während der Angelobung am Staatsfeiertag am Hauptplatz …
… jaja, der »liabe Anschlag«. Ich habe das damals nicht groß weitererzählt, weil ich Angst vor den Konsequenzen hatte. Es war ja eine aufgeheizte Stimmung damals. Und unsere Leute haben auch was geplant. Aber die Idee mit dem Dispersionskleber, den ich vor der Angelobung am Boden ausgestrichen habe und der etwas länger braucht, um fest zu werden, also diese Idee war schon meine. Dass dann zuerst einige Würdenträger, dann auch Sanitäter und Polizisten am Boden picken geblieben sind, das hat vor Ort schon für allgemeine Erheiterung gesorgt.
Heutzutage ginge das sicher als astreine subversive Aktion durch?
Ja.
Trotz dieser engen Verbindung von dir mit der Geschichte der STWST hat das Buch doch ein trauriges Ende: Die VertreterInnen der STWST werden Ende 1981 zu offiziellen KulturakteurInnen. Sie werden zum Ball geladen und gehen auch hin – in Abendkleidung und im Bewusstsein, wichtige Leute treffen zu können.
Das war wirklich eine große Enttäuschung für mich. Das habe ich nicht für möglich gehalten. Dieselben Leute, die bei der Hausbesetzung dabei waren oder sich ein halbes Jahr vorher noch von der Polizei herdreschen haben lassen … wie ich die plötzlich in diesem Aufzug gesehen habe, das werde ich nie vergessen. Ich hab mich vorher mühevoll aus diesem bürgerlichen Denken herausgelöst und hab dafür eh zehn Jahre gebraucht … und dann hab ich so was erlebt.
Wie siehst du das heute?
Zuerst einmal: Es ist unendlich wichtig, dass es das gibt, die STWST. Und ich möchte nichts streichen oder vermissen von dem, was ich erlebt habe. Im Gegenteil: Es war eine Lehrzeit für mich. Ich bin aus dem Innviertel gekommen und es war ein Sprung ins kalte Wasser. Und ich hab schwimmen gelernt.
Und die STWST hat in diesem Jahr auch schwimmen gelernt?
Die Leute dort haben das eh schon können. Und haben sich im Vergleich zu mir viel mehr getraut.
Eine wichtige Frage noch zum Buch, weil das auf den ersten Blick vielleicht abschreckend für manche LeserInnen ist: Warum schreibst du in Umgangssprache, im Dialekt?
Ich hab mich immer bemüht, zu meiner Sprache zu finden – und das ist jetzt meine Sprache. Mundartdichtung ist es gar nicht. Es ist was Eigenes. Ich bin ja kein Sadist, ich will den Leser ja nicht quälen. Ich glaub, es ist angenehm zu lesen und das ist wichtig … Und der Stelzhamerbund hat deswegen auch keine Freude mit mir.
Beim Stelzhamerbund kommt wahrscheinlich auch selten Polizeiprügel vor, so wie bei dir.
Das wirst du dort sicher nicht erleben.
Abschließend: Was ist dein nächstes Vorhaben?
Ich schreibe an einem Gebetbuch für Ganoven – in dieser Vagantensprache, die 200 Jahre alt ist. (Anm., zum Beispiel: »Im Renkn der Auscherei, des Reibách und der lahmigen Blendsiegelei« – Im Namen des Kapitals, des Profites und der heiligen Wirtschaft). Ich habe ein antiquarisches Gebetsbuch aus dem 19. Jahrhundert, das ich als Folie verwende. Ich werde mit Wörtern aus der Sammlung Karmayr arbeiten und das Buch mit Brandzinken illustrieren. Zum Teil habe ich mit einer Kollegin von der Kupfermuckn-Redaktion schon einige Ganovengebete in der Kirche gepredigt.
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Hochegger »Brandzinken« Günter: Gib dem Feuer keine Nahrung! 151 Seiten, edition pro mente, 2011.
Hochegger »Brandzinken« Günter ist laut Eigendefinition »Einzelgänger, Mensch und Künstler, der sich immer bemüht hat, seinen eigenen Weg zu gehen«. In Vagantensprache bedeutet letzteres: Er kraut sein eigésch Duders.